3. Liga

Jens Kellers Mission "Schalke light" in Sandhausen

Sandhausen statt Champions League

Rückkehr eines Zeitlosen: Jens Kellers Mission "Schalke light"

Zurück im Geschäft: Jens Keller.

Zurück im Geschäft: Jens Keller. IMAGO/Fussball-News Saarland

Beim Fußballquiz wäre es eine Frage für Fortgeschrittene: Wer führte Schalke als einziger Trainer zweimal in Folge in die Champions League? Die richtige Antwort, hier ahnt man es natürlich, lautet nicht Huub Stevens, Ralf Rangnick oder Felix Magath. Sondern: Jens Keller. Mit dem heute 52-Jährigen als Chefcoach erreichte der aktuell durch die 2. Liga schlingernde Revierklub 2013 und 2014 die Königsklasse. Von Heldenstatus blieb Keller dennoch weit entfernt. Abgesehen von der Hauptrolle im schlüpfrig-derben "Bier-Song", mit dem ihm Schalke-Fans bis heute ein grölendes Andenken bewahren.

Keller trug es stets mit Fassung. Wie praktisch alles, was damals war und seither folgte. "Ich weiß nicht, ob es in der Bundesliga noch einen Trainer gab, der so viel auf die Fresse bekommen hat wie ich", hat er mal gesagt. Verbittert klang das nicht. Eher ein bisschen stolz nach dem Motto: Mich kriegt so schnell keiner klein. "Jens weiß genau, was er kann", bestätigt Matthias Imhof (55), seit Sommer Sportdirektor beim SV Sandhausen. Vor zwei Wochen hat er Jens Keller geholt. In die 3. Liga. Keller ist keiner, der groß darüber räsoniert, was für ihn schiefgelaufen ist im zurückliegenden Jahrzehnt: "Wenn du drei Jahre raus bist, stehst du auf dem Trainermarkt halt nicht mehr in der ersten Reihe." Punkt. Nach dem Aus in Nürnberg 2020 wandte er sich selbst vom Fußball ab, investierte in Startups und arbeitete für eine Immobilienfirma. Er konnte mit dem Gedanken leben, gar nicht zurückzukommen. Weshalb er Sandhausen keineswegs als letzte Ausfahrt sah. Sondern: "Wenn das Projekt stimmt, ist die Liga zweitrangig."

Enge Freundschaft zu Vorgesetzten

Zum "Projekt Sandhausen" gehört Kellers enge Freundschaft mit Imhof. Ein Reizthema, mit dem beide direkt in die Offensive gingen. Zu gemeinsamen Profizeiten bei 1860 München in den 90er Jahren, witzelt der frühere Mittelfeld-Abräumer Keller, war der offensive Freigeist Imhof "irgendwann so begeistert von mir und meiner Drecksarbeit, dass wir Freunde wurden". Skeptikern halten beide entgegen: Sie seien lange genug im Business und lange genug befreundet, um die Dinge zu trennen.

Auf Schalke hatte Keller 2012 ebenfalls ein Kumpel installiert. Horst Heldt (53) hielten alle Sympathien nicht davon ab, während Kellers Amtszeit erst mit Stefan Effenberg und dann Thomas Tuchel zu verhandeln, um seinen Intimus letztlich für Roberto di Matteo zu opfern. Persönlich nahm Keller das nie. Der freundschaftliche Draht zum Vorgesetzten bildet heute derweil nicht die einzige Parallele. Kellers Sandhausen-Auftrag ähnelt frappierend einer Mission "Schalke light".

Parallelen zu Schalke

Beschaulich geht es beim Dorfverein in der 15.000-Seelen-Gemeinde nahe Heidelberg schließlich ganz und gar nicht zu. Keller ist bereits der sechste SVS-Coach in den vergangenen drei Jahren. Selbst Schalke kommt in diesem Zeitraum, ohne Interimslösungen, "nur" auf einen mehr. Als Sinnbild für eine gewisse Ungeduld mit Trainern steht in der Kurpfalz Jürgen Machmeier (62), weitgehend unumschränkter Vereinspräsident und im richtigen Leben erfolgreicher Unternehmer. Die Analogie zu Schalkes langjährigem Aufsichtsratschef Clemens Tönnies (67) liegt nahe.

Die für Keller wohl relevanteste Übereinstimmung: Der kurzfristige, maximale Erfolgsdruck. War auf Schalke allein das Erreichen der Champions League akzeptabel, steht beim SVS die sofortige Zweitliga- Rückkehr als alternativlose Zielsetzung. Kellers Vorgänger Danny Galm (37), erst vor der Saison angeheuert, wurde das nach nur zwölf Ligaspielen bei sieben Punkten Rückstand zu Platz 3 zum Verhängnis. Die Chance, mit dem Ex-Junioren-Coach des FC Bayern und der TSG Hoffenheim perspektivisch etwas aufzubauen - uninteressant. Galm hätten schlicht "die Ergebnisse gefehlt", ließ Imhof verlauten.

Kellers Standing ist jetzt ein anderes

Jens Keller

Jens Keller schaffte es als einziger Trainer, Schalke zweimal in Folge in die Königsklasse zu führen. imago/Jan Huebner

Solch kühle Geschäftsmäßigkeit schreckt Keller längst nicht mehr. Einen bedeutenden Unterschied zum Engagement auf Schalke weist die Ausgangslage in Sandhausen aber auf: Sein persönliches Standing. Keller ist nun nicht der auf Jahrhundertcoach Stevens folgende A-Jugend-Trainer, der auf Schritt und Tritt beweisen muss, dass sein Klub nicht mindestens eine Nummer zu groß für ihn ist. Sondern: Ein Fußballlehrer mit Champions-League-Historie, der Stars wie Benedikt Höwedes, Joel Matip, Leon Goretzka, Leroy Sané, Julian Draxler oder Klaas Jan Huntelaar dirigierte und damit seinen Arbeitgeber aufwertet.

Typisch Keller, dass er diese Art Wertschätzung nicht an sich heranlässt: "Da müssen Sie andere fragen, ob die das so sehen." Derweil urteilt Imhof: "Jens hat große Talente entwickelt und mit routinierten Topspielern gearbeitet. Diese Erfahrung spüren wir hier alle." Keller, einst vom eigenen Spieler Kevin-Prince Boateng als "junger Trainer, der noch viel dazulernt" öffentlich geschulmeistert, wird jetzt kraft seiner Vita als natürliche Autorität anerkannt. Beziehungsweise als "positiv autoritär", wie es Imhof formuliert. "Jens äußert Kritik direkt und unmittelbar. Nicht um die Jungs in den Senkel zu stellen, sondern um ihnen zu helfen, sie besser zu machen. Das ist genau die Ansprache, die unser Team braucht." Der betont auf Harmonie bedachte Galm hatte da, in den Augen des Chefs, so seine Defizite.

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Ein "moderner Old-school-Trainer"

"Die Ausstrahlung", prophezeite Keller in einem kicker-Interview 2013, "kommt mit den Erfolgen". Die Vorhersage könnte sich nun erfüllen, wenn auch mit gehöriger Verspätung. Wofür Keller als Fußballlehrer steht, war stets schwer zu greifen. Als fortschrittlich-innovativ wurde der Pragmatiker auch in jungen Jahren nie wahrgenommen. Das von ihm favorisierte schnelle Umschaltspiel jedoch ist bis heute en vogue wie eh und je. Gewissermaßen zeitlos kommt der "moderne Old-school-Trainer" (O-Ton Heldt über Keller) sogar optisch daher: Die inzwischen schlohweißen Haare lassen ihn auf den ersten Blick älter erscheinen als er ist. Der nach wie vor athletische Körper eher jünger.

Keller, der so viel hinnahm, hat sich beim kicker zu Schalker Zeiten ein einziges Mal beklagt: Warum drucke man trotz aller Erfolge nur Fotos, auf denen er so traurig schaue, während Jürgen Klopp oder Pep Guardiola gerne als strahlende Gewinner illustriert würden? Die simple Antwort: Bilder, auf denen Kellers Mimik Optimismus ausdrückt, besitzen Seltenheitswert wie die blaue Mauritius. Auch das hat sich in Sandhausen nicht geändert.

Zeit hast du als Trainer heute doch eh nirgends mehr.

Jens Keller

2016/17 dominierte Kellers Union Berlin bis zum 25. Spieltag die 2. Liga, ehe das Team kräftemäßig etwas einbrach und Vierter wurde. Auf ebenjenem Tabellenplatz wurde Keller im Dezember 2017 entlassen, den Maximalforderungen von Präsident Dirk Zingler geschuldet. Völlig perplex reagierte nicht nur der Coach, sondern auch die Mannschaft, die aus den nächsten sieben Spielen nur einen Sieg holte, am Ende als Achter einlief. In Ingolstadt und Nürnberg übernahm Keller dann jeweils strauchelnde Teams, denen er nicht ad hoc helfen konnte, was ihn schnell den Job kostete. Um Aufbruchstimmung zu entfachen, wirkte er selbst zu emotionslos, teils gar resignativ.

Gerade der Rückblick auf Union führt indes zur Frage, was wohl herauskäme, könnte ein Team über zwei, drei Jahre unter Keller reifen. Ob er nicht lieber auf eine solche Gelegenheit gewartet hätte statt wieder mal als Soforthelfer einzuspringen? Keller blickt jetzt fast ein wenig mitleidig auf den Fragesteller: "Zeit", sagt er schulterzuckend und schnaubt durch die Nase, "hast du als Trainer heute doch eh nirgends mehr." Und wer, klingt den Worten nach, wüsste das besser als er?

Thiemo Müller

Von 0,4 bis 2,0: Schalker Cheftrainer seit 2003 und ihr Punkteschnitt