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Old Firm, das Derby in Glasgow: Wer glaubt, wird selig

Die Geschichte des großen schottischen Derbys

Old Firm: Wer glaubt, wird selig

Klare Abgrenzung: Fans von Celtic und den Rangers.

Klare Abgrenzung: Fans von Celtic und den Rangers. Getty Images

Viele Jahre lang ging es in Glasgow vergleichsweise gemäßigt zu. Die Ausschreitungen rund um das "Old Firm", wie das Duell der beiden Stadtrivalen Celtic und Rangers genannt wird, waren im Zeitalter der Globalisierung weniger geworden. Umso größer war das Entsetzen darüber, was sich beim Derby im März 2011 abspielte. Die "Sunday Times" nannte es "einen nationalen Skandal".

Erst gab es 13 Gelbe Karten und drei Platzverweise gegen Rangers-Spieler, dann schwere Krawalle mit zahlreichen Verletzten und 34 Verhaftungen. Kommentatoren fragten, wie lange die schottische Gesellschaft diese Unruhen noch tolerieren werde. Wie man es eigentlich so toll finden könne, dieses Spiel zu sehen, wo es doch bei vielen schottischen Familien Todesangst auslöse.

Das Old Firm am 21. Spieltag

Es wurden nicht näher bezeichnete Studien zitiert, wonach es in den vergangenen 20 Jahren mindestens 15 Morde gegeben habe, die man "Old Firm" zuordnen könne. Es wurde vorgerechnet, dass die Kosten für Polizei, Ordner, Sanitäter, Krankenhäuser und Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Duell bei etwa 40 Millionen Euro pro Jahr liegen - und gefragt, wie lange das der schottische Steuerzahler noch mitmache.

Wohl nirgendwo auf der Welt ist ein Derby so brisant wie in Glasgow, wo Fußball seit jeher eine Glaubenssache ist - im wahrsten Sinne des Wortes. Die Gegensätze sind nicht zu verstehen ohne den nordirischen Bürgerkrieg, mit dessen Konfliktparteien sich die beiden schottischen Klubs identifizieren. Hier Celtic, die unterprivilegierten Katholiken aus den Armenvierteln der Stadt, die unzählige irische, aber nie britische und nur selten schottische Fahnen schwingen. Dort die Rangers, die Protestanten, die britisch geprägte Oberschicht mit dem Union Jack, der Flagge Großbritanniens. Hier steht man für den Freiheitskampf Irlands ein, dort für das britische Imperium.

Nach dem ersten Duell trank man noch gemeinsam Tee

Man nennt dieses Derby "Old Firm", alte Firma, es ist das am häufigsten ausgetragene Derby Europas. Der Spitzname verrät, dass die Klubs in ihrer frühen Geschichte ein freundliches Nebeneinander pflegten. Am 28. Mai 1888 standen sich Celtic und Rangers erstmals gegenüber, in einem Freundschaftsspiel vor 2000 Zuschauern. Celtic gewann 5:2, und das erste Derby-Tor der Geschichte schoss Celtic-Stürmer Neil McCallum. Frauen hatten damals freien Eintritt, die Spieler erholten sich später gemeinsam beim Tee in der örtlichen Gemeindehalle. Aber im protestantischen Glasgow des späten 19. Jahrhunderts dauerte es nicht lange, bis sich die sportlichen Rivalen in tief verwurzelter Feindschaft gegenüberstanden.

1827 lebten 80.000 Katholiken in Schottland, 1900 waren es fast eine halbe Million - in einem Land, in dem die protestantische Reformation so lückenlos umgesetzt worden war wie in keinem anderen. Die irischen Einwanderer, die ihre Heimat während der großen Hungersnot verließen, wurden verachtet. Direktoren, Manager und Vorarbeiter in der schnell wachsenden Schiffbauindustrie waren allesamt Protestanten, die nur dem einen Job geben wollten, der "echter Schotte von Name und Religion" war. Das verband die Werften und den Rangers FC, den 1873 drei protestantische Familien gegründet hatten: Beide sahen sich als "Verfechter der protestantischen Sache". Bereits 1886 konnte Rangers-Sekretär Walter Crichton die besten Spieler mit einer Arbeitsstelle ködern.

Doch Celtic war in der Lage, dagegenzuhalten. Der Klub, der aus einer katholischen Wohltätigkeitsorganisation hervorging, die Brot und Kleidung für die Armen - meist Katholiken - kaufte und Suppenküchen unterhielt, wurde 1887 in der St. Mary's Hall von Mönch Bruder Walfrid gegründet. Celtic war seit jeher im sozial schwachen East End zu Hause, entwickelte sich aber dennoch explosionsartig zu einem "Big Business". Wenige Jahre nach der Gründung besaß Celtic das seinerzeit beste Stadion Europas und nahm umgerechnet mehr als 20.000 Euro im Jahr ein - zu einer Zeit, als ein Bier fünf Cent kostete. In dem hochexplosiven Gemisch aus Sport, Religion und Politik entlud sich die Spannung in Gewalt, in fürchterlichen Unruhen - auch mit Todesopfern. Die schlimmste aller Katastrophen jedoch war ein Unglück.

Seite an Seite für einen guten Zweck

Am 2. Januar 1971 starben im Rangers-Stadion Ibrox 66 Menschen, als eine Menschenmenge auf einem steilen Tribünenzugang übereinanderstürzte. Es gab ein Benefizspiel für die Hinterbliebenen im Hampden Park, wo die Nationalelf ihre Heimspiele austrägt, zwischen einer schottischen Auswahl und einer gemischten Mannschaft aus Rangers- und Celtic-Spielern. 81.405 tief bewegte Zuschauer waren gekommen, um ihr Mitgefühl auszudrücken. Der legendäre Celtic-Trainer Jock Stein, der bei dem Unglück aus der Kabine zurückgekehrt war, um den verletzten und sterbenden Rangers-Fans zu Hilfe zu kommen, sagte: "Diese schreckliche Tragödie muss einen Beitrag dazu leisten, dem Fanatismus und der Verbitterung bei Old-Firm-Spielen Einhalt zu gebieten."

Mo Johnston

Eine Ausnahme: Der Katholik Mo Johnston spielte für beide Vereine. imago images (2)

Vergebens: Nur neun Jahre später, 1980, lieferten sich die Fans auf dem Spielfeld eine Massenschlägerei, worauf der schottische Verband mit einem Alkoholverbot in den Stadien reagierte. 1999 flogen mehrere Raketen aus dem Block der Celtic-Fans, eine davon traf Schiedsrichter Hugh Dallas, der daraufhin minutenlang behandelt werden musste. Seitdem werden die Derbys stets zur Mittagszeit ausgetragen und im Spielkalender so früh angesetzt, dass noch keine Entscheidung in der Meisterschaft fallen kann.

Mit dem Alkoholbann und dem 1995 erlassenen Verbot von Fanartikeln mit religiösen Motiven, flankiert von einigen deeskalierenden Maßnahmen der Vereine, ließ die Gewalt insgesamt tatsächlich nach. Außerdem ist das Glasgow von heute nicht mehr der verarmte Industriemoloch, der es einmal war. Es gibt ein Leben außerhalb des Fußballs. Das sinkende Interesse an der Religion und die weltweite Popularität beider Klubs haben die Erzrivalen etwas näher zueinander geführt.

Gascoigne spielt die Flöte

1989 hatte das Eis zu schmelzen begonnen, als Mo Johnston, ein Katholik, zu den Rangers wechselte. Zwar ist es mittlerweile an der Tagesordnung, dass Katholiken für die Blau-Weißen spielen, an der Identifikation beider Klubs über die Geschichte Großbritanniens und Irlands jedoch hat sich nichts verändert. Paul Gascoigne provozierte mehrmals Celtic-Fans, indem er pantomimisch eine Querflöte spielte - eine Anspielung auf protestantische Märsche in Nordirland. 1999 sang Rangers-Vorstandsmitglied Donald Findlay bei der Meisterfeier im Vollrausch anti-katholische Lieder vor katholischen Spielern aus den eigenen Reihen. Er musste zurücktreten.

Gemeinsam ist den beiden Klubs nur eines: der Erfolg. Seit 1965 gab es nur vier Spieljahre, in denen der schottische Meister nicht Celtic oder Rangers hieß: Zwischen 1979 und 1985 wurde dreimal der FC Aberdeen Champion - mit einem gewissen Alex Ferguson als Trainer - und einmal der FC Dundee. Insgesamt war Celtic 53-mal Meister, die Rangers 55-mal.

Die Rangers werden meist nur kurz "The Gers" (Kurzform von Rangers) genannt, der größte Name in der Vereinshistorie war Willy Struth. Er wurde 1920 Trainer und blieb es 34 Jahre lang, wurde 15-mal Meister und 1949 erster schottischer "Triple-Sieger" (Meisterschaft, Pokal und Ligacup). 1972 gewannen die Rangers in Barcelona den Europacup der Pokalsieger gegen Dynamo Moskau (3:2). Doch die Fans prügelten sich mit spanischen Polizisten, es gab einen Toten, der Klub wurde für ein Jahr aus dem Europapokal ausgeschlossen.

Celtic-Legende Stein starb an der Seitenlinie

Als Graeme Souness Mitte der 80er Jahre Trainer wurde, avancierten die Rangers vorübergehend zum wichtigsten Klub von ganz Großbritannien. Weil englische Vereine nach der Heysel-Katastrophe 1985 fünf Jahre lang nicht in europäischen Wettbewerben mitspielen durften, schlossen sich in dieser Zeit eine Reihe englischer Nationalspieler - zum Beispiel Ray Wilkins, Terry Butcher und Chris Woods - den Rangers an. Beliebtester Spieler aller Zeiten bei den Fans ("Bluenoses") aber ist ein Schotte: Ally McCoist, genannt "Super Ally". Als die Rangers 1997 den Celtic-Rekord von neun Meisterschaften in Folge egalisierten, war der Stürmer maßgeblich an allen neun Titeln beteiligt.

Celtic trägt den Spitznamen "The Bhoys", der augenscheinliche Rechtschreibfehler soll andeuten, dass man dieses Wort bitte im irischen Slang auszusprechen habe. Auf dem Stadiondach weht das schottische Andreaskreuz ("The Saltire") wie auch die irische Flagge. In den ersten 90 Jahren seines Bestehens hatte der Verein, der seit 1906 Trikots mit grünen Querstreifen trägt, gerade mal vier Trainer: Bill Maley, der insgesamt 50 Jahre im Klub war, Jimmy McStay, James McGrory (schottischer Rekordschütze mit 397 Toren in 378 Spielen) und schließlich den legendären Jock Stein - einen Protestanten.

Mit Stein wurde Celtic zehnmal Meister und 1967 als erste britische Mannschaft Europapokalsieger der Landesmeister. Das 2:1 gegen Inter Mailand errangen elf Spieler, die allesamt im Umkreis von 30 Kilometern um Glasgow geboren wurden. 1978 wurde Stein schottischer Nationaltrainer, 1985 benötigten die "Bravehearts" gegen Wales einen Punkt, um in die WM-Play-offs zu kommen. Wales führte 1:0, doch in der 81. Minute gab es Elfmeter für Schottland. Kurz nachdem Davie Cooper traf, fiel Jock Stein tot von der Bank. Herzinfarkt.

Peter Nickel

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