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Mythos. Monument. Hölle. Degenkolb liebt Paris-Roubaix

120 Jahre Tradition und Schmerzen ohne Ende

Mythos. Monument. Hölle. Degenkolb liebt Paris-Roubaix

Gezeichnet: John Degenkolb (2017) im Ziel von Roubaix.

Gezeichnet: John Degenkolb (2017) im Ziel von Roubaix. imago

Sie sind ausgerüstet mit Schaufeln, Spitzhacken und Schubkarren, knien im Dreck und klopfen Steine. Les Amis de Paris-Roubaix, die "Freunde von Paris-Roubaix", sind ein eingeschworener Haufen von Radsport-Enthusiasten. John Degenkolb ist mit jenen Unermüdlichen, die das historische Kopfsteinpflaster im Norden Frankreichs hegen und pflegen, im Geiste verbunden.

Mehr noch: Der Deutsche ist Botschafter für die "Freunde" des wichtigsten Frühjahrsklassikers, er sammelt Spenden und macht Werbung für die gemeinsame Sache. Sie eint die Liebe für Paris-Roubaix. "L'enfer du Nord" - die "Hölle des Nordens". Ein Mythos. Ein Monument. Und speziell für Degenkolb kein Rennen wie jedes andere.

Tradition pur - selbst in der Dusche

Eddy Merckx triumphierte drei Mal

Jeder Sieger bekommt eine eigene Dusche: Eddy Merckx triumphierte drei Mal. Getty Images

"Das Rennen gibt es seit über 120 Jahren, es trieft vor Tradition", sagte Degenkolb der Sport Bild: "Das Kopfsteinpflaster, die alten Steinduschen im Velodrom von Roubaix, die Messingschilder mit den Namen der Sieger, das alles gibt es nur dort."

Eines dieser Schilder trägt seinen Namen. 2015 gewann Degenkolb die "Königin der Klassiker", als erster Deutscher nach Josef Fischer im Jahr 1896. Für Degenkolb war es die Erfüllung eines Kindheitstraumes. Am Sonntag, bei der 117. Austragung, will er die Emotionen von damals mit einem erneuten Sieg wieder aufleben lassen.

Mensch und Maschine an der Grenze

Die Mission ist kompliziert und anspruchsvoll. 257 Kilometer Strecke trennen die Fahrer vom Start in Compiegne zum Velodrom von Roubaix, dem Ort, an dem Legenden geboren werden. Dabei führt der Kurs über 29 der berühmt-berüchtigten Kopfsteinpflaster-Passagen, den in diesem Jahr insgesamt 54,5 Kilometer langen "Paves".

Mensch und Maschine bringen sie an die Grenzen. "Nach dem Rennen sind meine Finger so taub und die Gelenke so angeschwollen, dass ich den Drehverschluss einer Wasserflasche nicht mehr aufbekomme. Meine Frau muss mir dann beim Essen und Trinken helfen", sagte Degenkolb. Nach Erfolgen lassen sich die Schmerzen leichter ertragen, so wie 2015 oder im Vorjahr, als er bei der Tour de France die Etappe über die nordfranzösischen Holperpisten gewann.

Dass Paris-Roubaix nach all den Jahrzehnten noch immer über die historischen Feldwege führt, ist auch den "Amis de Paris-Roubaix" zu verdanken. Die Freiwilligen kümmern sich um den Erhalt der Strecke, sie bessern aus und setzen sich gegen eine Modernisierung durch die französischen Behörden ein.

"Freunde von Paris-Roubaix": Ein Haufen von Radsport-Enthusiasten pflegt das Kopfsteinpflaster

"Freunde von Paris-Roubaix": Ein Haufen von Radsport-Enthusiasten pflegt das Kopfsteinpflaster. imago

"Gleichzeitig erhöhen wir die Sicherheit der Fahrer", sagte Degenkolb. Im Wald von Arenberg etwa, einer 2,3 Kilometer langen und äußerst gefürchteten Schneise, "wächst extrem viel Gras zwischen den Pflastersteinen. Wenn es nass ist und wir mit 60 km/h angerauscht kommen, sind Stürze unvermeidlich. In diesem Jahr wurde das Gras herausgerissen und durch Fugen ersetzt."

Degenkolbs Leidenschaft für Paris-Roubaix geht sogar noch weiter. Als das U 19 Rennen aus finanziellen Gründen vor dem Aus stand, initiierte er im Internet einen Spendenaufruf. Die nötigen 10.000 Euro - Degenkolb gab 2500 Euro - kamen schnell zusammen. Mit dem Überschuss von rund 7000 Euro wurden die fleißigen "Freunde von Paris-Roubaix" unterstützt.

John Degenkolb trägt die "Hölle" im Herzen.

Das sind die Eigenheiten von Paris-Roubaix (257 km)

Die "Hölle des Nordens" trägt ihren Namen zurecht. Besonders quälend sind auf über 250 km die meist über 50 km auf teils historischem Kopfsteinpflaster. Über schmale Pfade schlängelt sich das Peloton durch den Norden Frankreichs, Kilometer für Kilometer wird dabei das Feld ausgedünnt. Im altehrwürdigen Velodrom von Roubaix endet die Königin der Klassiker, und manch einer der Fahrer kann danach tagelang kaum gehen.

Die entscheidenden und auch brutalsten Passagen beginnen mit dem denkmalgeschützten Wald von Arenberg nach gut 160 km. Defekte und Stürze sind hier fast unvermeidlich. John Degenkolb gelang 2015 der erst zweite deutsche Sieg. Das Rennen im Vorjahr wurde überschattet vom Tod des Belgiers Michael Goolaerts nach einem Herzinfarkt.

sid/tru

Das ist die "Hölle des Nordens"