WM

Frankreichs Fluch: Vom Siegen und Scheitern der Weltmeister

Seit 60 Jahren hat es keiner mehr geschafft

Kann nur Frankreich den Fluch beenden? Vom Siegen und Scheitern der Titelverteidiger

Wie Didi den WM-Titel verteidigen - das gelang weder Mats Hummels (li.) noch Thierry Henry (re.).

Wie Didi den WM-Titel verteidigen - das gelang weder Mats Hummels (li.) noch Thierry Henry (re.). Getty Images (2), imago images

Wenn ich meine Augen schließe, kann auch mich keiner sehen: Nach diesem Motto "verteidigte" Uruguay bei der WM 1950 seinen Weltmeistertitel. Weil der erste Titelträger nämlich 1934 und 1938 nicht angetreten war - was in den auch infrastrukturell komplizierten Anfangsjahren des Weltturniers schon mal vorkommen konnte.

Erster offizieller Titelverteidiger wurde somit Italien, das seinen umstrittenen Titel von 1934 - Stichwort Heimvorteil - vier Jahre später zumindest bestätigen konnte. Nach der Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg war dann schon in der Vorrunde Schluss. Also wieder Uruguay.

Was 1930 noch die Krönung einer großen Generation bedeutet hatte, war 1950 in und gegen Brasilien schon ziemlich überraschend gewesen - und das letzte Mal, dass Uruguay die Fußballwelt beherrschte. Denn 1954 musste sich der diesmal tatsächliche Titelverteidiger in einem epischen Halbfinale Ungarns "goldener Mannschaft" beugen, deren eigene Krönung anschließend ausblieb.

Rahn knipste noch vier Jahre nach Bern

In Bern hatte sie gegen ein deutsches Team verloren, das stärker war, als es durch den Begriff "Wunder" häufig gemacht wird. So schoss Final-Held Helmut Rahn vier Jahre später in Schweden satte sechs Tore, die Herberger-Elf schnupperte sogar am erneuten Finaleinzug. Ein provozierter Platzverweis, der verletzte Fritz Walter und ungewohnt frenetische Fan-Unterstützung für den Gastgeber waren in der Vorschlussrunde jedoch zu viel.

Zum neuen Weltmeister schwangen sich die Brasilianer auf, die spätestens seit 1958 als die Fußballnation schlechthin gelten. In Schweden erstrahlte der Stern des erst 17-jährigen Pelé, der 1962 schon früh aus dem Turnier ausschied. Die "Seleçao" war damals allerdings so stark, dass sie die Verletzung ihres Aushängeschilds kompensieren und als bis heute letzte Nation ihren WM-Titel verteidigen konnte. 60 Jahre ist das inzwischen her.

Es ist zwar nicht so, dass es seither kein weiterer Weltmeister hätte schaffen können. Doch manchmal entwickelt sich der Fußball einfach weiter, sodass die Brasilianer dem körperbetonten Spiel der Europäer 1966 nicht mehr gewachsen waren. Pelé wurde erneut aus dem Turnier gefoult, dessen K.-o.-Phase diesmal ohne Brasilien stattfand.

Manchmal steht sich ein Weltmeister aber auch selbst im Weg. 1970 galten die Engländer eigentlich als noch stärker als beim Titelgewinn vier Jahre zuvor, bei der Neuauflage des Endspiels gegen Deutschland lagen sie im Viertelfinale in der mexikanischen Mittagshitze sogar schon mit 2:0 vorne. Dann aber wechselte Trainer Alf Ramsey in Bobby Charlton seinen wichtigsten Mann aus - und die Deutschen drehten das Spiel.

Deutschland gegen Österreich 1978

Traumtor in Cordoba: Österreichs Hans Krankl überwindet eine deutsche Defensive, die Franz Beckenbauer 1978 nicht gleichwertig ersetzen konnte. imago sportfotodienst

Weil der WM-Titel in nahezu jeder Karriere den Höhepunkt darstellt, können nach einem solchen Erfolg schon auch mal ganze Generationen abtreten. So geschehen 1970 bei den Brasilianern oder 1974 in der Bundesrepublik Deutschland. Pelé, Franz Beckenbauer oder Gerd Müller sahen nur noch zu, wie ihre Nachfolger die Zwischenrunde nicht überstanden.

Diese Zwischenrunde war ohnehin ein Konzept, das so manchen Mitfavoriten aussiebte: 1982 hatten sich die Argentinier zwar um den noch rohen Diego Maradona ergänzt, sie waren jedoch in einer waschechten Todesgruppe mit magischen Brasilianern und schlussendlich triumphierenden Italienern gelandet. Letztere waren vier Jahre später dann zu alt - und nach dem Achtelfinale gegen Frankreich im Flieger nach Hause.

Beckenbauer nimmt den Mund zu voll

Die Unterstützung, die der unglaubliche Maradona bei seinem Meisterstück 1986 noch gehabt hatte, brach 1990 ein wenig weg - wie auch der Knöchel des Kapitäns. Der hatte die "Albiceleste" zwar trotzdem noch mal ins Finale geführt, in dem sie Deutschland allerdings chancenlos unterlag. Fast so chancenlos wie die Deutschen beim Halten von Teamchef Beckenbauers Versprechen waren, dank der Bereicherung durch die Spieler aus der DDR "über Jahre" unschlagbar zu sein.

An einigen Weltmeistern hielt man zu lange fest, 1994 folgte das Viertelfinal-Aus gegen Bulgarien - im Nachhinein zumindest etwas weniger peinlich, als man zunächst gedacht hatte. Doch die Wiederholung eines WM-Titels schien immer schwieriger zu werden, selbst wenn eine Mannschaft erneuert wurde. 1998 stürmte Brasilien nicht mehr mit Romario, sondern mit Ronaldo - doch der brach vor dem Finale zusammen, in dem seine Mannschaft folglich kaum bei der Sache war.

Als Titelverteidiger im Finale stehen? Da würden die Franzosen in Katar auffällig aus der Reihe tanzen, die einen regelrechten Fluch 2002 selbst losgetreten hatten. Ohne ein einziges eigenes Tor flog der amtierende Welt- und Europameister kläglich aus der Vorrunde, um vier Jahre später im Viertelfinale eine Ära ziemlich enttäuschender Brasilianer zu beenden. Ab 2010 wurde es für die Titelträger sogar noch bitterer.

Italien sah die K.-o.-Runde der WM in Südafrika bereits im heimischen Wohnzimmer, auch die Spanier wurden trotz WM- und gleich zweier EM-Titel 2014 schon in der Gruppenphase entthront. Und selbst Deutschland, dessen Fußball stets etwas Maschinelles und Unkaputtbares nachgesagt wurde, stotterte sich zuletzt zum Vorrunden-Aus. Wahrscheinlich liegt es an Frankreich, die Dinge wieder geradezurücken. Pelé und fünf weitere Titelverteidiger von 1962 könnten es noch erleben.

Niklas Baumgart

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