Handball

Bob Hanning im kicker: "Darauf haben wir keine Antwort"

Füchse-Boss vor der Europameisterschaft

Hanning im Interview: "Bei der Talentförderung fehlt es einfach an Professionalität"

Er hat den deutschen Handball nachhaltig vorangebracht, sorgt sich aber auch um ihn: Bob Hanning.

Er hat den deutschen Handball nachhaltig vorangebracht, sorgt sich aber auch um ihn: Bob Hanning. imago images

Nach acht ereignisreichen Jahren machte Hanning im vergangenen Herbst beim DHB als Vizepräsident Schluss. Viel hat er bewegt, viele Schlachten geschlagen, ist keinem Kampf aus dem Weg gegangen. Wenig überraschend hat ihn die Zeit nach eigener Aussage "viel Kraft gekostet". Zumal er nebenbei als Geschäftsführer die Füchse Berlin, die Hanning von der 2. Liga bis in die Champions League führte, zu verantworten hatte.

In seinem Buch "Hanning. Macht. Handball." gibt der Füchse-Boss nun interessante Insights in Strukturen und Hintergründe, erklärt Feindschaften und die Rolle seiner auffälligen Kleidung. Für den kicker, für den er ab kommenden Donnerstag in einer Kolumne seinen stets kritischen Blick auf Nationalmannschaft und Bundesliga richten wird, nahm sich Hanning im Vorfeld der EM eine Stunde Zeit.

Das erste Kapitel im Buch kommt sogar von Stefan Kretzschmar, was vor ein paar Jahren auf Grund Ihrer persönlichen Beziehung noch ziemlich undenkbar gewesen wäre. Wie kommen zwei so starke Charaktere bei Entscheidungen auf einen gemeinsamen Nenner?

Es geht gar nicht immer um Konsens, sondern um einen offenen Austausch. Für mich steht im Vordergrund, dass wir gemeinsame Lösungen finden. Und diese Einstellung braucht es auch, wenn zwei Alphatiere wie Stefan und ich zusammenkommen. Die Entwicklung von Stefan in den letzten Jahren war rasant und auch im Sinne des Handballs. Da ich mich immer gerne mit Menschen umgebe, die in ihren Spezialbereichen besser sind als ich, war es eine logische Konsequenz, Stefan bei uns mit ins Boot zu holen.

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Mittlerweile läuft die Zusammenarbeit so harmonisch, dass Sie in Ihrem Buch schreiben, dass kein Bundesliga-Manager den Markt "besser durchdringt" als Kretzschmar. Er fände "Zugang zu jedem". Erläutern Sie das kurz.

Stefan ist eines der Gesichter unserer Sportart. Er ist unglaublich gut vernetzt, sieht durch seine Funktion bei "Sky" sehr viele Spiele und ist auch auf den Social-Media-Kanälen einer der Top-Influencer. Diese Bekanntheit und dieses Netzwerk nutzt ihm natürlich auch in seiner Funktion als unser Füchse-Vorstand Sport immens.

Wie sah das im speziellen Fall von Mathias Gidsel aus, der wahrscheinlich überall hätte unterschreiben können?

Stefan war sehr früh an dem Thema dran und verfolgt natürlich alle internationalen Wettbewerbe. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir im europäischen Vergleich mittlerweile mit den Füchsen für viele Spieler eine interessante Adresse sind.

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Was viele auf den ersten Blick nicht sehen, ist Ihre Hingabe für die Jugendförderung. Mit 14 Jahren haben Sie Ihre erste Mannschaft gecoacht, noch heute stehen Sie jeden Morgen um 7.15 Uhr für ein Jugendtraining in der Halle. Was fasziniert Sie derart an der Förderung von Talenten?

Junge Menschen beim Erreichen ihrer Ziele zu unterstützen, macht mir unglaublich viel Spaß. Das ist für mich die Triebfeder für alles bei den Füchsen. Auch bei der HBL habe ich mich immer stark gemacht für Jugend-Zertifikate, für die Einführung der Jugend-Bundesliga, für DHB-Förderung von Talenten. Der Nachwuchs braucht eine Stimme. Ich muss es so ehrlich sagen: Ich brauche weder Nationalmannschaft noch Bundesliga, ich stehe am liebsten morgens in der Halle und sehe, wie die Jungs besser werden.

Ein Ansatz, den Sie im Buch beschreiben, klingt spannend. Das Verhältnis zu den Eltern der Talente sei ein essenzieller Faktor. Noch heute haben Sie ein hervorragendes Verhältnis zu den Eltern Ihrer Jugendspieler Torsten Jansen und Florian Kehrmann. Welcher zentrale Gedanke steckt dahinter?

Die Unterstützung der Eltern ist für die jungen Handballer natürlich nach wie vor sehr wichtig. Dennoch muss man fairerweise sagen, dass sich die Zeiten verändert haben. So sehr ich mich auf die selbstgemachten Waffeln und Kekse aus dem Hause Jansen und Kehrmann freue: Der Sport hat sich professionalisiert. Eltern sind die größten Anwälte ihrer Kinder, trotzdem muss man es differenziert sehen. Das Schlimmste sind Helikopter-Eltern, die Karrieren ihrer Kinder zerstören. Davon gibt es leider auch welche.

Ein Dorn im Auge ist Ihnen bis heute, dass ein Großteil der Bundesligavereine so wenig auf heimische Talente setzt und ihnen auch kaum Spielzeit gibt. Seit 2005/06 gibt es keine Ausländerbeschränkung mehr. Wäre eine Rückkehr dazu realistisch oder gar sinnvoll?

Nein, ich bin absolut kein Freund davon. Ich finde, Talente sollen sich durchsetzen. Eine Beschränkung braucht es nicht. Ich sehe natürlich den Druck in der stärksten Liga der Welt, das sehe ich bei uns auch. Wenn es mich in unserem Verein nicht geben würde, würde das bei uns nicht mit im Mittelpunkt stehen. Das muss man ganz ehrlich sagen. Bei uns ist es eine gewachsene und gewollte Struktur, auch von Partnern und Sponsoren. Es ist für mich aber jedes Mal ein Kampf, mich zu positionieren,  um dem Nachwuchs eine Chance zu geben. Für mich ist das allerdings ein nicht verhandelbares Thema - sonst müsste der Verein ohne mich arbeiten.

Sie beschreiben im Buch ein Europapokalspiel in Lissabon. Weil Sie zu früh junge Spieler gebracht haben, ist ein Zehn-Tore-Vorsprung bedenklich geschmolzen. Sie sprechen von einer "gelernten Lektion". Aber wie findet man denn das richtige Maß, um einen Julian Köster oder Juri Knorr in der Nationalmannschaft nachhaltig voranzubringen?

Es braucht Mut, Entscheidungen zu treffen und das dann auch umzusetzen. Ältere Spieler machen genauso Fehler, nur bei den Jungen wird es häufiger angekreidet. Wichtig ist aber auch, dass junge Spieler nie zufrieden sein dürfen. Sie müssen sich jedes Training neu beweisen. Das ist eine ganz zentrale Aufgabe eines jungen Spielers.

Speziell Frankreich hat einen schier unerschöpflichen Fundus an Talenten. Im Fußball und im Handball haben die Franzosen viel ausgeprägtere Förderungssysteme. Kaum einer kennt sich mit Talentförderung hierzulande besser aus. Wo könnte der DHB, wo könnten die Klubs in Deutschland ansetzen?

Ich bleibe dabei: mit mehr Mut, die Spieler auch einzusetzen. Einige Vereine tun es, wenn auch aus der Not heraus, aber Hauptsache es passiert. Ich glaube, dass wir kein System wie in Frankreich brauchen, weil wir Klubs haben, die gute Nachwuchsförderung betreiben. Bei manchen Vereinen ist es aber nicht so ausgeprägt, wie es notwendig wäre. Wenn man teilweise in Fitnessstudios gehen muss, weil keine Krafträume zur Verfügung stehen und die Cheftrainer auch noch alle Athletik- und Krafteinheiten leiten müssen, fehlt es aus meiner Sicht einfach an Professionalität.

Wo sollte man ansetzen?

Wir haben ein Problem zwischen 18 und 21 Jahren. Hier wird die Körperlichkeit entwickelt und die Spieler brauchen zwingend ein anderes Training. Ich kann zum Beispiel, in Bezug auf die Füchse, Paul Drux nicht genauso trainieren wie Matthes Langhoff oder Nils Lichtlein. Hier brauchen wir in Deutschland noch die richtigen Lösungen.

Alfred als Turm in der Schlacht zu behalten, ist eine gute und richtige Lösung.

Bob Hanning

Als Sie zum HSV als Trainer gekommen sind, haben Sie in Ihrer Antrittsrede gesagt: "Verpisst euch nicht! Das Schlimmste ist, sich aus der Verantwortung zu stehlen." Von der Nationalmannschaft gab es in der jüngeren Vergangenheit gelegentlich Spiele, bei denen man den Eindruck bekam, dass sich die Verantwortung in Form des Balls hin- und hergeschoben wird. Wie kriegt man das in die Köpfe?

Eine Mannschaft besteht aus Teamspielern, Individualisten und Führungsspielern. Zweifelsohne fehlt es uns an Leadern. Diese Rolle kann man aber nicht ausschließlich lernen, sondern muss auch hineinwachsen. Der eingeleitete Umbruch ist genau richtig. Mit Mut, Vertrauen und auch ein Stück weit Geduld werden hier neue Spieler entwickelt.

Dagur Sigurdsson, den Sie damals trotz Gegenwind in Ihrer Doppelfunktion von Berlin zum DHB gelotst haben, hat mit seinem völlig überraschenden EM-Titel 2016 große Fußspuren hinterlassen. Sehen Sie in der jetzigen, unerfahrenen Mannschaft Parallelen zu damals?

Ich glaube, die Europameisterschaft wird sehr spannend. Ich bin ein Freund von klaren Zielen und die auch möglichst hoch zu stecken. Wir sind jetzt in einer ähnlichen Situation wie 2016, aber es gibt nicht immer eine Happy-End-Story. Damals hat einfach alles gepasst. Jetzt ist die Aufgabenstellung schon eine andere. Wir haben eine Vorrundengruppe, in der wir überzeugen können und auch den Anspruch haben müssen, diese Spiele zu gewinnen. Ich bin aber dafür: Lass die Mannschaft dieses Mal einfach spielen - ohne große Vorgabe. Alfred als Turm in der Schlacht zu behalten, ist eine gute und richtige Lösung. Ich finde die Entscheidung, Johannes Golla zum Kapitän zu machen, super. Auch, dass er sagt, dass die Spieler Meinung haben und vertreten müssen, empfinde ich als sehr positiv. Wir brauchten neue Gedanken, neue Begeisterung, neuen Wind. Ich sehe in den Abgängen und Verzichten mehr Chance als Risiko.

Erst Sigurdsson, jetzt Gislason. Was macht Trainer aus Island so besonders?

Das sind Menschen, die aus einem kleinen Land kommen und aus wenig viel machen müssen. Die Mentalität passt grundsätzlich gut zu uns. Sie haben auch beide diesen isländischen Sturkopf. Als ich mit Dagur erstmals einen ausländischen Trainer für die Nationalmannschaft haben wollte, hat man das überhaupt nicht verstanden. Die Verpflichtung von Alfred ist als normal durchgegangen, was eine gute Entwicklung für uns ist. Ich glaube aber auch, dass wir irgendwann wieder gute deutsche Trainer haben werden, die für den Posten in Frage kommen - wenn ich jetzt nur mal an einen Kehrmann (Trainer TBV Lemgo Lippe, d.Red.) oder Jansen (Trainer HSV Hamburg, d.Red.) denke.

Im zweiten Teil des großen Interviews mit Bob Hanning lesen Sie am Dienstag, wie es um Füchse-Comebacks von Sigurdsson und Heinevetter steht, was im "Jahrzehnt des Handballs" wichtig für den DHB wird und warum Hanning bei seinem Herzensverein Hertha BSC optimistisch in die Zukunft blickt.

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