Int. Fußball

Juvhel Tsoumou im Interview: Tor vs. Bayern und 16 Stationen

Stürmer ist wieder auf Vereinssuche

Goldenes Tor gegen Bayern und Weltreise mit 16 Stationen: Tsoumou im Interview

Bis 2023 mit 16 Stationen in neun Ländern: Juvhel Tsoumou im Trikot von Eintracht Frankfurt, Wydad AC und Viitorul Constanta (v. li.).

Bis 2023 mit 16 Stationen in neun Ländern: Juvhel Tsoumou im Trikot von Eintracht Frankfurt, Wydad AC und Viitorul Constanta (v. li.). imago images

kicker: Herr Tsoumou, starten wir mit einer Schätzfrage: Wie viele Spieler haben ihr einziges Bundesliga-Tor ausgerechnet bei einem Sieg gegen den FC Bayern erzielt?

Juvhel Tsoumou: In der gesamten Bundesliga-Geschichte? Puh, schwierig ... (lacht)

Laut kicker-Datenbank waren es fünf: Zeljko Perusic (1860 München, 1968), Hans-Jürgen Baake (Tennis Borussia Berlin, 1977), Alexander Klitzpera (Alemannia Aachen, 2007), Cristian Gamboa (VfL Bochum, 2022) - und eben Sie, am 20. März 2010. Wie erinnern Sie sich an den Tag?

Am Abend davor bekam ich von meinem Ausrüster zwei Paar Schuhe: ein blaues und ein gelbes. Meine Mutter sagte zu mir: "Zieh' morgen die gelben Schuhe an, ich habe ein gutes Gefühl." Erst einmal habe ich die anderen bevorzugt, die waren nämlich neuer. In der Halbzeit kam aber wieder der Gedanke: Zieh die gelben Schuhe an.

Michael Skibbe schickte Sie damals in der 83. Minute als letzten SGE-Stürmer aufs Feld. Vorher hatten Sie in der Saison keine Minute gespielt.

Ich war da gerade von einer Verletzung zurückgekommen. Der Trainer schickte uns alle zum Warmmachen, Bayern führte 1:0. Als der Trainer mich rief, fragte ich erst mal: "Ich?" Und er antwortete: "Ja, genau, du. Komm jetzt!" (lacht)

Wenn er noch ein Jahr länger bei der Eintracht geblieben wäre, glaube ich, dass meine Karriere eine andere Richtung genommen hätte.

Juvhel Tsoumou über Friedhelm Funkel

David Alaba spielte damals in seinem dritten von heute 298 Bundesliga-Spielen einen fatalen Rückpass nach innen, Sie waren schneller am Ball als Jörg Butt und trafen zum 1:1.

Bayern war nicht irgendeine Mannschaft. Erst konnte ich es gar nicht glauben, dass es wirklich passiert ist. Obwohl ich ja gesehen hatte, dass der Ball reingegangen war. Aber dann habe ich die Fans jubeln gesehen. Nach dem Spiel kam ich nach Hause, meine Mutter war gerade am Bügeleisen, als ich reinkam. Das hat sie dann erst einmal völlig vergessen. Die Wohnung ging fast in Flammen auf (lacht).

Zum Steckbrief

Zwei Minuten nach Ihrem Treffer schoss Martin Fenin sogar noch das 2:1 zum Sieg. Wie oft werden sie noch auf ihr Tor gegen die Bayern angesprochen?

Egal, wohin ich später in meiner Karriere ging, ob Rumänien oder Asien: Das hat mir im Ausland einen Namen gemacht. Nach dem Tor gegen Bayern dachte ich, es würde von nun an besser laufen für mich. Aber es kamen nur noch drei Kurzeinsätze hinzu. Trotzdem, und auch schon in dem Alter, habe ich jede Minute auf dem Feld genossen. Das einzige, das ich schade fand: Dass ich nicht mal am letzten Spieltag, als es um nichts mehr ging, eine Halbzeit oder ein ganzes Spiel zeigen durfte, was ich kann.

Friedhelm Funkel zog sie 2008 zu den Eintracht-Profis hoch.

Er hat mir Vertrauen geschenkt, es war schade, dass er dann wegging. Wenn er noch ein Jahr länger bei der Eintracht geblieben wäre, glaube ich, dass meine Karriere eine andere Richtung genommen hätte. 

Warum hat es nicht in der Bundesliga gereicht?

Ich war immer der Meinung: Wenn der Trainer mir mal die Chance gibt und mich in die erste Elf stellt, dann wird es schwer, mich da wieder rauszuboxen. Denn sobald ich in der ersten Elf bin, arbeite ich noch mehr als vorher. Aber wir hatten fünf Top-Spieler auf meiner Position.

Nationalspieler wie Fenin, Ioannis Amanatidis, Nikos Liberopoulos und Halil Altintop.

Dazu Alex Meier, der ein paar Jahre später Torschützenkönig wurde. Würden Sie ihn auf die Bank setzen und mich aufstellen? (lacht) Als junger Spieler fiel es mir schwer, das zu verstehen. Mit dem Wissen von jetzt wäre es überragend (lacht).

Sie sind noch aktiv. Würden Sie gern nochmal in Deutschland spielen?

Ich wünschte manchmal, dass es passiert. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. In Deutschland kommt wohl eher die 2. Liga in Betracht. Generell spiele ich allerdings lieber bei Vereinen, die um Titel mitspielen, denn ich bin sehr hungrig.

Champions-League-Sieger mit Wydad Casablanca: Und Juvhel Tsoumou (hinten, 3. v. li.) mittendrin.

Champions-League-Sieger mit Wydad Casablanca: Und Juvhel Tsoumou (hinten, 3. v. li.) mittendrin. Getty Images

Haben Sie den Frankfurter 5:1-Sieg über den FC Bayern vor wenigen Wochen verfolgt?

Klar! Frankfurt ist meine Stadt, ich bin hier aufgewachsen. Und der Eintracht bin ich zu großem Dank verpflichtet, die Ausbildung hat sich ausgezahlt. Ich habe länger für die Eintracht gespielt als für jeden anderen Verein in meiner Karriere.

Und das sind einige: in Deutschland, England, Österreich, Slowakei, Zypern, Rumänien, China, Marokko und Vietnam: Spricht das für einen Karriereweg nach Plan oder dagegen?

Ich habe Titel gewonnen und Dinge erreicht, von denen ich geträumt habe. Zu Beginn meiner Karriere habe ich mir gesagt: Ich muss die Champions League gewinnen. Egal, ob in Asien, Europa, Afrika oder Amerika. Hauptsache, ich gewinne die Champions League. Wenn ich 20 Jahre lang Fußball spiele, will ich am Ende auch ein paar Trophäen und Medaillen aus meiner Karriere mitnehmen. Für später.

Bei Wydad Casablanca feierten Sie Ihre größten Erfolge: Sie wurden 2022 marokkanischer Meister und gewannen ebenjene Champions League.

Mit Walid Regragui hatte ich Glück. Der hat im Kopf alles drauf, heute ist er Trainer der marokkanischen Nationalmannschaft. Mit so einem Trainer komme ich zurecht. Die Leute haben mich für meine deutsche Mentalität geliebt. Klar, meine Hautfarbe ist die eines Afrikaners, aber mit der afrikanischen Mentalität habe ich gar nichts am Hut. Pünktlichkeit, Sauberkeit, Ordnung: Das lernt man eben, wenn man in Deutschland aufwächst. Ich habe überall versucht, meine Mentalität in die Mannschaft einzubringen und Einfluss zu nehmen.

Wie genau?

In Marokko fing ich an, Extratraining zu machen. Das zahlte sich aus. Die jungen Spieler sahen: "Der kommt zwar jedes Mal nur von der Bank rein, aber der ackert. Vielleicht ist das der Weg, auch für mich." Dann waren es zwei, drei im Extra-Training, irgendwann die ganze Mannschaft. Wir wurden wie eine Familie. Jeder hat für jeden gekämpft. Das hat mich stolz gemacht: Ich habe zur Meisterschaft nicht nur auf dem Feld einen Beitrag geleistet, sondern eben auch außerhalb. 

Es hieß: 'Benny Auer spielt auf deiner Position, der ist Kapitän und trifft immer.'

Juvhel Tsoumou über seine Station in Aachen

 Im September 2022 verließen Sie Wydad trotzdem plötzlich. Auf Instagram schrieben Sie von einem "unerwarteten Abgang".

Ich hatte nicht damit gerechnet, ja. Auf dem Weg zum Training bekam ich einen Anruf, ich solle ins Büro kommen. Nach dem Champions-League-Sieg hatte sich mein Vertrag automatisch verlängert. Es gab Vereine, die mich haben wollten. Mein Berater fragte dreimal bei den Verantwortlichen von Wydad nach, jedes Mal hieß es: "Der geht auf keinen Fall, der bleibt hier." Dann war die Sache für mich gegessen.

Aber offenbar nur vorerst.

An dem Tag hieß es im Büro plötzlich: "Der Trainer hat eine andere Vision." Ich antwortete: "Das können Sie mir aber nicht am 3. September sagen, kurz nachdem das Transferfenster geschlossen hat." Ich bat sie sogar, sich das nochmal zu überlegen. "Das ist ein großer Fehler", habe ich gesagt. Aber es gibt Sachen im Leben, die kann man nicht ändern. Es hieß, ich sei zu teuer. "Ich habe hart dafür gearbeitet, um teuer zu sein", habe ich geantwortet.

Wie unterscheidet sich der Fußball und das Leben drumherum in all den Ländern, die Sie kennengelernt haben?

All diese Länder haben völlig verschiedene Fußballkulturen, ein anderes Verständnis von Fußball. In China oder generell in Asien kommst du erst einmal nicht so zurecht, wenn du in Deutschland ausgebildet worden bist. Allein mit Blick auf Disziplin, Pünktlichkeit, Taktik. Wenn du einen Titel gewinnen willst, musst du Dinge opfern. Da kannst du nicht jeden Tag, sagen wir, Eis essen. Fußballerisch können und wollen wir Asien nicht vergleichen mit Deutschland, klar. Und mit der Ehrlichkeit einiger Leute hatte ich dort Probleme.

Torjubel auf Rumänisch: Juvhel Tsoumou im Trikot des FC Viitorul Constanta.

Torjubel auf Rumänisch: Juvhel Tsoumou im Trikot des FC Viitorul Constanta. imago images/sport pictures-Razvan Pasarica

Nun standen Sie zuletzt bis Jahresende 2023 knapp acht Wochen bei Rapid Bukarest unter Vertrag. Eine eher unübliche Vertragsdauer.

Der Vertrag lief erst einmal bis Dezember, mit Option bis Sommer. Aber es ist nicht so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich kam zu Rapid, weil sie um die Meisterschaft spielen wollten. Das war meine Motivation. Wenn ich aber kaum eingesetzt werde, obwohl ich gut drauf bin, muss ich selbst eine Entscheidung treffen. Ich habe ja nicht einmal eine volle Halbzeit bekommen. Wenn ich reinkam, habe ich immer das Spiel beeinflusst, mit mir auf dem Platz haben wir Tore geschossen.

Sie waren fünf Mal für mehrere Monate vereinslos: 2012, 2014, 2015, 2022 und 2023. Seit 1. Januar 2024 ist das wieder so. Wie fühlt sich das für Sie an? Werden Sie in diesen Phasen ungeduldig?

Dann habe ich viel Zeit, die ich mit Gott verbringen kann. Ich mache mir nie Sorgen, bin geduldig, auch wenn man denken könnte, dem geht es scheiße, weil er keinen Verein hat. Aber natürlich leide ich dann ein bisschen. Ich kann nicht ohne Arbeit.

Welche Entscheidung bereuen Sie rückblickend in Ihrer Karriere?

Ob es eine gute Idee war, nach Aachen zu gehen (im August 2010, Anm. d. Red.), weiß ich nicht. Ich verstand mich gut mit Erik Meijer (Sportgeschäftsführer der Alemannia zu der Zeit, d. Red.), hatte große Hoffnungen, es gab einen guten Spirit in der Gruppe. Aber dann kamen wieder die Sachen, die ich schon oft erlebt habe. Es hieß: "Benny Auer spielt auf deiner Position, der ist Kapitän und trifft immer."

Ein Jahr blieben Sie in Aachen, bestritten nur acht Spiele.

Aber der größere Fehler waren meine beiden Stationen in Österreich und der Slowakei. Wenn ich die Chance hätte, etwas aus meiner Karriere auszuklammern, würde ich das in diesen beiden Fällen tun.

Man hatte mir in Hartberg gesagt, dass sie in der Ersten Liga spielen. Aber ich wusste nicht, dass in Österreich die 2. Liga damals 'Erste Liga' hieß.

Juvhel Tsoumou

2012/13 verbrachten Sie beim TSV Hartberg, die Hinrunde der Saison 2013/14 bei FK Senica.

Das hat mich leistungsmäßig ein bisschen zurückgeworfen, das war wohl der Bruch in meiner Karriere. Ich hätte Geduld gebraucht und bei Preston North End (2011/12, d. Red.) bleiben sollen. England war schließlich immer mein Ziel gewesen. Man hatte mir in Hartberg gesagt, dass sie in der Ersten Liga spielen. Aber ich wusste nicht, dass in Österreich die 2. Liga damals "Erste Liga" hieß. Ich hatte gedacht, das sei deren Bundesliga, hatte mich auf Spiele gegen Salzburg und Co. eingestellt.

Das haben Sie erst bemerkt, nachdem Sie unterschrieben hatten?

Ja, das war natürlich mein Fehler. Zuerst hatte ich mich gefreut. Aber dann kam ich in die Kabine und dachte mir: "Oh mein Gott."(lacht) Es war trotzdem eine gute Erfahrung. Aber da wäre die 3. Liga in England rückblickend sicher die bessere Wahl gewesen. Ich war kurz vorher noch im Probetraining beim FC Brentford mit dem deutschen Trainer Uwe Rösler gewesen.

Sie haben trotz Ihrer Position in keiner 1. Liga mehr als acht Saisontore erzielt. Als welchen Spielertyp würden Sie sich beschreiben?

Ich mag es, allein vorn zu spielen, körperbetont, reibe mich gegen die Verteidiger auf. 4-2-3-1 ist mein Lieblingssystem. Ich arbeite hart, bin nie zufrieden und hasse es zu verlieren. Ich kritisiere mich selbst viel und ertrage viel Kritik von meinen Trainern. Die einzige Kritik, mit der ich nicht leben kann, ist die von meiner Mutter. Sie ist schlimmer als mein Trainer, das geht dann nämlich mindestens zwei Tage am Stück (lacht).

Tsoumou beim Tor gegen die Bayern

"Erst konnte ich es gar nicht glauben, dass es wirklich passiert ist": Bayerns Jörg Butt (li.) ist geschlagen, Juvhel Tsoumou dreht zum Jubel ab. imago sportfotodienst

Kurz nach Weihnachten sind Sie 33 Jahre alt geworden. Welche Ziele haben Sie noch in Ihrer Karriere?

Ich fange doch gerade erst an (lacht). Ich könnte bis 38 oder 40 spielen, das hängt nur von mir ab. Ich fühle mich gerade so fit wie noch nie. Und je älter ein Stürmer wird, desto cleverer.

Für die kongolesische Nationalmannschaft haben Sie drei Mal als Joker mitgewirkt, zuletzt standen Sie 2021 noch einmal im Kader.

Welcher Spieler freut sich nicht, in der Nationalmannschaft zu spielen? Aber es muss alles stimmen: Disziplin, Ehrlichkeit, Organisation. Sie wussten damals nicht, wie sie mich richtig einzusetzen hatten. 2017 spielte ich auf Zypern, hatte elf Tore oder so geschossen. In unserer Nationalmannschaft gab es sonst keinen Stürmer, der so viele hatte. Trotzdem saß ich dort auf der Bank. Ich habe nie die Chance bekommen, ein Spiel von Anfang an zu spielen. Die Hymne habe ich immer auf der Bank gesungen. Ich bin in meiner Karriere schon durch Sachen durchgegangen, die man nicht verstehen muss. Viele hätten an meiner Stelle längst aufgegeben.

Haben Sie die gelben Schuhe, mit denen Sie 2010 gegen die Bayern trafen, eigentlich noch?

Meine Mutter hat sie beschriftet mit dem Datum des Spiels damals und in ihren Keller gepackt. Die sind so gut behütet, da komme nicht mal ich ran (lächelt).

Interview: Paul Bartmuß

Ein Fünftligist dabei: Die Afrika-Cup-Abstellungen der deutschen Vereine