Champions League

HSV gegen Juve: Ein 4:4, das sogar einen Sieg verblassen lässt

Erinnerungen an Besonderheiten der Gruppenphase

Ein 4:4, das sogar einen Sieg verblassen lässt

Der Torwart als Torschütze: Jörg Butt gegen Juventus Turin.

Der Torwart als Torschütze: Jörg Butt gegen Juventus Turin. imago images

Der Hanseat gilt als eher zurückhaltend. Auf den Hamburger Fußballfan trifft dies nur bedingt zu. Dietmar Beiersdorfer, ein gebürtiger Franke und einst Profi und Vorstand beim HSV, hat einmal gesagt: "Die Ausschläge in diesem Verein sind extrem, in beide Richtungen." Im Spätsommer 2000 reicht allein die Gruppenauslosung für die Champions League aus, um die Hansestadt in Ekstase zu versetzen. Juventus Turin. Ausgerechnet. Und das auch noch zur Königsklassen-Premiere des Vereins.

1983 hatte der HSV den größten Triumph seiner Vereinsgeschichte gefeiert. Gegen Juve. In Athen wurde der turmhohe Favorit im Europapokal der Landesmeister mit 1:0 besiegt. Beim ersten Auftritt im Nachfolgewettbewerb dann also der "Besuch der alten Dame". Und was für einer. Das Volksparkstadion bebt an jenem Mittwoch, den 13. September 2000, schon vor dem Anpfiff, nostalgische Gedanken bei den Älteren mischen sich mit ungläubiger Vorfreude auf das Erlebnis Champions League bei den Jüngeren. Doch der Spielverlauf entspricht zunächst der Rollenverteilung im europäischen Fußball: Juventus geht schon nach sechs Minuten in Führung, den Ausgleich durch Anthony Yeboah kontert Filippo Inzaghi mit einem Doppelschlag. Alles scheint seinen Gang zu gehen, doch der Volkspark kühlt auch beim Stand von 1:3 nicht ab an diesem Abend, die Gemüter bleiben seltsam erhitzt. "Es hat sich für uns auf dem Platz zu jeder Zeit so angefühlt, als liegt etwas in der Luft", hat Sergej Barbarez später einmal verraten.

Durch den Volkspark dröhnt ohrenbetäubend laut: "Butt, Butt, Butt"

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Der damalige Torjäger hat bis heute immer wieder über dieses Treffen mit den Italienern sprechen müssen. Weil nicht nur der 10. und der 20. Jahrestag in Hamburg medial groß abgebildet wurden, sondern auch innerhalb des HSV der Stellenwert bedeutsam war. Über eine Dekade lief die Zusammenfassung der Partie tagein tagaus in den Fanshops. Der Grund: Der Spielfilm gibt es her.

Schon das 2:3 nach 65 Minuten durch Mehdi Mahdavikia lässt das Stadion kochen, vier Minuten später gibt es Elfmeter, und durch den Volkspark dröhnt ohrenbetäubend laut: "Butt, Butt, Butt." Torwart Jörg Butt war an der Elbe zum legendären Elfmeterschützen avanciert, die Sprechchöre waren kult und begleiteten ihn später mit nach Leverkusen. Butt tritt auch an diesem Abend an und trifft. Weil die Zuschauer auf den Tribünen nicht wissen wohin mit ihren Emotionen, fliegen erste Sitzkissen auf das Feld. Als sie eingesammelt sind, fliegen die nächsten - 4:3 durch Niko Kovac! Dann fliegt Inzaghi. Zwei Minuten vor dem Ende nutzt der Juve-Torjäger einen leichten Kontakt von Barbarez im Strafraum, verwandelt den Elfmeter selbst - zum 4:4.

Es ist eine Rückkehr des Hamburger SV auf die ganz große Bühne des europäischen Fußballs, der die Zuschauer von den Sitzen reißt, die Reporter dazu zwingt, ihre Texte für die Printausgabe des nächsten Tages innerhalb von einer halben Stunde dreimal nahezu komplett umschreiben zu müssen. Und es ist ein Abend, der auch für die Hauptdarsteller bis heute unvergessen ist. Barbarez stört außer dem durch ihn verursachten - und aus seiner Sicht natürlich unberechtigten - Elfmeter in der Retroperspektive nur eines: "Alle reden bis heute über dieses irre 4:4. Aber das Rückspiel in Turin haben wir mit 3:1 gewonnen, und manchmal denke ich, dass weiß heute keiner mehr."

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