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Neue Top-5-Liga: Wie die Eredivisie die Ligue 1 überholte

Neun Plätze in fünf Jahren gutgemacht

Die neue Top-5-Liga: Wie die Eredivisie die Ligue 1 überholte

Protagonisten des Eredivisie-Aufschwungs: Ajax Amsterdam mit Matthijs de Ligt (li.) und Edwin van der Sar (Mitte) und die PSV Eindhoven mit Roger Schmidt und Mario Götze.

Protagonisten des Eredivisie-Aufschwungs: Ajax Amsterdam mit Matthijs de Ligt (li.) und Edwin van der Sar (Mitte) und die PSV Eindhoven mit Roger Schmidt und Mario Götze. imago images (3)

Treffpunkt auf einem verlassenen Fabrikgelände, nur die Scheinwerfer erhellen die Nacht. Männer in Anzügen parken ihre Autos gegenüber voneinander. Kofferübergabe. Dann plötzlich: Khalid Boulahrouz, der Portugiesisch spricht. Schnitt.

An Originalität und dem nötigen Kleingeld mangelte es der PR-Abteilung der niederländischen Eredivisie nicht, als sie im April den Erfolg ihrer Liga in einem Kurzfilm visualisierte, in dem der ehemalige HSV-Verteidiger Boulahrouz, einer der Protagonisten der legendären "Schlacht von Nürnberg" bei der WM 2006 zwischen den Niederlanden und Portugal, die Hauptrolle spielt. In dem Koffer, den er öffnet, befinden sich Tickets - unter anderem für die Gruppenphase der Champions League.

Die "Schlacht von Nürnberg"

Kurz zuvor hatte die niederländische Eredivisie ihren Vorsprung auf die portugiesische Liga uneinholbar vergrößert. Platz sechs in der UEFA-Fünfjahreswertung - erstmals seit 2001. Ab der Saison 2024/25 werden gleich zwei niederländische Mannschaften direkt für die Königsklasse qualifiziert sein.

Und ein Jahr später könnten es noch mehr werden. Zum Start in die neue Saison liegen die Niederlande sogar knapp vor Frankreich. Muss der feststehende Begriff der "europäischen Top-5-Ligen" neu gedacht werden? Wenn ja, dann wäre es wohl der größte Umschwung, den eine europäische Liga in den vergangenen Jahren erlebt hat.

Ein Blick zurück. 2018 noch lag die Eredivisie im UEFA-Ranking auf Platz 14 - eingequetscht zwischen der tschechischen Fortuna Liga und der griechischen Super League, überholt von der Ukraine, Belgien, Österreich, der Schweiz. Und die WM in Russland fand ganz ohne Beteiligung des dreimaligen WM-Finalisten statt. Ein Tiefpunkt, selbstverschuldet. "Wir drohten, in einem Koeffizientensumpf zu versinken", ordnete der niederländische Journalist Michel Abbink die Situation in einer Liga-Mitteilung ein.

Blamagen in den Quali-Runden: Der Sommer wird zum Horror

Die Zeit Mitte der 10er-Jahre, erklärte der damalige Ajax-Coach Erik ten Hag 2021, sei eine gewesen, "in der einige niederländische Vereine und Trainer den europäischen Fußball nicht so ernst genommen haben". Vor allem die Sommermonate kosteten die Liga ordentlich Punkte. "Wir haben uns oft nicht gut auf die Qualifikationsrunden zur Champions League oder Europa League vorbereitet, sind dann naiv auf die Gegner zugegangen."

2013 scheiterte der FC Utrecht etwa in der Europa-League-Qualifikation am FC Differdange, der zuvor Vierter der luxemburgischen Liga geworden war. Ajax ging 2016 gegen den russischen Vertreter FK Rostow regelrecht unter, die PSV Eindhoven verlor 2017 beide Spiele gegen NK Osijek aus Kroatien - Juli und August wurden zu den Horror-Monaten für den niederländischen Fußball. Punkte kann nur sammeln, wer überhaupt Vereine in die Gruppenphasen der Wettbewerbe bekommt.

Niederländische Quali-Blamagen

In den Niederlanden waren die frühen Qualifikationsrunden weit vor dem Ligastart aber eher noch Teil der Saisonvorbereitung. "In diesen Runden kommt es immer darauf an, dass man sich mit dem Gegner auseinandersetzt, weil man ihn meistens nicht gut kennt", erklärte ten Hag. "In dieser Phase haben wir das in den Niederlanden nicht gut genug gemacht."

Der heutige Coach von Manchester United gehörte maßgeblich zu den Treibern der Veränderung. Bei Ajax verlegte er den Vorbereitungsstart vor, um bereits in den Qualifikationsrunden auf Top-Niveau spielen zu können. Und weil Ajax in den Niederlanden das Vorbild für so ziemlich alle anderen Vereine ist, dauerte es nicht lange, bis das Vorgehen auch in der Breite Schule machte.

Auch Letsch und Schmidt halfen mit

Dass die Eredivisie in den Folgejahren zum großen Aufschwung ansetzte, war natürlich nicht nur ten Hags Verdienst, sondern vielmehr ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Der zuvor überschaubare Spieler-Pool wurde von einer Generation an Talenten wie Frenkie de Jong, Matthijs de Ligt oder Cody Gakpo belebt, gleichzeitig bewegten sich die Klubs weg von reinen Ausbildungsvereinen und investierten - wie bei Sebastien Haller oder Mario Götze - in international erprobte Klasse. Und auch ein wenig Deutschland steckt im niederländischen Erfolg. "Dass Trainer wie Thomas Letsch und Roger Schmidt gekommen sind, hat zu mehr Realismus geführt", lobte ten Hag einst.

Roger Schmidt, Mario Götze

Brachten den niederländischen Fußball voran: Roger Schmidt (li.) und Mario Götze in Eindhoven. IMAGO/Revierfoto

Auch die Liga selbst hat Akzente gesetzt. Ende 2018, die Eredivisie steckte in der vielleicht größten Depression ihrer Geschichte, verabschiedete die Liga die sogenannte "Veranderagenda" mit mehreren Maßnahmen zur qualitativen Verbesserung des Fußballs in der Eredivisie und gab damals das Ziel aus, wieder in die Top 8 der europäischen Ligen aufzusteigen.

Dass das in weniger als drei Jahren schon gelungen war, spricht dafür, dass der langfristig ausgelegte Plan nicht den Hauptteil der Aktien hielt, einzelne Maßnahmen wie der spätere Einstieg der Europacup-Teams in den nationalen KNVB-Pokal könnten aber durchaus bereits Wirkung gezeigt haben.

Gerade auch aufgrund solcher Maßnahmen sprach Liga-Boss Jan de Jong im April von einem "kollektiven Erfolg aller Vereine der ersten Liga". Beim Blick auf die Zahlen nicht ganz unberechtigt, denn hinter dem Primus aus Amsterdam und Dauer-Konkurrent PSV Eindhoven haben sich vor allem Klubs aus der zweiten Reihe wie Feyenoord Rotterdam oder AZ Alkmaar als Punktesammler hervorgetan, die in den vergangenen fünf Jahren beispielsweise mehr Punkte holten als die französischen Vertreter Marseille, Lille, Monaco und Nizza.

Die Conference League hat viel zu unserem Aufstieg beigetragen.

Edwin van der Sar

In diesem Zusammenhang wird jedoch ein Punkt ganz besonders relevant, von dem die niederländischen Klubs zuletzt enorm profitierten: die Einführung der Europa Conference League. "Die Conference League hat viel zu unserem Aufstieg beigetragen", sagte der inzwischen zurückgetretene Ajax-Geschäftsführer Edwin van der Sar im März. Der einstige Weltklasse-Keeper, der sich aktuell von einer im Urlaub erlittenen Hirnblutung erholt, war als stellvertretender Vorsitzender der europäischen Klub-Vereinigung ECA maßgeblich an der Einführung des Wettbewerbs beteiligt, die den Niederlanden wie kaum einem anderem Land in die Karten spielt.

Hoher Stellenwert der Conference League

Während Vereine aus den Top-Ligen in der Conference League mitunter ihre Spieler schonen, damit sie beim Liga-Spiel drei Tage später nicht müde sind und Juventus Turin sich mehr oder weniger freiwillig hat ausschließen lassen, genießt die ECL in den Niederlanden einen vergleichsweise hohen Stellenwert. Mit Ausnahme von Ajax kann sich eigentlich kein Eredivisie-Klub realistische Chancen auf einen Sieg in der Champions oder Europa League ausrechnen - in der Conference League aber schon. Bei der Erstauflage 2022 kam Feyenoord bis ins Finale, zuletzt drang Alkmaar ins Halbfinale vor.

Conference-League-Finale 2022

"Ein Verein wie Feyenoord hat die Früchte geerntet", so van der Sar. "Aber eigentlich sind es die ganzen Niederlanden, die profitieren." Denn Alkmaar holte durch das Erreichen des Conference-League-Halbfinals genau so viele Punkte für die Fünfjahreswertung wie Paris St. Germain, das in der Champions League ins Achtelfinale kam.

So groß die Diskrepanz zwischen den beiden Wettbewerben in Sachen Zuschauerinteresse und Fernsehgeld sein mag - bei den Punkten für das UEFA-Ranking sind die Unterschiede überschaubar. Das Einzahlen in die Conference League, das wird am Beispiel Niederlande klar, ist für die Fünfjahreswertung äußerst rentabel.

Und so darf sich die Liga, die vor vier Jahren noch keinen einzigen festen Startplatz in der Königsklasse hatte, berechtigte Hoffnungen machen, bald sogar mit gleich drei fixen Teilnehmern an der Champions League teilzunehmen. Denn: Behält die Eredivisie in der anstehenden Saison den knappen Vorsprung vor der Ligue 1, profitieren die niederländischen Topklubs von der Champions-League-Reform, die ab 2024 greift. Diese sichert nämlich dem fünftplatzierten Land der Fünfjahreswertung - aktuell noch Frankreich - einen zusätzlichen festen Platz in der Königsklasse zu.

Nun wird die Punkteregelung vom Profitfaktor zur Problematik

AZ Alkmaar gegen Lazio Rom

Auch den großen Gegnern gewachsen: AZ Alkmaar schaltete in der vergangenen Conference-League-Saison unter anderem Lazio Rom aus. IMAGO/Action Plus

Während dieses Szenario durchaus greifbar scheint, ist eine dauerhafte Wachablösung in den europäischen Top-5-Ligen eher unwahrscheinlich - und paradoxerweise hängt das mit dem vergangenen Erfolg der Eredivisie zusammen. In der kommenden Saison wird die Liga ein Team mehr nach Europa schicken - dieses wird in der Champions League antreten. In den anderen Wettbewerben und Qualifikationsphasen bleibt die Anzahl der Teams gleich.

Nun wird die Punkteregelung vom Profitfaktor zur Problematik: In der Champions League kann ein Klub wie Feyenoord höchstwahrscheinlich nicht so viele Punkte holen wie in der Europa League, ein Klub wie Alkmaar in der Europa League nicht so viele wie in der Conference League.

Und durch den zusätzlichen Teilnehmer erhöht sich auch der Quotient, durch den die Gesamtpunktzahl geteilt wird. Die Ligue 1 würde hingegen von mehr Teams in schwächeren Wettbewerben profitieren. Während Marseille oder Monaco in einer Champions-League-Gruppenphase kaum punkten können, können sie in der Europa oder Conference League weit kommen.

Den sechsten Platz zu halten, wird auf Dauer schwierig.

Edwin van der Sar

Auch deshalb will in den Niederlanden niemand davon sprechen, den fünften Platz dauerhaft anzugreifen. Viel eher geht der Blick in den Rückspiegel. "Wir befinden uns in einer großen Schlacht mit Portugal", sagte etwa van der Sar im März. "Den Platz zu halten, wird schon auf Dauer schwierig, weil die portugiesischen Spitzenklubs einen großen finanziellen Vorsprung durch die TV-Gelder haben." Und auch Liga-Boss de Jong bremst: "Der sechste Platz ist unglaublich wichtig für die Attraktivität der Eredivisie, das kommerzielle Wachstum und die finanzielle Stabilität der Vereine. Jetzt müssen wir gemeinsam daran arbeiten, dass wir diesen Platz behalten."

Klingt nicht gerade nach einer Kampfansage in Richtung Platz fünf. Khalid Boulahrouz hat also vielleicht noch etwas Zeit für Schauspielunterricht.

Michael Bächle, Jan Leerkes

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