Conference League

Eintracht: Kritik an Toppmöller kein Alibi für Versagen

Kommentierende Analyse nach dem Tiefschlag in Europa

Die Kritik an Toppmöller ist kein Alibi für das Versagen der Spieler

Ernüchterung in Frankfurt: Dino Toppmöller und die Eintracht sind an Saint-Gilles gescheitert.

Ernüchterung in Frankfurt: Dino Toppmöller und die Eintracht sind an Saint-Gilles gescheitert. IMAGO/Jan Huebner

Exakt drei Wochen vor der Bankrotterklärung gegen Royal Union Saint-Gilloise schrieb der kicker, dass die Eintracht "eine der spannendsten Aktien im deutschen Fußball ist". Frankfurt war bis auf zwei Punkte an Leipzig herangerückt und hatte in der jüngsten Transferperiode einige prominente Namen (Kalajdzic, van de Beek, Ekitiké) verpflichtet. Die Voraussetzungen waren geschaffen, um anzugreifen, sollte ein Team aus den Top 5 der Liga schwächeln. Nur fünf Spiele später ähnelt der Kursabsturz der taumelnden Eintracht dem des insolventen Unternehmens Wirecard im Juni 2020.

Spielbericht

Am 3. Februar folgte beim Abstiegskandidaten Köln (0:2) die erste große Ernüchterung. Vorstandssprecher Axel Hellmann betonte zwei Tage später auf der auf der Mitgliederversammlung dennoch: "Das ist sicherlich eine der besten Eintracht-Mannschaften, seit ich Verantwortung bei der Fußball AG trage." Das sind mittlerweile mehr als zwei Dekaden, 2003 wurde der Jurist in den Aufsichtsrat berufen. Hellmann forderte auf der Mitgliederversammlung, "Grenzen zu verschieben", sprach aber auch eine Mahnung aus: "Transfergeschäfte schießen keine Tore, sondern allein die Leistung auf dem Platz."

Ein Team ohne Seele und Spielidee

Und die stimmte in diesem Kalenderjahr in keinem einzigen Spiel. Immer mal wieder flackerte während der 90 Minuten ein Strohfeuer auf, die Mannschaft schaffte es aber nicht, über 90 Minuten zu überzeugen. Aus den fünf Spielen gegen Darmstadt (2:2), Mainz (1:0), Köln (0:2), Bochum (1:1) und Freiburg (3:3) holte die SGE lediglich sechs Punkte. Das wäre noch zu verschmerzen, doch im Play-off-Rückspiel gegen Union Saint-Gilloise versagten Trainer und Mannschaft auf ganzer Linie. Nach dem blamablen DFB-Pokal-Aus in Saarbrücken (0:2) warfen sie die nächste Titelchance weg wie eine alte Zeitung. Noch vor dem Anpfiff hatten selbst die nüchtern kalkulierenden Buchmacher Frankfurt direkt hinter Aston Villa und der AC Florenz als Titelfavorit eingestuft.

Europapokal in Frankfurt. Das heißt normalerweise: Eine ganze Stadt ist auf den Beinen und schon Tage vorher hibbelig, die Luft knistert vor Spannung, das Stadion bebt im Flutlicht, eine Elf zerreißt sich. Am Donnerstag aber stand keine Mannschaft auf dem Feld, keine Einheit. Kollektives Angriffspressing und Verteidigen fanden nicht statt. Die Gäste aus Belgien hatten es leicht, sich durch das Mittelfeld zu kombinieren. Planlos bolzte die Eintracht die Bälle nach vorne. Es spielte ein Team ohne Seele und ohne Spielidee. Einen vergleichbaren sportlichen Tiefpunkt gab es in den vergangenen Jahren nicht.

Toppmöller unterlaufen schwerwiegende Fehler

Dino Toppmöller ist nach diesem Offenbarungseid schwer angeschlagen. Sportvorstand Markus Krösche stärkte dem Trainer nach dem Schlusspfiff zwar den Rücken, doch ob der 43-Jährige noch einmal die Kurve bekommt, steht in den Sternen. Gegen Saint-Gilles unterliefen ihm schwerwiegende Fehler.

Nach dem Hinspiel in Anderlecht hatte er zu Recht den Ausfall der Führungsspieler Mario Götze und Ellyes Skhiri beklagt: "Gerade im zentralen Mittelfeld haben wir zwei Spieler, die Erfahrung haben und die jungen Spieler sowohl im Pressing als auch in Ballbesitz anleiten und korrigieren müssen. Es geht um Kommunikation und Leadership auf dem Platz. Ich erwarte, dass sie das Heft des Handelns in die Hand nehmen." Umso mehr erstaunt es, dass er im Rückspiel abermals auf dieses Duo setzte. Der in der Hinrunde lange verletzte Kapitän Sebastian Rode ist laut eigener Aussage und auch Toppmöllers Einschätzung inzwischen fit genug für einen Einsatz von Beginn an. Nicht nur kämpferisch ist der 33-Jährige wenige Monate vor seinem Karriereende ein leuchtendes Vorbild, er agiert auch dynamischer als Skhiri und Götze.

Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel begründete Toppmöller seine Entscheidung damit, dass er keine Spieler in die Startelf beordern wollte, deren Kraft nicht für die komplette Spielzeit reicht. Eine wenig plausible Erklärung in Zeiten, in denen man fünfmal wechseln darf. Selbst wenn bei einer Führungskraft wie Rode die Kraft nur für 60 Minuten reichen sollte, gehört er in die erste Elf. Zumindest, solange der verletzte Achter Larsson nicht zur Verfügung steht. Als Ruhepol auf der Sechs kann Skhiri zwar enorm wertvoll sein, mit Götze an seiner Seite fehlt dem Zentrum aber jegliche Dynamik. Hinzu kommt: Auch Skhiri läuft nach dem Afrika-Cup seiner Form weit hinterher.

Spätestens zur Halbzeit hätte Toppmöller reagieren und wechseln müssen. Stattdessen wartete er selbst nach dem 0:1 in der 47. Minute eine weitere Viertelstunde, bis er die ersten Veränderungen vornahm. Mit dieser Zögerlichkeit macht er sich angreifbar. Geradezu absurd wurde es, als er in der Schlussphase Timothy Chandler einwechselte. Den 33-jährigen Herzblut-Eintrachtler hatte er in dieser Saison komplett links liegen gelassen, nur beim 6:0 gegen Helsinki einen Kurzeinsatz gegönnt. Ohne jeglichen Spielrhythmus sollte nun ausgerechnet Chandler mithelfen, das Spiel zu drehen? Eine verwegene Idee, letztlich aber nicht entscheidend an diesem trostlosen Abend.

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Das Trainer-Alibi sollte man den Spielern nicht geben

Trotz aller Kritik wäre es unfair, allein Toppmöller den Schwarzen Peter zuzuschieben. Dieses Alibi sollte man den Profis nicht geben. Natürlich trägt der Trainer die Gesamtverantwortung, doch wenn derart viele Spieler ihrer Form hinterherlaufen und sich seit Wochen reihenweise Blackouts erlauben, müssen auch sie in die Verantwortung genommen werden. Um nur drei Beispiele zu nennen: Tuta stellte sich zum wiederholten Male wie ein Schüler an, Götze ließ jegliche Ernsthaftigkeit in der Zweikampfführung vermissen und Niels Nkounkou agierte wie so oft als unberechenbarer Bruder Leichtfuß.

Diese Defizite sind Toppmöller ebenso wenig anzulasten wie die schwere Verletzung von Sasa Kalajdzic (Kreuzbandriss), der als Hoffnungsträger für den Sturm kam und im Hinspiel in Belgien sein erstes Tor für die Eintracht geschossen hatte. Nur zur Erinnerung: Schon Toppmöllers Vorgänger Oliver Glasner verzweifelte unter anderem an Tutas Unzuverlässigkeit. Dass Krösche im Januar auf die Verpflichtung eines gestandenen Verteidigers verzichtete, war ein Risiko, das nun bestraft wird.

Die Eintracht muss nun höllisch aufpassen, die Saison nicht völlig in den Sand zu setzen und im Jahr des 125-jährigen Vereinsjubiläums all das einzureißen, was sie in den vergangenen Spielzeiten mit harter Arbeit aufgebaut hat. Allein die Schwäche der Konkurrenz ist dafür verantwortlich, dass die Hessen noch auf Platz 6 stehen. Der Treppenwitz: Sollte dieser Rang am Ende lediglich für die Conference League reichen, würde das in Frankfurt - anders als im vergangenen Mai - keinerlei Begeisterung auslösen.

Eric Junior Dina Ebimbe trifft zu spät zum 1:2

87. Minute: Eric Junior Dina Ebimbe (re.) trifft zu spät zum 1:2. BELGA MAG/AFP via Getty Images

Die Eintracht hat in der Conference League kolossal Schiffbruch erlitten

Wer gegen Saint-Gilles, Aberdeen und zweimal gegen PAOK Saloniki verliert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, diesen Wettbewerb nie richtig angenommen zu haben. Das ist insbesondere aufgrund der bis zuletzt durchaus reellen Chance, bis ins Finale nach Athen vorzustoßen, nicht zu verstehen. So bleibt nur das Fazit, dass die Eintracht in der Conference League kolossal Schiffbruch erlitten hat.

Die Hoffnung: Gewinnt Leverkusen den DFB-Pokal, berechtigt der sechste Platz zur Teilnahme an der Europa League. Diesen Rang gilt es nun unter allen Umständen zu verteidigen. Mit Toppmöller? Viele Fans fordern die Entlassung. Doch wenn es nach der Stimmung im Umfeld gegangen wäre, hätte auch Europa-League-Sieger Glasner die ersten Monate im Amt nicht überlebt. Als nüchterner Analytiker lässt sich Krösche nicht von Stimmungen treiben. Das ist gut so. Trotzdem stellt sich angesichts der ausbleibenden Entwicklung die Trainerfrage.

Toppmöller muss jetzt Härte zeigen

Toppmöller lebt und liebt die Eintracht seit Kindestagen - schon Vater Klaus saß bei der SGE auf der Trainerbank -, präsentiert sich nahbar und bodenständig, überzeugt mit seinen fachlichen Analysen und hat nachgewiesen, Spieler entwickeln zu können. Erinnert sei allen voran an Hugo Larsson und Omar Marmoush. Es wäre ihm und der Eintracht zu wünschen, dass er die Kurve bekommt, bevor die Mechanismen des Geschäfts greifen. Zumal keineswegs sicher ist, dass sich der Himmel über dem Waldstadion unter einem neuen Fußballlehrer urplötzlich rosarot färbt.

Vorschau

Das kommende Heimspiel gegen Wolfsburg wird zeigen, ob es Toppmöller schafft, die Mannschaft nach dem Tiefschlag aufzurichten und in die Erfolgsspur zurückzuführen. Im Dezember ist ihm das nach dem Pokal-Aus in Saarbrücken gelungen, anschließend fegte die Eintracht mit 5:1 über die Bayern hinweg - eine unerwartete Kehrtwende.

Toppmöller muss jetzt Härte zeigen. Götze, Tuta und Skhiri haben bis auf weiteres nichts mehr in der Elf verloren. Makoto Hasebe ist mit seinen 40 Jahren gewiss kein Heilsbringer mehr, gehört mit seiner immensen Erfahrung in dieser schwierigen Phase aber in die Elf. Im Mittelfeld führt an Rode kein Weg vorbei, zudem sollte gegen Wolfsburg Donny van de Beek eine Chance erhalten. Schlechter als seine Vorgänger kann es der Niederländer auch nicht machen. Vorne sollte Toppmöller Ekitiké und Marmoush als Doppelspitze aufbieten, Fares Chaibi auf der Zehn dahinter platzieren. Links gehört wieder Philipp Max in die Elf, rechts der dynamische Eric Junior Dina Ebimbe. Die damit einhergehende 3-5-2-Grundordnung könnte dem Team die nötige Power gegen kompakte Wolfsburger verleihen.

Mindestens ebenso wichtig wird es sein, dem Team einen klaren, einfachen Plan an die Hand zu geben. Zu oft wirkt es so, als müssten die Spieler auf dem Feld überlegen, wohin sie laufen und passen sollen. Das mündet in einfachen Fehlern, mangelhafter Kompaktheit und Orientierungslosigkeit. Nur mit einer deutlichen Ansprache, kompromisslosen Entscheidungen und einem leicht umzusetzenden Matchplan kann Toppmöller die Wende schaffen und seinen Job retten. Der Trainer muss jetzt wie ein Löwe kämpfen - und die Mannschaft mitreißen.

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