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NFL, Adrian Franke: Der beispiellose Kollaps der Eagles

Four Downs: Die NFL-Kolumne von Adrian Franke

Der beispiellose Kollaps der Eagles - und die MVP-Frage ist entschieden

Jalen Hurts und die Philadelphia Eagles taumeln den Play-offs entgegen.

Jalen Hurts und die Philadelphia Eagles taumeln den Play-offs entgegen. Getty Images

FIRST DOWN: Der Kollaps der Eagles ist beispiellos

Ich musste wirklich lange nachdenken, um auf ein Team zu kommen, das vergleichbar mit dem ist, was mit den Eagles in der Schlussphase dieser Regular Season passiert. Spoiler: Ich habe keines gefunden, und auch die Community tat sich schwer damit. Nicht nur wegen der vier Niederlagen in den letzten fünf Spielen, sondern mehr noch aufgrund der Art und Weise, wie dieser Kollaps gerade passiert.

Das ist ein Team, das sich von der individuellen Qualität her vor kaum jemandem in der NFL verstecken muss. Eine Elite-Offensive-Line, eines der besten Receiver-Duos der Liga, ein sehr guter Tight End, ein explosives Backfield, ein Quarterback, den man bezahlt hat und eine Defensive Line gespickt mit First-Round-Picks und Spielern, die gut dotierte Verträge bekommen haben.

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Das ist ein Team, das keine nennenswerten Verletzungen hat. Wenn die Play-offs anfangen, ist es eine gute Übung, zu schauen, welche Teams die gesündesten sind - und nicht selten sind das auch Anwärter auf einen Postseason-Run. Philadelphia spielte am Sonntag gegen Arizona mit 20 seiner 22 Starter, inklusive alle elf Offense-Starter. Linebacker Zach Cunningham und Cornerback Darius Slay waren die einzigen beiden Ausfälle.

Das reichte ganz offensichtlich, um gegen ein Cardinals-Team im tiefsten Rebuild 32 First Downs zuzulassen, 449 Yards und knapp 40 Minuten Ballbesitz. Noch drastischer formuliert: Die Eagles-Defense hatte eine Success Rate von 40,8 Prozent, Philadelphias schlechtestes Defense-Spiel in der Hinsicht seit 17 Jahren.

Es ist ein beispielloser Kollaps für ein Team, das als amtierender NFC-Champion in die Saison ging, legitime Titelansprüche hatte und nach Woche 12 und den Siegen gegen Miami, Dallas, Kansas City und Buffalo diese Ansprüche zu bestätigen schien.

Coach Nick Sirianni und Quarterback Jalen Hurts von den Eagles

"Ratlosigkeit" beschreibt die Situation bei den Eagles am besten Getty Images

Cardinals dominieren die Line of Scrimmage

Zumindest auf dem Papier wirkte das so. Die Ergebnisse waren in den ersten beiden Saisondritteln da, und angesichts eines absolut brutalen Schedules war das in dem Moment "gut genug". Die kritischen Fragen waren vereinzelt da, aber eben auch mehr in einem "Meckern auf hohem Niveau"-Sinne.

Dieses letzte Saisondrittel vor den Play-offs untermauert, dass die Probleme mehr waren als das. Dieses Team wirkt identitätslos, richtungslos und ohne jegliches Selbstvertrauen und das ist wahnsinnig irritierend, wenn man überlegt, was für ein Team die Eagles in der vergangenen Saison waren. Mit welchem Selbstverständnis Philadelphia in seinem eigenen Stil letztes Jahr Teams überrannt hat.

Das Cardinals-Spiel konkret hat einige Schwachstellen in diesem Kader auf eindrucksvolle Art und Weise untermauert. Ich denke nicht, dass es aktuell eine Linebacker- und Safety-Gruppe gibt, die weniger explosiv, weniger athletisch, weniger dynamisch ist als das, was Philadelphia hat. Und gerade auf Linebacker ist das ein kalkuliertes Risiko, Philadelphia steckt seit Jahren wenige Ressourcen in diese Position, dieses Jahr fällt das den Eagles auf dramatische Art und Weise auf die Füße.

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Und das auch, weil die hochkarätige Defensive Line nicht ansatzweise so dominant ist, wie sie es sein sollte - beziehungsweise, wie sie es sein muss, damit diese Defense funktioniert. Arizona dominierte dieses Spiel am Boden, die Cardinals liefen den Ball 40 Mal für 221 Yards. Sie attackierten die Schwachstellen in der Front, sie brachten Blocker auf das zweite Level gegen eben jene Linebacker, sie nutzten Murrays Qualitäten als Runner - und Philadelphia fand keine Antworten.

Philadelphia steht und fällt mit dem Run Game

Das war der eine Offenbarungseid: Die Tatsache, dass die Eagles defensiv an der Line of Scrimmage dominiert wurden, was in der Folge die größeren Baustellen auf dem zweiten und dritten Level gnadenlos offenlegte.

Der andere Offenbarungseid lag auf der anderen Seite des Balls und ist in meinen Augen noch eklatanter: Philadelphia schaffte es nicht, gegen die in puncto individuelle Qualität schlechteste Defensive Front in der NFL das Spiel mit dem eigenen Run Game zu kontrollieren.

Das ist nicht zu entschuldigen, und das steht noch mehr stellvertretend für ein Team, das seine Identität verloren hat. Denn in der vergangenen Saison haben wir es von den Eagles regelmäßig gesehen, dass sie solche Spiele selbst an der Line kontrollieren und so gnadenlos scoren, dass ein eindeutig schwächer besetztes Team in der zweiten Hälfte gar keine Chance hatte, um zurück zu kommen, wo dann der Pass-Rush den Rest erledigt hat.

Extreme Play-off-Dürrephasen in der NFL: Wer hat am längsten gewartet?

Wenn ich einen sportlichen Takeaway aus dieser Eagles-Saison mitnehmen müsste, dann wäre es der, dass Philadelphia nach dem Abgang von Shane Steichen komplett seine Rushing-Dominanz der vergangenen Saison verloren hat, was wiederum mehr Druck auf das Passing Game legte, wo Schwachstellen bei Jalen Hurts, vor allem aber im Scheme offengelegt wurden. Es ist eine super simple Offense, in der die simplen Knöpfe dieses Jahr nicht funktionieren, und eine Anpassung hat nie stattgefunden.

In der vergangenen Saison hatte Philadelphia als einziges Team eine Rushing Success Rate von über 50 Prozent und kreierte 0,072 EPA pro Run (kein anderes Team über 0,035). In der laufenden Spielzeit stehen die Eagles bei einer Success Rate von unter 45 Prozent sowie bei negativen EPA pro Run (-0,014, Platz 7).

Ein dramatischer Dropoff. Und auch hier kann man Hurts nicht komplett freisprechen, Hurts wirkt als Runner dieses Jahr zögerlicher und längst nicht so dynamisch, wie in der vergangenen Saison. Auch hier lohnt sich der Blick in die vergangene Saison: Hurts hatte letztes Jahr in der Regular Season 26 Runs über mindestens zehn Yards, dieses Jahr steht er bei 18. Zwölf Prozent seiner Rushing-Yards letztes Jahr kamen bei Breakaway-Runs (15+ Yards), dieses Jahr sind es nicht einmal drei Prozent.

Eagles: Nick Sirianni vor einer wegweisenden Offseason

Gleichzeitig haben die Eagles zu wenig dahingehend unternommen, das Run Game anders zu strukturieren und es weniger um Hurts herum aufzubauen, was wiederum auf die Coordinator-Thematik zurückführt - aber natürlich auch Hurts in den Fokus rückt, der wie ein Franchise-Quarterback bezahlt wurde, und dieses Vertrauen sportlich in der laufenden Saison nicht rechtfertigen kann.

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Die Eagles fühlten sich vor wenigen Monaten noch wie die vielleicht stabilste Organisation in der NFL an. Eine Franchise, die einen großartigen Kader aufgebaut hat, mit nachhaltiger Draft-Strategie, einer klaren Philosophie im Roster Building und einer klaren Identität auf dem Platz. Kurz vor dem Start der Play-offs scheint von diesem Selbstverständnis kaum noch etwas übrig zu sein.

Kritische Fragen werden gestellt werden müssen nach dieser Saison. Nick Sirianni konnte den Verlust seiner beiden Coordinators offensichtlich nicht kompensieren, und die absurde Matt-Patricia-Episode (er ersetzt Sean Desai aber er ist nicht der Defensive Coordinator, und warum genau vertraut er Patricia überhaupt in dieser Hinsicht?) wirft ein noch schlechteres Licht darauf.

In den Play-offs kann natürlich viel passieren, aber die Eagles fühlen sich aktuell nach einem One-and-Done-Team an. Und dann wird es für Sirianni eine wegweisende Offseason, denn auch wenn sein Record als Head Coach bislang sehr gut ist: Er muss jetzt zeigen, dass er Antworten finden kann. Bisher hat er das nicht.

Cardinals: Kyler Murray und die Quarterback-Entscheidung

Aber auch die Cardinals-Perspektive sollte hier nicht zu kurz kommen. Mit dem Sieg gegen die Eagles verabschiedet sich Arizona vor Woche 18 aus den Top-2 im kommenden Draft. Washington hält diesen Pick jetzt und mit einem Spiel gegen die Cowboys im Regular-Season-Finale vor der Brust, kann man davon ausgehen, dass die Commanders den Nummer-2-Pick nicht mehr abgeben.

Für Arizona war dieses Spiel vielleicht mehr als sonst irgendetwas eine Bestätigung dahingehend, dass man weiter um Murray aufbaut. Dass man dieser Offense erst einmal ein Gerüst geben muss. Allein die Tatsache, dass die Cardinals vermutlich keinen der beiden Top-Picks haben werden, manifestiert diese Entscheidung vermutlich - ich halte es aber auch so für den richtigen Schritt.

Wenn es um diese Franchise-Weichenstellungen geht, ist es wichtig, zu betonen, dass sie nie im Vakuum stattfinden. Ein Beispiel: Ich halte es für eine absolut legitime Roster-Building-Lehre aus den letzten Jahren, dass ernsthafter Value darin liegt, erst ein starkes Gerüst zu haben, bevor man den Quarterback dort hinein setzt.

Gar nicht so sehr angesichts der positiven Beispiele - Patrick Mahomes oder Lamar Jackson hätten auch woanders Erfolg gehabt, wenn auch vielleicht nicht so schnell -, sondern eher angesichts der negativen Beispiele, gewissermaßen als Warnung.

Kyler Murray von den Arizona Cardinals

Kyler Murray hatte gegen die Eagles sein bestes Saisonspiel. Getty Images

Das Problem mit der Quarterback-Frage

Eines davon sind die Cardinals selbst, die 2018 das mit Abstand schlechteste Team in der NFL waren, 2019 Murray gedraftet haben, und 2021 versucht haben, All-In zu gehen.

Mit einem Kader, dem nach wie vor die Substanz fehlte und der an kritischen Spots zu dünn oder mit alternden Veterans besetzt war. Das ganze Konstrukt fiel dann 2022 in sich zusammen und verlangte einen radikalen Neustart.

Ganz so extrem wird der Umbruch bei den Chargers vielleicht nicht ausfallen müssen, aber auch sie sind ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man sich einen Papiertiger aufbaut weil man unbedingt das Rookie-Vertragsfenster des Quarterbacks ausnutzen will, der Kader aber eigentlich noch nicht die grundlegende Stabilität dafür hat.

Ein Team, das im absoluten Best Case oben mitspielen kann - aber den gibt es selten in der NFL. Verletzungen passieren, Spieler fallen in ein Formtief, insbesondere ältere Stars können einen plötzlichen, radikalen Leistungseinbruch haben. Jacksonville ist gerade auf einem ähnlichen Kurs unterwegs.

Die jeweilige Karriere bis dato, sowie die allgemeine Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit von Kyler Murray, Justin Herbert und Trevor Lawrence wäre mit Sicherheit eine andere, wären diese Quarterbacks in funktionierenden Teams mit bereits einer stabileren Basis, auf der man nachhaltig aufbauen kann, gelandet.

Der Gegenpunkt zu diesem Beispiel ist eben, dass diese Entscheidungen nicht im Vakuum stattfinden und das muss man berücksichtigen. Die Frage nach der Gelegenheit ist hier essenziell: Gerade auf der Quarterback-Position, wo sich Teams so schwer damit tun, echtes Elite-Talent zu finden, ist es nur bedingt ratsam, wenn man schon einen Top-Pick und keinen klaren Top-10-Quarterback hat, die Chance auf ein Quarterback-Upgrade verstreichen zu lassen.

Und hier kann sich die Katze in den Schwanz beißen. Nehmen wir die Cardinals: Ich halte es für durchaus möglich, dass Drake Maye perspektivisch irgendwann ein Upgrade gegenüber Kyler Murray darstellt.

Aber wird er sein Potenzial auch entfalten können, wenn er in diese Offense kommt? Und wie lange wird es dauern? Lange genug, dass Arizona nochmal hoch pickt, und in zwei Jahren wieder die Quarterback-Frage auf dem Tisch ist?

Arizona wäre gut beraten, weiter in sein Grundgerüst zu investieren, die richtungsweisende Quarterback-Frage muss in dieser Offseason nicht auf dem Tisch sein. Und Murray hat am Sonntag dazu beigetragen, dass sie das vermutlich auch nicht sein wird.

SECOND DOWN: QB-Auftritt der Woche - Lamar Jacksons MVP-Case

In dieser festen Kategorie soll es um einen Quarterback gehen, der diese Woche eine Partie hatte, die gesondert betrachtet werden muss. Dabei geht es nicht zwangsläufig um den besten Quarterback der Woche - es kann auch mal der schlechteste der Woche hier behandelt werden -, sondern auch um übergreifende Punkte. Diesen Quarterback analysiere ich ausführlich und präsentiere ihn euch hier.

Es gibt für mich im Moment kein Team in der NFL, das auf so vielseitige Art und Weise gewinnen kann, wie Baltimore. Man hat eine Top-3-Defense, ein gutes Run Game und eine gefährliche Passing Offense, das für sich betrachtet ist schon eine sehr gute Startposition.

Aber man kann dieses Argument auch nochmal spezifisch auf Quarterback Lamar Jackson anbringen. Wir haben Spiele von ihm gesehen, in denen er am Boden explodiert. Wir haben Spiele gesehen, die er als Playmaker im Passspiel an sich reißt. Wir haben Spektakel gesehen, aber worauf ich bei ihm dieses Jahr immer wieder zurückkomme, ist die Tatsache, dass er deutlich besser als In-Rhythm-Passer spielt. Der dominante Sieg gegen die Dolphins, welcher Baltimore vorzeitig den Nummer-1-Seed in der AFC beschert hat, war ein sehr gutes Beispiel dafür. Und das auf eine Art und Weise, die ich so in diesem Matchup definitiv nicht erwartet hatte.

Gleich das erste Play der Ravens-Offense in diesem Spiel war ein Play-Action-Shot auf Rashod Bateman, der einen kurzen Cut nach innen antäuschte und dann vertikal ging. Und das sollte das Thema dieser Partie werden.

Gegen Vic Fangios Defense, die eigentlich in erster Linie darauf ausgelegt ist, die tiefen Pässe zu limitieren, attackierte Baltimore überraschend aggressiv.

Der Pass auf Odell Beckham, der aus dem Slot eine tiefe Fade Route lief (7:21, 2. Viertel) war ein sensationeller Wurf von Jackson. Der Shot auf Zay Flowers zum 75-Yard-Touchdown. Jackson warf den Ball im Schnitt elf Yards tief und hatte dabei lediglich drei Incompletions im gesamten Spiel. Gegen diese Defense - die zudem in den letzten Wochen sehr gut gespielt hat - sind das sensationelle Zahlen.

Dabei fiel auf, dass Baltimore es häufiger schaffte, Miami in Single-High-Looks zu bekommen. Ich denke, teilweise hing das mit den Formationen der Ravens zusammen, Miami kam aber so nie in seinen gewohnten defensiven Stil. Auch einige der frühen Shot Plays kamen mit nur einem tiefen Safety, genau wie der 35-Yard-Touchdown zu Isaiah Likely bei Vierter-und-Sieben: Gegen drei Crosser von der linken Seite - Likely war der innen postierte Receiver aus diesem Trio - kam der zweite tiefe Safety nach vorne, weil die Dolphins Jackson bei Fourth Down blitzen wollten. Das allerdings sorgte für Eins-gegen-Eins-Matchups in der Secondary, Jackson platzierte den Ball perfekt in die Hände von Likely und der erledigte den Rest nach dem Catch.

Jackson kreierte fast einen vollen EPA pro Play (0,95), zur Einordnung: Auf die Saison gesehen führt Brock Purdy die NFL noch immer in Expected Points Added pro Play an - mit 0,338. Jacksons Completion Percentage Over Expected gegen Miami lag bei über 23 Prozent, ebenfalls ein absurder Wert.

Und es war einmal mehr ein Spiel, in dem man die volle Palette von Jacksons Spiel bewundern konnte. Von Touch-Passes über das Ballverteilen im Quick Game, dynamische Plays - dieses Mal deutlich mehr innerhalb der Struktur als Pocket Passer - bis hin zum Pocket-Movement, was einige der Shot-Plays erst ermöglichte.

Es war eine Partie, in der aus Ravens-Sicht alles klappte, und aus Dolphins-Sicht quasi nichts. Zu sehen, wie Baltimore eine solche Defense vertikal attackieren kann, macht die Playoff-Prognose der Ravens dennoch zusätzlich positiv, während die Dolphins nach Jaelan Phillips mit Bradley Chubb auch ihren zweiten Edge-Rusher verletzungsbedingt verloren haben und jetzt ernsthafte defensive Fragezeichen vor dem Play-off-Start im Raum stehen.

Lamar Jackson ist ein legitimer MVP

Mit diesem Spiel sollte Lamar Jackson den MVP-Award zementiert haben. Die Ravens haben den Nummer-1-Seed vorzeitig sicher, eine gute Ausgangslage für den Quarterback dieses Teams. Dazu spät in der Saison der eindrucksvolle Sieg gegen die 49ers und deren als MVP-Kandidaten gehandelte Brock Purdy und Christian McCaffrey, gefolgt von der Show gegen die Dolphins mit Tyreek Hill sollte - in der Art und Weise, wie der Award "funktioniert", Jackson in der Folge zum klaren Favoriten machen.

Das allerdings ist auch ein guter Zeitpunkt, um generell über den MVP-Award zu sprechen und insbesondere darüber, was einen MVP überhaupt ausmacht. Total Stats können einen guten Richtwert dafür liefern, doch sollten sie nicht das primäre Argument liefern. Touchdowns, Interceptions, selbst Stats mit mehr Kontext wie Expected Points Added und DVOA - das sind gute Richtwerte, in erster Linie allerdings geben sie Informationen darüber, welche Offenses gut funktionieren. Und damit auch darüber, welche Quarterbacks gut spielen, sie verraten uns aber nicht viel über den Value einzelner Quarterbacks.

Jackson ist ein exzellentes Beispiel dafür. Statistiken sind im Idealfall eine Begleiterscheinung eines wertvollen Spielers, insbesondere eines wertvollen Quarterbacks. Aber gerade bei Jackson geht der "Value" des Spielers über den Boxscore hinaus und darüber sollten wir letztlich sprechen, wenn es um MVP-Diskussionen geht. Nicht um die besten Boxscore oder Advanced Stats, sondern mehr mit Fokus darauf: Was wird von dem Spieler verlangt? Welche Rolle hat er? Und was gibt er der Offense, unabhängig davon, ob es in den Stats direkt auftaucht, oder nicht.

Die vergangenen drei Spiele von Lamar Jackson bringen so viele dieser Aspekte auf den Punkt: Er hatte ein wildes Rushing- und Playmaker-Spiel gegen die Jaguars. Dann ein sensationelles Spiel als Passer und Pass-Game-Creator gegen die 49ers. Und jetzt gegen Miami ein Ballverteiler aus der Pocket, der alle Bereiche des Feldes öffnen kann.

Diese Kombination auf diesem Level hat in der laufenden Saison kein anderer Quarterback gezeigt. Jackson ist die Identität dieser Ravens-Offense, er öffnet Dinge im Passspiel, er sorgt für bestimmte Formationen in der Defense durch die Gefahr, die von ihm als Runner ausgeht und damit gleicht er auch die Zahlen im Run Game aus.

Jackson hat eine Regular Season gespielt, die jede Menge Spaß gemacht hat. Und im ersten Jahr in der neuen Offense hat er eindrucksvoll untermauert, dass er in die Quarterback-Elite gehört.

THIRD DOWN: Play der Woche - Loves erster Touchdown gegen die Vikings

Bei jungen Spielern, genau wie jungen Coaches, kann man manchmal im Laufe einer Saison einen Reifeprozess sehr genau verfolgen. Auf eine gewisse Inkonstanz folgt mal ein Hoch, mal ein Tief, Fehler werden gemacht und - im Idealfall - korrigiert. Man lernt und man wird besser.

Auf keine Offense und keinen Quarterback trifft das in dieser Saison mehr zu, als auf Jordan Love und die extrem junge Packers-Offense. Wir haben die Höhen und Tiefen in der ersten Saisonhälfte gesehen, dann den Wendepunkt etwa zur Saisonmitte, einige sehr gute Spiele in der zweiten Saisonhälfte - und dieser Sieg gegen Minnesota am Sonntagabend war ein Sinnbild dafür, wie Love und die Packers-Offense erwachsen werden.

In Woche 8 hatte Green Bay es zum ersten Mal mit der ungewöhnlichen, aggressiven Defense von Brian Flores zu tun bekommen. Damals warf Love den Ball extrem kurz, hatte Erfolg mit einer Handvoll Scrambles - aber einen Rhythmus fand die Offense nie, und Big Plays waren mindestens genauso rar.

Mit dem 33:10-Sieg am Sonntagabend haben die Packers nicht nur ihr Playoff-Schicksal vor Woche 18 wieder in die eigene Hand genommen - auch Love spezifisch zeigte seine Entwicklung, und dieser Bogen von Woche 8 zu Woche 17 funktioniert hier beispielhaft.

Der erste Touchdown hat mich mehr beeindruckt, als einige der spektakulären Shot-Plays später im Spiel, bei denen Love aus schwierigen Winkeln oder ohne Base den Ball rausfeuern konnte.

Denn der erste Touchdown - ein 33-Yard-Strike zu Jayden Reed - zeigte Loves Post-Snap-Spielverständnis, welches sich mit Sicherheit im Laufe dieser Saison deutlich weiterentwickelt hat.

Die Vikings stellten bei Zweiter-und-10 die Line of Scrimmage zu, doch statt zu blitzen oder acht in Coverage zu droppen, wie wir es von dieser Defense sonst häufig in solchen Situationen sehen, war es ein 4-Man-Rush.

Die unerwartete Rotation kam eher dahinter in Coverage. Aus einem vermeintlichen Single-High-Look rotierte Minnesota in eine Tampa 2: Cornerback Mekhi Blackmon ließ sich von seinem Spot außen in eine tiefe Hälfte zurückfallen. Stattdessen übernahm Josh Metellus dessen Spot als Outside Corner. Linebacker Jordan Hicks rannte ins Zentrum zurück, um den tiefen Linebacker-Spot in der Tampa 2 zu übernehmen.

Love sah das nach dem Snap und identifizierte das exakt richtige Matchup: Reed mit Tempo zwischen den beiden Safeties (von denen einer ein Corner war) und über Hicks, der mit allem, was er hatte, nach hinten rannte - aber keine Chance gegen Reed hatte.

Ein toller Wurf und vor allem ein exzellenter Read.

Und Love hatte natürlich auch die Big Plays. Der Shot auf Bo Melton (1:12/1. Viertel) war ein "Armtalent-Wurf" gegen den 6-Mann-Blitz in der Rückwärtsbewegung vom Backfoot. Der Touchdown zum 30:3 kam ebenfalls gegen den 6-Mann-Blitz und mehr oder weniger von einem Bein.

Er vertraute seinen Augen und seinem Arm in diesem Spiel, und das führte zu sehr guten Resultaten. Green Bay hat seinen Quarterback für die nächsten Jahre gefunden, das stand für mich schon vor einem Monat fest - und die weiteren Höhen und Tiefen muss man schlicht in Kauf nehmen, während sich nicht nur Love, sondern eben auch die Offense um ihn herum weiterentwickelt.

Das Spiel gegen die Vikings war ein klarer Hinweis darauf, dass man in Green Bay auf dem richtigen Weg ist. Jetzt gilt es, das mit einer ersten Playoff-Erfahrung für diese junge Offense zu belohnen.

FOURTH DOWN: Was nicht unerwähnt bleiben sollte

Es ist ein hässliches, aber nachvollziehbares Ende für Russell Wilson in Denver. Die Headlines waren natürlich wild. Die Broncos benchen Russell Wilson zwei Spieltage vor Saisonende, sogar noch mit theoretischer Playoff-Chance. Und während von Adam Schefter weitergegeben wurde, dass man in Denver nach drei Niederlagen in den letzten vier Spielen versuchen wolle, der Offense einen neuen Impuls zu geben und "zu sehen, was man in Stidham hat", kamen andere Berichte der Wahrheit vermutlich deutlich näher.

Die Broncos kamen allem Anschein nach schon vor Wochen auf Wilson zu, um ihn dazu zu bewegen, die Garantien für den Verletzungsfall in seinem Vertrag anzupassen. Ganz vereinfacht gesagt: Kann Wilson am fünften Tag des kommenden Liga-Jahres - also Mitte März - einen Medizincheck nicht bestehen, weil er verletzt ist, werden 37 Millionen Dollar seines 2025er Gehalts garantiert - zusätzlich zu den 39 Millionen Dollar, die er für 2024 ohnehin garantiert hat. Die Broncos wollten dieses Risiko nicht eingehen und drohten Wilson damit - vielleicht direkt, vielleicht indirekt -, dass sie ihn mit dieser Klausel die Saison nicht zu Ende spielen lassen würden. Die Broncos wollten das Datum ein Jahr nach hinten schieben, ehe die Garantien zum Thema werden, um so mehr Spielraum zu haben in der Bewertung von Wilson.

Ein harter, zumindest aber, wenn man Denver hier etwas zugute halten will, ein ehrlicher Move: Wilson wusste in der Folge sehr genau, woran er ist. Es ist auch kein Vertragsbruch oder dergleichen, Denver wog schlicht seine Option ab, wann sie die Zusammenarbeit beenden und wie viel Risiko sie bis dahin bereit sind, einzugehen.

Russell Wilson von den Denver Broncos

Die Zeichen zwischen Russell Wilson und den Broncos stehen ganz klar auf Trennung. Denver Post via Getty Images

Wilson stimmte dem nicht zu, und dann passierte etwas Unerwartetes: Denver gewann Spiele. Nicht in erster Linie wegen, aber mit Wilson, der sich hier, das muss man betonen, sensationell professionell verhalten hat. Man schlug die Packers, die Chiefs, die Bills, Minnesota und Cleveland nacheinander - und das machte die Sache komplizierter.

Hier kann man den Broncos am ehesten eine gewisse Inkonstanz vorwerfen, denn eigentlich hätten sie trotz des kleinen sportlichen Hochs hier zu ihrer Entscheidung stehen müssen, statt doch das Risiko einer Verletzung in Kauf zu nehmen. Ich schätze, an dem Punkt war man auch in Denver aber zu sehr in Ekstase über die Siege. Und vermutlich gab es auch ein kleines bisschen Hoffnung dahingehend, dass Wilson doch nochmal die Kurve kriegen könnte.

Das ist nicht passiert, und rein sportlich betrachtet kann ich es nachvollziehen, dass Sean Payton in eine andere Richtung gehen will. Er hat in seinem ersten Jahr ein System gebaut, in dem man mit Wilson ein paar Spiele gewinnen kann. Aber das ist nicht nur sehr wenig gemessen an dem, was Wilson verdient; ich denke darüber hinaus ist es auch zutreffend, dass Payton die Limits mit Wilson in seiner Offense gesehen hat. Payton braucht einen Quarterback, der verlässlich, on-time den Ball aus der Pocket verteilt. Der das Feld aus der Pocket gut liest und schnelle Entscheidungen trifft.

Das war nie Wilsons größte Stärke, selbst zu seinen besten Zeiten nicht. Dass die Entscheidung schließlich nach der Niederlage gegen die Patriots erfolgte, mit den Play-offs nur noch als sehr theoretische Option, passt dann wiederum zum eigentlichen Plan der Broncos. Ein Verbleib in Denver ist mit alledem ausgeschlossen, selbst wenn es für die Broncos finanziell jetzt eine Herausforderung sein wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer für diesen Vertrag traden wird, und dann reden wir vermutlich über einen Post June-1 Cut. Damit würden 35,4 Millionen Dollar Dead Cap in den 2024er Broncos-Büchern, und 49,6 Millionen in den 2025er Büchern stehen. Sehr viel Geld natürlich, der Cap aber wird deutlich steigen in den nächsten Jahren. Und Payton hat die Möglichkeit, einen Quarterback zu suchen, den er als besseren Fit für seine Offense sieht. Vielleicht ja schon früh im kommenden Draft.

Die Bills hatten einen Rückfall, der schnell korrigiert werden muss. Buffalo gewann diese Partie gegen New England am Ende, und während anderswo in der NFL deutlich spektakulärere Dinge passierten, könnte dieser 27:21-Sieg ein wenig untergehen. Doch das kann sich dieses Bills-Team, das jetzt ein echtes Endspiel gegen die Dolphins hat - und die Play-offs sogar noch komplett verpassen könnte - nicht leisten.

Denn das war ein Rückfall in die schwächste Phase dieser Saison, allen voran von Josh Allen. Denn dass dieses Spiel überhaupt so lange eng war, obwohl die Patriots-Offense sich vier (!) Turnover in der ersten Hälfte leistete, lag maßgeblich daran, dass Allen viel zu früh und unnötigerweise in den Superman-Modus umschalten wollte.

Die Patriots verteidigten den Run gut und machten die Pocket für Allen unbequem. Doch statt mit mehr Quick Game darauf zu reagieren, versuchten Allen (und auch Joe Brady mit einigen der Play-Calls) selbst mit eigener Führung im Rücken immer wieder, auf das Shot Play zu gehen. Das nahm der Offense die Chance auf auch nur eine Art Rhythmus, es kreierte einen unnötigen Turnover und es hielt die Patriots mit im Spiel.

Das Endergebnis täuscht dabei: 20 der 27 Bills-Punkte kamen mit kurzem Feld nach den Patriots-Turnovern. Buffalo hat nächste Woche ein Endspiel gegen Miami, bei welchem die Bills die Division gewinnen, aber auch noch aus den Play-offs rausfallen könnten. Die Bills müssen offensiv schnell wieder in die Spur finden - denn die Dolphins werden ihnen das Spiel nicht so auf dem Silbertablett servieren, wie Zappe und die Patriots-Offense im ersten Durchgang.

Adrian Franke

Mahomes, Young, Rodgers & Co.: Die NFL-Quarterbacks 2023