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NBA | Spurs-Phänomen Victor Wembanyama: Die Ankunft des Aliens

Top-Rookie startet in seine erste Saison mit San Antonio

Die Ankunft des Aliens: Wie Spurs-Phänomen Wembanyama die NBA erobern will

Die Autogrammjäger haben es auf das "Alien" abgesehen: Vicor Wembanyama wird in San Antonio begeistert empfangen.

Die Autogrammjäger haben es auf das "Alien" abgesehen: Vicor Wembanyama wird in San Antonio begeistert empfangen. Getty Images

Ein Mann, der als Head Coach fünfmal die NBA-Meisterschaft und mit 1366 Siegen in der Regular Season die meisten Spiele der Ligahistorie gewonnen hat, der muss doch ein Geheimnis haben. "Mein Schlüssel zum Erfolg?", wiederholte Gregg Popovich im November 2021 die an ihn gestellte Frage, um in der ihm typischen, verschmitzten Art zu antworten: "Im Draft Tim Duncan auswählen - und dann am Leben bleiben …"

Duncan war die prägendste Figur in der Geschichte der San Antonio Spurs, ein Ausnahmespieler, einer der besten seiner Zunft. Popovich holte ihn im Draft 1997 als Nummer-1-Pick nach Texas, wo er mit seinen kongenialen Partnern auf dem Basketball-Parkett Tony Parker und Manu Ginobili bis zu seinem Karriereende 2016 eine Dynastie erschuf. Duncan, der Power Forward und Center spielen konnte, war der Schlüsselspieler auf dem Weg zu den fünf Championships (von 1999 bis 2014), Popovich sein Coach, Förderer oder, laut eigener, selbstironischer Sichtweise: sein Trittbrettfahrer.

Wembanyama: "Ich habe ein bisschen Bauchweh"

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Nach der Duncan-Ära aber begannen für die Spurs triste Jahre. Bei Popovich verschob sich der Fokus, wie er selbst scherzte. "Mein Gehaltsscheck" war nunmehr Motivation für den heute 74-Jährigen, während des mühsamen Neuaufbaus des Teams weiterzumachen. Die Arbeit mit den jungen Spielern dürfte sicherlich auch ein Grund gewesen sein. Und kurz bevor Popovich im Juli dieses Jahres seinen Vertrag in Texas um weitere fünf Jahre verlängerte, kam ein weiterer hinzu: Victor Wembanyama.

Wahlweise ein "Alien" oder ein "Cheat Code"

Nicht wenige Spurs-Fans sind überzeugt, dass in Person des jungen Franzosen, ebenfalls auf den Positionen Power Forward und Center zu Hause, genau wie damals mit Duncan ein neuer Superstar Einzug in San Antonio gehalten hat. Eigentlich sind sogar die meisten Fans davon überzeugt - genau wie viele Experten. Siehe LeBron James, einer von zwei heiß diskutierten Namen in der GOAT-Debatte (Greatest Of All Time - der Beste aller Zeiten), der King bezeichnete Wembanyama als "Alien". Stephen Curry, bester Dreierschütze der Geschichte und viermaliger Champion, nannte das Top-Talent einen "Cheat Code", einen, gegen den kein Kraut gewachsen ist.

Ich habe so etwas noch nie in meinem Leben gesehen.

Giannis Antetokounmpo über Wembanyamas Fähigkeiten

Diese Lobpreisungen von den Besten der Besten fußen auf Wembanyamas enormer Bandbreite an Fähigkeiten in Verbindung mit abstrusen Körpermaßen. Er kann eine Defense verankern, Würfe blocken und den Ring beschützen, eben wie ein klassischer Big Man. Er kann aber auch mit dem Ball umgehen wie ein Guard - dribbeln, passen, Stepback- oder Fadeaway-Würfe versenken und aus der Distanz treffen. Er hat ein gutes Gefühl für das Spiel, kann Würfe für sich und seine Mitspieler kreieren, bewegt sich geschmeidig über den Court. Und all das mit einem 2,24 Meter langen, aber trotz 104 Kilogramm ziemlich schlaksigen Körper.

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"Ich habe so etwas noch nie in meinem Leben gesehen", fasste Giannis Antetokounmpo, selbst aufgrund seiner Fähigkeiten und seiner griechischen Herkunft auf den Spitznamen "Greek Freak" getauft, seine ersten Eindrücke von Wembanyama zusammen. Der Star der Milwaukee Bucks sieht in dem Franzosen eine Mischung aus Rudy Gobert, einer der besten Verteidiger der Liga und dreimaliger Defensive Player of the Year, und Kevin Durant, einer der besten Scorer der NBA-Geschichte.

13.000 Fans wollen Wembanyama beim Training sehen

Schon seit Jahren eilt dem Sohn einer Basketball-Spielerin und eines Leichtathleten der Ruf als bester Nachwuchsbasketballer der Welt voraus. In den vergangenen zwölf Monaten wuchs der Hype exponentiell an. Viele sehen in ihm das größte Talent, seit James 2003 in die NBA kam. Manche sogar mehr als das.

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In der vergangenen Saison lief "Wemby" in seiner französischen Heimat für die Metropolitans 92 auf, ein Klub aus dem Pariser Vorort Levallois-Perret. Er führte die Liga bei den Punkten (21,6 pro Spiel), den Rebounds (10,4) und den Blocks (3,0) an, wurde als wertvollster Spieler ausgezeichnet und führte sein Team ins Liga-Finale. Der nächste logische Schritt: der NBA-Draft. Dort war Wembanyama im Juni der unumstrittene Hauptpreis. Bereits Wochen zuvor stand fest, dass sich die Spurs mit dem ersten Pick für den Franzosen entschieden haben und damit eine neue Ära einleiten wollen - 26 Jahre nach dem letzten Spurs-Nr.-1-Pick Duncan.

Wenig überraschend schwappte der Hype sofort ins beschauliche San Antonio rüber. Bei der ersten öffentlichen Trainingseinheit in der Vorbereitung auf die neue Saison strömten über 13.000 Fans in die Halle. Manche warteten seit den frühen Morgenstunden auf den Einlass am Nachmittag. "Ich kann die Spiele, die ich in der Arena gesehen habe, an einer Hand abzählen", erzählte Fan Iyare Oseghae bei "The Athletic". "Ich war natürlich noch nie bei einer öffentlichen Trainingseinheit. Ich bin definitiv nur wegen Wemby hier."

Die NBA-Welt kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus

Seit der Ankunft des "Aliens" hat sich auch die Präsenz der Journalisten vervielfacht. Angst, dass der Teenager von der Aufmerksamkeit überrumpelt wird, macht sich kaum jemand. Einerseits kennt der das Scheinwerferlicht seit Jahren, andererseits wird er als kluger, klarer Kopf mit Bodenhaftung beschrieben. Star-Allüren befürchtet niemand. Wembanyama betont immer wieder, dass er nicht allein auf dem Court stehe, dass das Team wichtiger sei. Den Spurs-Weg, bei dem Egos - wie einst von Duncan vorgelebt - keinen Platz haben, hat er offenbar schon verinnerlicht.

Bleiben die Fragen: Ist der Hype überzogen? Kann Wembanyama die gigantischen Erwartungen erfüllen? In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wird die neue Urgewalt mit den Spurs in die Saison starten und die Dallas Mavericks empfangen. Bislang zumindest hat der Franzose nie enttäuscht, weder als er im Herbst des Vorjahres mit den Metropolitans 92 gegen ein mit US-amerikanischen Talenten gespicktes Team dominierte, in zwei Spielen zusammen 73 Punkte erzielte, noch in der Summer League oder der Preseason. Bislang hat er die Basketball-Welt immer wieder aufs Neue ins Staunen versetzt.

Auch Nowitzkis Mentor ist überzeugt

Wunder sollte man in seinem ersten NBA-Jahr dennoch nicht erwarten. Der Youngster allein wird die Spurs wohl nicht in die Play-offs hieven, zu stark ist die Konkurrenz im Westen, zu jung und unerfahren das texanische Team - auch wenn neben ihm mit Devin Vassell oder Keldon Johnson ebenfalls vielversprechende Spieler im Kader stehen. Wembanyama soll langsam an die NBA herangeführt werden, auch um das Verletzungsrisiko zu minimieren, was bei einem Spieler seiner Statur immer mit auf dem Parkett steht.

Zwar dürfte das - trotz zuletzt neun Kilo antrainierter Muskelmasse - körperliche Leichtgewicht von stämmigeren Gegenspielern leicht herumgeschubst werden, sein Einfluss in der Defensive sollte aufgrund seiner Länge und seines Basketball-IQs dennoch von Tag eins an spürbar sein. Offensiv könnte "Wemby" etwas mehr Anlaufschwierigkeiten bekommen, aber auch das ist normal. Nachdem er im Sommer 2021 einige Tage bei Dirk Nowitzkis Mentor Holger Geschwindner in Würzburg zu Gast gewesen war, um sich Tipps abzuholen, bilanzierte dieser: "Victor braucht keinen verdammten Coach" - sondern nur Zeit, um sein enormes Potenzial auszuschöpfen.

Zeit haben die Spurs, auch wenn Wembanyama selbst auf die Tube drückt. Als ambitioniertes Ziel für die anstehende Saison gab er die Play-offs aus, vor einigen Wochen klang er noch angriffslustiger: "Ich will so schnell wie möglich einen Ring gewinnen. Seid bereit!" Duncan musste nur zwei Jahre auf seine erste Meisterschaft warten.

Philipp Jakob