EM

"Den will er cheaten": Manuel Gräfe zum Elfmeter für England

ZDF-Experte Gräfe erklärt seine Sicht auf die Szene

"Den will er cheaten": Hat Schiedsrichter Makkelie beim Elfmeter gepatzt?

Redebedarf: Simon Kjaer & Co. regen sich über den Elfmeterpfiff von UEFA-Referee Danny Makkelie auf.

Redebedarf: Simon Kjaer & Co. regen sich über den Elfmeterpfiff von UEFA-Referee Danny Makkelie auf. imago images

Der Frust war groß - und den dänischen Nationalspielern klar im Gesicht abzulesen. Allen voran die früheren Bundesliga-Spieler Jannik Vestergaard (Bremen, Gladbach, aktuell Southampton) und Simon Kjaer (Wolfsburg, aktuell Milan) schimpften durchaus lautstark in Richtung Schiedsrichter Danny Makkelie, als dieser in der 102. Minute mitten in der Verlängerung dieses EM-Halbfinals auf den Punkt gezeigt hatte.

Die Faktenlage der Szene: Der nimmermüde und im gesamten Spiel kaum in den Griff zu bekommende Raheem Sterling sprintete mal wieder mit vollem Tempo los, drang über den rechten Flügel in den Strafraum ein, wurde von Mathias Jensen und Joakim Maehle in die Zange genommen - und ging nach Kontakt zu Boden. Referee Makkelie zeigte auf den Punkt und verhängte einen Strafstoß.

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Das durchaus Auffällige im Nachgang: In der zweiten Hälfte hatte der 38-jährige Unparteiische bei einer Strafraumszene mit Harry Kane gegen den englischen Kapitän entschieden, im Nachgang wurde das Ganze dann vom VAR um Video-Assistent Pol van Boekel überprüft - und die Entscheidung "kein Elfmeter" bestätigt. Und: Bei Sterlings Dribbling in den dänischen Sechzehner lag ein zweiter Ball in unmittelbarer Nähe, Makkelie aber ließ laufen - obwohl er später im zweiten Abschnitt der Verlängerung bei einer erneuten Situation mit zwei Kugeln auf dem Feld sofort pfiff und das Spiel unterbrach, bis ein Ball vom Platz geschossen wurde.

Gräfe analysiert detailliert

Allesamt Dinge, die nicht nur Zuschauer oder Fans auf Social Media im Anschluss heiß diskutierten, sondern auch im TV-Studio des ZDF regen Anklang fanden. Der dort als Experte tätige Manuel Gräfe analysierte das Ganze nämlich im Anschluss mit seiner Erfahrung aus 289 Bundesliga-Partien, 143 Zweitliga-Einsätzen oder auch 24 Auftritten in der Champions wie Europa League.

Den will er so ein bisschen cheaten, wie man so schön sagt.

Manuel Gräfe über Raheem Sterlings Fall

Zunächst einmal sagte der aufgrund der Altersgrenze scheidende und unter Erstliga-Spielern seit jeher beliebte Berliner: "Erst einmal sehen wir, dass da sogar noch ein zweiter Ball liegt. Normalerweise ist das ein störender Faktor für die Spieler, sodass man das Spiel sogar unterbrechen könnte."

Im Anschluss ging Gräfe detalliert auf das Foul und den Elfmeterpfiff ein: "In der Szene war der Schiedsrichter auf jeden Fall gut positioniert. Er hat zuvor bei einer Szene mit Kane weiterlaufen lassen und dabei sogar gegen Kane entschieden. Man sieht hier auf jeden Fall den Kontakt Knie (von Joakim Maehle; Anm. d. Red.) gegen die Wade, aber Sterling geht mit der Intention (bezüglich eines möglichen Strafstoßes; Anm. d. Red.) schon in diesen Zweikampf. Man sieht, dass er den Körper nach vorne verlegt. Den will er ziehen - den will er so ein bisschen cheaten, wie man so schön sagt. Man sieht auch, wie er das Bein nochmal hochzieht und ein bisschen anwinkelt. Und Schiedsrichter sehen ja den ganzen Bewegungsablauf und lassen sich auch oft leiten vom Fallen. Doch aufgrund des Fallmusters sieht man hier eigentlich schon, dass das nicht ausreicht für einen Elfmeter."

Manuel Gräfe

Jahrelanger Top-Schiedsrichter in der Bundesliga: Manuel Gräfe. imago images

Mertesacker stellt eine berechtigte Frage

Dass die Entscheidung vom VAR im Anschluss nicht mehr gekippt worden war, verstand Gräfe derweil vollkommen: "Es ist ein Kontakt - und das ist ja die Linie der UEFA bei diesem Turnier: Wenn ein Kontakt da ist, dann ist es die Entscheidung des Schiedsrichters auf dem Feld. Deshalb kann das nicht overruled werden. Deshalb blieb der Elfmeter auch stehen. Man kann ihn natürlich auch theoretisch geben, aber ich finde ihn persönlich nicht richtig. Weiterspielen wäre die richtige Lösung gewesen, weil es zu dem Turnier passt. Weil es auch zu der ganzen Linie zum Beispiel in der ersten Halbzeit von Danny passte, da hat er halt oft weiterlaufen lassen. Er hat viele kleine Szenen mit etwas Kontakt gehabt und immer weiterlaufen lassen - und das gehört in solchen Spielen dazu. Deswegen ist der Elfmeter am Ende für mich ein bisschen zu hart."

Das sah auch Per Mertesacker, langjähriger Bundesliga-Profi und Weltmeister von 2014, so - und fragte sich wie vielleicht auch andere, warum der Holländer die VAR-Möglichkeit nicht cleverer wahrnahm: "Schiedsrichter Danny Makkelie hat im ersten Spiel, im Auftaktspiel (0:3 zwischen der Türkei und Italien; Anm. d. Red.) alles laufen lassen, hat da so für sich so ne Linie festgelegt. Und jetzt in diesem entscheidenden Moment...warum dreht er es nicht um? Warum nutzt er nicht den VAR und lässt erst einmal weiterlaufen - und wenn's 'ne klare Fehlentscheidung ist, dann kriegt er doch dann das Signal auf sein Headset gesagt: 'Ok, ist ne klare Fehlentscheidung.' So aber wird es natürlich nicht mehr umgeändert, weil da ganz leicht ein Kontakt ist." Der ehemalige Bremer fragte sich deswegen nochmals: "Wieso dreht er das nicht für sich, weil es nicht klar ist und es eventuell nur einen hauchzarten Kontakt gegeben hat?"

Hat sich Makkelie verleiten lassen?

Gräfe nickt diesbezüglich zustimmend - und schloss sein Statement mit einer These: "Das nennt man Erfahrung. Wir haben international in den letzten vier, fünf Jahren immer die gleichen Schiedsrichter gesehen. Man sieht, dass eigentlich immer Brych, Kuipers, Lahoz da waren. Man hat da international einen kleinen Qualitätseinbruch erleiden müssen. Für ihn aber ist das jetzt das erste große Turnier, er ist auch ein Riesentalent, aber er hat halt noch keine EURO gepfiffen, keine WM - und jetzt direkt ein Halbfinale. Das erste große Spiel. Und das ist dann auch so ein bisschen Lehrgeld für den Schiedsrichter. Er hat sich da vielleicht doch ein bisschen beeinflussen lassen - Wembley, Heimspiel, Zuschauer, Atmosphäre. Das spielt vielleicht bei einem dann doch noch nicht so ganz erfahrenen Schiedsrichter in so einem wichtigen Spiel den kleinen Unterschied ... Er hätte da cool bleiben müssen wie im ersten Spiel dieser EM. Da hat er auch ein, zwei Elfmeter nicht für Italien gepfiffen und sich da in Rom quasi gegen Italien gestellt."

mag

Bilder zur Partie England - Dänemark