Int. Fußball

Lukas Görtler im kicker-Interview über Überraschungsteam St. Gallen

Deutscher Profi des Schweizer Überraschungsersten im kicker-Interview

Görtler über St. Gallen: "Wir spielen wie Salzburg oder Leipzig"

Überflieger in der Schweiz: St. Gallens Leistungsträger Lukas Görtler.

Überflieger in der Schweiz: St. Gallens Leistungsträger Lukas Görtler. imago images

Der deutsche Fußball-Profi Lukas Görtler (25) spielt beim Überraschungsersten der Schweizer Super League, dem FC St. Gallen, eine starke Saison im zentralen Mittelfeld und gehört zu den Publikumslieblingen in der fußballverrückten Stadt südlich des Bodensees. Beim 3:3 im Topspiel gegen Meister Young Boys Bern traf der Franke in der Nachspielzeit zum vermeintlichen Siegtreffer. Der Titelgewinn für die vom Deutschen Peter Zeidler trainierten "Espen" scheint 13 Spieltage vor Schluss realistisch.

Herr Görtler, wie war das Training heute (Donnerstag, d. Red.), haben Sie auf Schnee trainiert?

Eigentlich wollten wir auf unserem Trainingsplatz trainieren, das war gar nicht möglich. Dann haben wir im Stadion trainiert, aber da mussten wir erst mit 25 Spielern die Schneeschaufeln rausholen.

Aber für den Teamgeist brauchen Sie sowas momentan nicht.

Stimmt, da läuft's gerade.

Und insgesamt betrachtet? Wie sehr wirkt das Spiel vom Sonntag (3:3 gegen Young Boys Bern, d. Red.) noch nach - oder ist der Blick schon voll nach vorn gerichtet auf den Meisterfeierbalkon?

(lacht) Das war schon ein aufwühlendes Spiel, viele Emotionen dabei, verrückter Spielverlauf. Das war nicht wie nach jedem anderen Spiel, das hat schon ein, zwei Tage gedauert, bis man das akzeptieren und damit abschließen kann. Das war schon sehr, sehr bitter.

Ich habe jetzt endlich meine Position im Spiel gefunden.

Für Sie persönlich auch, weil Sie zum zwischenzeitlichen 3:2 getroffen hatten und das nicht mehr als klassischer Stürmer. Inzwischen spielen Sie ja weiter hinten als früher...

Das war für mich der wichtigste Schritt in meiner bisherigen Entwicklung, das hat mich nochmal auf ein anderes Level gebracht, dass ich jetzt endlich meine Position im Spiel gefunden habe. In meiner Vergangenheit war es immer so: Stürmer bin ich nicht wirklich, Außenspieler auch nicht. In Utrecht habe ich dann schon das zweite halbe Jahr auf der Acht gespielt, was da auch schon sehr gut funktioniert hat, und jetzt in St. Gallen jedes Spiel auf der Acht. Auf dieser Position kommen meine Qualitäten richtig ans Tageslicht.

Ist es denn die beste Saison Ihrer Karriere?

Die konstanteste, würde ich auf jeden Fall sagen. Ich spiele eigentlich immer 90 Minuten, wenn ich keine Probleme habe, und bin wichtig für die Mannschaft, trage viel Verantwortung in der jungen Mannschaft - ich bin mit 25 einer der ältesten. Wenn ich das YB-Spiel anschaue, merke ich schon, dass ich das Spiel nochmal besser verstanden habe und sowohl sportlich als auch mental einen großen Sprung gemacht habe.

Und bei den Fans durchaus auch beliebt sind, oder?

Ja, voll. Ich denke, mein ehrlicher, arbeitender Spielstil kommt gut bei den Zuschauern an. In St. Gallen passt das natürlich perfekt.

Warum passt es perfekt?

Weil es ein sehr traditionsreicher Verein ist, der viel Leidenschaft hat. Leidenschaft und Mentalität sind genau die Tugenden, die ich versuche auf den Platz zu bringen.

St. Gallens Trainer Peter Zeidler

Sie kennen sich schon länger: St. Gallens Trainer Peter Zeidler (l.) imago images

Wie kam der Kontakt überhaupt zustande?

Durch den Trainer, der kennt mich schon länger. Als Peter Zeidler Trainer beim FC Liefering war, habe ich mit den Bayern-Amateuren gegen seine Mannschaft gespielt. Und dann hat er wohl meinen Weg verfolgt. In Utrecht habe ich das letzte halbe Jahr meine Wichtigkeit unter Beweis gestellt und die wollten auch den Vertrag um drei Jahre verlängern, aber dann kam das Angebot von St. Gallen. Vor allem in den Gesprächen hat man rausgehört, dass ich eine Führungsrolle einnehmen soll. Das hat mich schon gereizt, den nächsten Schritt zu machen und absoluter Stammspieler zu sein. Für mich war es letztendlich der absolut richtige und logische Schritt. Ich bin darüber sehr froh und dankbar.

Was ist Trainer Peter Zeidler denn für ein Typ?

Er ist sehr ehrgeizig und ehrlich. Was er brutal gut kann, ist die Mannschaft führen. Obwohl er kaum Grund zu Veränderungen hatte und mit einem Stamm von 13, 14, 15 Spielern gespielt hat, fallen in der gesamten Mannschaft eigentlich kaum Disziplinlosigkeiten an. Alle werden von ihm an Bord geholt, das ist schon eine seiner Stärken. Und zudem, das finde ich eigentlich das Beste an ihm, hat er einen klaren Plan, ein klares System. Wenn man uns zuschaut, sieht man, dass es seine Handschrift ist.

Liegt's nur an ihm, am System oder wie kann man die bisher so erfolgreiche Saison des FC St. Gallen erklären? Damit hatte ja keiner gerechnet...

Das stimmt, es hatte uns kaum einer auf der Rechnung. Am Wochenende etwa hatten wir einen Altersdurchschnitt von knapp unter 22. Es ist die Mischung: Zum einen der Trainer, der eine klare Idee hat. Der Spielstil, der ist angelehnt an Leipzig, Salzburg - also hohes Pressing, hohe Intensität, das macht den Gegner müde. Aber das klappt halt nur, wenn du elf Spieler auf dem Feld hast, die den Plan voll verfolgen. Da hat auch Alain Sutter (der frühere Bundesliga-Profi ist Sportchef in St. Gallen, d. Red.) mit der Führung und dem Trainer eine gute Mischung an Charakteren zusammengestellt. Viele junge Spieler, die klar im Kopf sind und wissen, was sie wollen. Und dann Spieler wie mich, die schon ein bisschen was erlebt haben und gewisse Mentalität reinbringen und vorangehen.

Wer von der Mannschaft - inklusive Ihnen - hätte denn das Zeug, auch außerhalb der Schweiz in einer der Top-Ligen Fuß zu fassen?

Da haben schon einige das Zeug dazu. Wir haben einen sehr guten Innenverteidiger, der ist erst 17 Jahre alt: Leonidas Stergiou, der spielt in diesem Alter eine Saison - das habe ich so noch nicht gesehen. Dann haben wir noch Ermedin Demirovic, in Hamburg geboren, der hat alles, um den nächsten Schritt zu machen. Und natürlich Silvan Hefti, unseren Rechtsverteidiger, seit zwei Jahren Kapitän und auch erst 22. Er hat sicher die Qualität und Power, um in Deutschland zu spielen.

Die jungen Wilden aus St. Gallen

Sie begehren in der Schweizer Liga auf: Die jungen Wilden aus St. Gallen. imago images

Und wie sieht es bei Ihnen aus, Sie haben ja noch Vertrag bis 2022?

Als Deutscher ist die Bundesliga natürlich immer im Fokus, das ist schon interessant, da zu spielen. Ich glaube schon, dass ich das Potenzial habe, noch einen Schritt in meiner Karriere zu machen. Mit dieser Saison brauche ich mich auch nicht verstecken. Aber es ist nicht so, dass ich jetzt einen Wechsel anstrebe. Ich bin sieben Monate hier, fühle mich wohl, habe hier eine Führungsrolle, es macht Spaß - da gibt es keinen Grund, aktuell an was anderes zu denken.

Wie ist die Lebensqualität in St. Gallen, in der Schweiz?

Natürlich schon traumhaft. Im Winter die Berge - da gibt's viel zu unternehmen. Aber im Sommer finde ich es fast noch schöner. Von hier sind es nur 15 Minuten an den Bodensee und in die andere Richtung kommen gleich die Berge, das hat schon was.

Wie sieht's mit Skifahren oder Snowboarden aus?

Das ist eigentlich wie in Deutschland, dass in den Verträgen Risikosportarten verboten sind. Aber es muss ja nicht immer jeder wissen. (lacht)

Man kann nur erahnen, was los wäre, wenn jetzt schon 13 Spieltage gespielt wären und wir ganz oben stehen würden.

13 Spiele sind es jetzt noch. Direkt gefragt: Will St. Gallen Meister werden?

Wer will nicht Meister werden? (lacht) Aber es ist nicht so, dass der Fokus darauf liegt. Aber klar, wenn man nach 23 Spieltagen vorne ist, dann ist das kein Zufall, sondern hat mit Qualität zu tun. Es ist zwar eine Floskel, aber wir tun gut daran, immer das nächste Spiel zu gewinnen. Wir haben oft genug bewiesen, dass wir jeden schlagen und dominieren können. Deshalb sollte es vor jedem Spiel das Ziel sein, drei Punkte zu holen. Im Endeffekt kommt es dann darauf an, wie oft uns das gelingt. Aber es ist jetzt nicht so, dass wir sagen, wir müssen Meister werden. Dafür sind die Ansprüche in St. Gallen relativ gering.

Die Euphorie ist dann aber sicher umso größer, sollte es tatsächlich klappen...

Die ist riesig hier in St. Gallen, das erlebt man jetzt schon. Die meisten Heimspiele sind ausverkauft. Das ganze Stadion ist emotionsgeladen, genau so, wie man sich einen Traditionsverein vorstellt. Man kann nur erahnen, was los wäre, wenn jetzt schon 13 Spieltage gespielt wären und wir ganz oben stehen würden. Ich hoffe, dass wir es durchziehen und lange genug mitreden können.

Lukas Görtler

Im Mai 2015 kam Lukas Görtler zu seinem Bundesliga-Debüt beim FC Bayern um Manuel Neuer. imago images

Im Pokal sind Sie ausgeschieden, Basel und Bern sind noch im Cup dabei, Basel zudem sogar noch international gefordert. Wie fällt der Vergleich zwischen beiden aus?

Sie spielen durchaus unterschiedlich. Basel will viel den Ball haben, Spiele dominieren und sie haben auch gute Qualität darin. Bern hat einfach eine brutale Offensive, spielt aber auch lange Bälle. Schwer zu sagen, wer besser ist. Gegen Basel fiel es uns bisschen leichter, aber es wird eng bleiben. Dass der FCB momentan fünf Punkte Rückstand hat, besitzt noch keine allzu große Aussagekraft.

Wie weit ist Ihr Teamkollege Jonathan Klinsmann von der Nummer eins im Tor weg?

Er hatte zuletzt ein bisschen Pech. Unser Torwart (Dejan Stojanovic, d. Red.) hat uns im Winter zum FC Middlesbrough verlassen. Zu der Zeit war Klinsmann verletzt und es kam eine neue Nummer eins, Lawrence Zigi vom FC Sochaux. Und der macht seine Sache schon richtig gut, es ist schwer für Jonathan, da reinzukommen. Aber er macht es toll, hat eine gute Mentalität. Ich bin gespannt, wie es bei ihm weitergeht.

Schauen wir in die Heimat. Wer holt in dieser Saison in Deutschland den Titel? Einer ihrer Ex-Vereine ist im Rennen dabei (Görtler spielte 2014/15 für Bayern II und kam in dieser Zeit auch zu einem Bundesliga-Einsatz, d. Red.).

Meister wird wieder der FC Bayern, denke ich. Sie haben die meiste Qualität, um sich am Ende durchzusetzen.

Lukas Görtler blickt kritisch auf Ex-Verein Kaiserslautern

Lukas Görtler blickt kritisch auf Ex-Verein Kaiserslautern. imago images

Einer ihrer anderen Ex-Klubs, der 1. FC Kaiserslautern (2015-2017, d. Red.), kommt dieser Tage mal wieder nicht aus den Schlagzeilen.

Das ist schade für den FCK und all seine Fans, dass dieser Verein so langsam in der Versenkung verschwindet. Ich habe dort viele Höhen und Tiefen mitgemacht. Der FCK hat soviel Potenzial, ist vom Umfeld ein absoluter Bundesliga-Verein, seit einigen Jahren ist aber der Wurm drin und es ist schwer, da konstant gute Arbeit zu leisten. Ich habe kürzlich die Mannschaft durchgeschaut und kenne vielleicht noch zwei Spieler. Die hohe Fluktuation von Spielern, Trainern, Sportdirektoren, Geschäftsführung - das ändert sich ja gefühlt halbjährlich - ist ein großes Problem bei Lautern.

Mein Papa kommt fast zu jedem zweiten Spiel gefahren.

Wie heiß ist der Draht nach Hause?

Ich versuche, in den Länderspiel-Pausen mal nach Hause zu fahren. Aber mein Bruder und mein Vater kommen sehr regelmäßig zu Heimspielen. Ich bin sehr gerne in der Heimat und vermisse das Leben manchmal daheim schon auch.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Görtler. Ach ja, noch was: Haben Sie ihre Instagram-Abonnenten jetzt an den Teamkollegen Silvan Hefti weiterverschenkt? So war ja der Deal, wenn sie gegen Bern treffen...

(lacht) Ja, die kann er von mir haben. Das bedeutet mir nicht so viel.

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