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Adios, Hulio: Zum Abschied von Spaniens Kultfigur Joaquin

Zum Abschied von Spaniens Kultfigur Joaquin

Adios, Hulio

Kultfigur, nicht nur bei Betis: Joaquin ist ein Stück Liga-Historie.

Kultfigur, nicht nur bei Betis: Joaquin ist ein Stück Liga-Historie. imago images

Bei Joaquins Präsentation in Malaga 2011 rechnete jeder eigentlich mit den üblichen Floskeln. 'Ich bin glücklich, hier zu sein, will den maximalen Erfolg, viele Tore schießen, viele Titel gewinnen', was man eben so sagt. Joaquin hatte darauf keine Lust. Er erzählte vor tausenden Fans lieber einen Witz.

Zugegeben, er war nicht sonderlich gut. Lustig war eher die Tatsache, dass er ihn erzählte. In Spanien verehren sie ihn eben nicht nur, weil er mit seinen 41 Jahren immer noch seine Finten und Dribblings auspackte. Weil er manchmal Spielern davonsprintete, deren Vater er längst hätte sein können. Nein, Joaquin zeichnet etwas anderes aus. Er nimmt sich nicht ernst. 

Als der aus einer Familie mit acht Geschwistern stammende Stürmer mal gefragt wurde, was das Beste daran sei, sich mit Alvaro Cejudo ein Zimmer zu teilen, sagte er: "Die Tasse Kaffee und der Guten-Morgen-Kuss". Im Fernsehen versuchte er mal, eine Henne zu hypnotisieren (er  scheiterte erstaunlich knapp). Auf Youtube findet sich ein 40 Minuten langes Video mit Höhepunkten von Joaquin - wohlgemerkt außerhalb des Platzes. Ein Sammelsurium von Streichen, Gesängen, Witzen und Tänzen.

Verbrieft ist auch die Geschichte mit Referee Eduardo Iturralde Gonzalez. Mit dessen Leistungen war Joaquin während eines Spiels so gar nicht zufrieden. "Ich habe gehört, Sie haben geheiratet", sagte er zu ihm. Der Referee bejahte. "Dann machst du einen Fehler", antwortete ihm Joaquin, der übrigens seit 2005 selbst verheiratet ist (die gesamte Betis-Mannschaft kam zur Hochzeit).

"Ich weiß nicht mal, wie man den Schläger hält, Hulio"

Bei einem TV-Interview während seiner Zeit in Malaga wurde der Außenstürmer nach einem Hobby gefragt. "Tennis", antwortete er nach kurzem Überlegen, aber dann im Brustton der Überzeugung. Zu viel für Sturm-Partner Julio Baptista, der bei dem TV-Termin mit dabei war, er lachte sich halb schief. "Tennis, sagt er. Der hat doch in seinem Leben noch nie Tennis gespielt." "Ich weiß nicht mal, wie man den Schläger hält, 'Hulio'", kicherte Joaquin, der den Namen seines Kollegen etwas seltsam aussprach. Seitdem hat er seinen Spitznamen weg: Hulio.

Nach Zwischenstationen in Valencia, Malaga und Florenz, wo seine kruden Mischmasch-Interviews in einer Art Italo-Spanisch häufig Ohrenschmerzen verursachten ("Ich hatte keinen Schimmer von der italienischen Sprache"), kehrte Joaquin 2015 wieder zu Betis zurück, wurde Mannschaftskapitän, Publikumsliebling, Aushängeschild. Damit schloss sich der Kreis, denn sein Profidebüt hatte er beim damaligen Zweitligisten gegeben - am 3. September 2000.

Seit Sonntag hat Joaquin 622 Ligaspiele auf dem Buckel, gemeinsam mit dem Ex-Keeper Andoni Zubizarreta ist er damit Rekordspieler in La Liga. Titel gewann er wenige, mit der Nationalmannschaft trotz 52 Länderspielen zwischen 2002 und 2007 gar keine. Die glorreiche Zeit der "Furia Roja" folgte erst danach. "Solche Mistkerle", schimpfte er deswegen mal aus Spaß über die Seleccion-Kollegen.

Doch gerade der jüngste Titel mit Betis wird immer mit dem Namen Joaquin verbunden sein. Nach 2005 holte er 17 Jahre später mit den Grün-Weißen erneut die Copa del Rey, im gesegneten Alter von 40 Jahren gehörte Joaquin zu den erfolgreichen Schützen beim Elfmeterschießen. 2008 hatte er auch mit Valencia den Königspokal gewonnen, danach posierte er in der Kabine splitternackt mit der Trophäe. Nach dem Sieg mit Betis 2022 stellte er das bekannte Foto übrigens "detailgetreu" nach. 

Die "17" vor 20 Jahren: Joaquin im Betis-Trikot 2003.

Die "17" vor 20 Jahren: Joaquin im Betis-Trikot 2003. imago images

Die spanische Fußballwelt war einfach ein wenig bunter mit Joaquin, und bei Betis konnten sie sowieso nicht genug von ihm kriegen. Im Sommer 2022 hängte er zum letzten Mal ein Jahr dran, die Nachrichten über die Vertragsverlängerungen verpackten die Andalusier immer wieder in kreative Videos. So zum Beispiel im Dezember 2017, damals war Joaquin schon 36 Jahre alt: "Hulio" beim verzweifelten Versuch, Tennis zu spielen. Der Ball landet im Swimming Pool. Für eine Tenniskarriere sei er noch nicht bereit, erklärt er schließlich. Unmittelbar zuvor hatte Joaquin zwei Prozent der Klubanteile gekauft. "Ich habe so viel in Aktien investiert, dass mein zweites Vertragsjahr umsonst ist", versprach er im Video.

So locker er neben dem Platz ist, so verbissen war die Nummer 17 auf ihm. 2019 gelang ihm mit 39 Jahren sein erster Hattrick überhaupt, damit löste er Real-Legende Alfredo di Stefano, damals 37, als Rekordhalter ab. Im September 2022 wurde er der älteste Europa-League-Torschütze aller Zeiten,

Der nur noch als Joker eingesetzte Joaquin brachte auch in seiner letzten Saison immer wieder neuen Schwung, allein schon weil das Publikum im Benito Villamarin jede Einwechslung, ja jeden Ballkontakt feierte. Seitdem er Mitte April unter Tränen seinen Abschied bekanntgegeben hat (die Pressekonferenz dauerte zwei Stunden), sind auch in den anderen Stadien wie im Camp Nou stehende Ovationen selbstverständlich - fast. Die Fans von Erzrivale FC Sevilla hatten leider nicht die Größe, die außergewöhnliche Karriere zu würdigen. Aber irgendwie auch kein Wunder bei einem, der sagt: "Ich kann mir dieses Leben ohne mein Betis nicht vorstellen. Es ist mein Leben, und mein Leben ist Betis."

Fast jeder Dritte will Joaquin im TV sehen

Um das Danach muss sich Joaquin keine Sorgen machen. Bei Betis will er irgendwann Präsident werden, und da gibt es ja auch noch die zweite Karriere. Im Fernsehen bekam er zu bester Sendezeit seine eigene Show, dabei erlernt er den Beruf von spanischen Prominenten. Mal singt er mit einem Flamenco-Star einen Song, mal brät er mit Sternekoch David Munoz ein Ei, mal fährt er mit MotoGP-Star Marc Marquez um die Wette oder tanzt wie John Travolta in Pulp Fiction. Meist ohne Erfolg. Auch deswegen waren die Einschaltquoten von "El Novato" (Der Neuling) wohl top, die erste Folge erreichte einen sagenhaften Marktanteil von 30 Prozent.

Seine Beliebtheit erklärt er mit seiner Authentizität. "Jeder muss seinen eigenen Weg gehen. Mach das, was du fühlst, was du liebst, was dir das Gefühl gibt, vollständig zu sein", sagte Joaquin im ESPN-Interview. "Vielleicht gefällt es den Leuten, vielleicht auch nicht, aber du wirst dich zufrieden fühlen."

Tränen schon vor Anpfiff

Rekordspieler in La Liga: Joaquin kam auf 622 Spiele.

Rekordspieler in La Liga: Joaquin kam auf 622 Einsätze. IMAGO/Marca

Am Sonntag war er dann da, der "sehr schöne Tag", wie ihn Joaquin nach seinem letzten Spiel gegen Valencia (1:1) bezeichnete. Die Fans hatten ihn mit einem Spruchband "GRACIAS CAP17AN" empfangen, Joaquin weinte schon vor dem Anpfiff zum ersten Mal. Bei seiner Auswechslung in der 60. Minute, besangen sie ihn minutenlang aus vollen Kehlen, während er selbst auf die Knie sank und dem Rasen einen Abschiedskuss gab.

"Als sie 'Oh Capitan' riefen, dazu mein Name - schöne Erinnerungen kamen mir in den Sinn und ich hatte Tränen in den Augen. Ich habe versucht, mich zu beherrschen, aber das war nicht einfach", sagte Joaquin, aus dem es bei seinen unzähligen gefeierten Ehrenrunden endgültig herausbrach. Als er das Stadion verließ, stellten sich die Mitspieler zum Spalier auf, da hatte er sein Lachen schon wieder gefunden.

Wie der Witz ging, den er damals in Malaga erzählte? "Ein Mann kommt ins vollbesetzte Stadion in Malaga, es ist nur noch ein Platz neben einer Frau frei. Als er fragt, warum das so ist, sagt die Frau, dass er von ihrem Ehemann ist, der sei aber verstorben. Der Mann fragt, ob denn kein Familienangehöriger habe mit ins Stadion kommen wollen. Darauf sagt die Frau: Nein, die wollten alle zur Beerdigung."   

Einer lachte über den Witz besonders ausgelassen. Es war Joaquin selbst.

Christoph Laskowski

Rekordspieler in La Liga: Joaquin erklimmt den Thron