Handball

Frankreichs Nationaltrainer Guillaume Gille im kicker-Interview: "Deutschland ist ein sehr ernsthafter Titel-Anwärter"

Frankreichs Nationaltrainer im kicker-Interview, Teil 1

Gille: "Deutschland ist ein sehr ernsthafter Titel-Anwärter"

Ein absoluter Siegertyp: Guillaume Gille als Trainer (l., mit Thierry Omeyer) und als Anführer der französischen Nationalmannschaft.

Ein absoluter Siegertyp: Guillaume Gille als Trainer (l., mit Thierry Omeyer) und als Anführer der französischen Nationalmannschaft. imago (2)

Zu Beginn des Telefonats entschuldigt sich Guillaume Gille überaus höflich für die schlechte Verbindung, in Paris wohne er gerade einer wichtigen Konferenz bei und halte in diesem Rahmen einen größeren Vortrag - und trotzdem nimmt sich der Träger des französischen Verdienstordens, der noch immer hervorragend Deutsch spricht, 45 Minuten für den kicker Zeit. Olympiasieger 2008 und 2012, Weltmeister 2001, 2009 und 2011, Europameister 2006 und 2010: Alleine seine Vita als Aktiver in der Nationalmannschaft ist beeindruckend. Doch auch in einem Jahrzehnt in Hamburg hat Gille mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Bertrand Großes geleistet.

kicker: Sie haben selbst zehn Jahre lang in Deutschland gespielt und dabei immer dem HSV Handball die Treue gehalten (681 Spiele/293 Tore). Sie wurden 2009 als Hamburgs "Sportler des Jahres" ausgezeichnet, 2011 mit der Raute auf der Brust deutscher Meister. Haben Sie noch Kontakt nach Deutschland - und speziell auch nach Hamburg, Herr Gille?

Guillaume Gille: Auf jeden Fall. So einen Lebensabschnitt kann man nicht einfach so wegschieben. Ich habe dort eine unglaubliche sportliche Phase erlebt. Ich bin dort auch als Mensch viel weitergekommen, habe noch viele Freunde und Kontakte. Ab und zu, wenn es die Zeit zulässt, kehre ich auch immer gerne nach Hamburg zurück, um deutsche Luft zu schnuppern. Ich bin sehr neugierig, wie der HSV Hamburg wieder auf die Beine kommt und wie es mit dem neuen Projekt läuft.

kicker: Sie haben im Handball fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Gibt es irgendwas, was Sie versäumt haben oder rückblickend heute anders machen würden?

Gille: Ich bin kein Mensch, der so etwas Revue passieren lässt und sich fragt, was man hätte anders machen können. Ich zähle wirklich zu einem ganz kleinen Kreis, der in unserem Sport so viel Glück gehabt hat. Ich sehe mich dadurch als privilegiert an, solche Sachen erlebt haben zu dürfen.

kicker: Seit September 2016 trainieren Sie gemeinsam mit ihrem ehemaligen Abwehrchef Didier Dinart die französische Nationalmannschaft. Ist es in der anderen Funktion auch manchmal schwierig, wenn man nicht mehr selbst eingreifen kann?

Gille: Schwierig ist es nicht, aber anders schon. Eines ist klar: Mein Trikot habe ich zur richtigen Zeit zur Seite gelegt. In unserer Sportart ist es aber auch so, dass wenn man nur einige Monate nicht mehr trainiert, dann bist du sofort raus und kannst da nichts mehr bewegen. Es ist für mich auch gar kein Thema mehr, ich fühle mich sehr wohl in der neuen Funktion. Das ist eine Riesenverantwortung und eine Riesenehre, mit Didier diese Mannschaft trainieren zu dürfen.

Es ist auch ein Riesenvorteil, dass wir genau wissen, wie eine Nationalmannschaft funktioniert.

kicker: Wie sind eigentlich die Aufgaben zwischen Ihnen und Didier Dinart, zu seiner Zeit einer der weltbesten Abwehrspieler, genau verteilt?

Gille: So streng sind die Aufgaben gar nicht aufgeteilt. Didier ist auf Grund seiner Erfahrung sozusagen der Cheftrainer, wenn man das so nennen will. Ich bin Co-Trainer und zusätzlich noch für das Krafttraining sowie das ganze konditionelle Training zuständig. Das Wichtigste ist, was wir unserem gemeinsamen Projekt zusammen geben können. Die Rollenaufteilung ist klar, aber wir tauschen uns über alles Wichtige regelmäßig aus. Es ist auch ein Riesenvorteil, dass wir genau wissen, wie eine Nationalmannschaft funktioniert. Da spielt es auch keine allzu große Rolle, dass wir noch nicht viel Erfahrung als Trainer haben.

kicker: Sie haben im Januar 2017 mit der französischen Mannschaft ihren ersten WM-Titel als Trainer gewonnen - und dann auch noch im eigenen Land. Deutschland träumt nun auch wieder davon. Welche Vorteile hat es, vor heimischem Publikum um den Titel zu kämpfen?

Gille: Ich muss nicht viele Worte darüber verlieren. Deutschland weiß ganz genau, wie es geht, vor dem eigenen Publikum zu spielen. Das haben wir in 2007 ja schon einmal erlebt, als sie den Titel abgeräumt haben. Ich weiß auf jeden Fall, dass ich mich tierisch freue, in einem der wichtigsten Handball-Länder ein solches Event mitzuerleben. Ich freue mich dazu riesig auf das Wiedersehen mit Deutschland, auf die deutschen Fans und die Möglichkeit, wieder in solchen Hallen zu spielen. Da ist die Vorfreude ziemlich groß.

Keiner steht im Schatten des anderen: Frankreichs Nationaltrainer Guillaume Gille (l.) und Didier Dinart.

Keiner steht im Schatten des anderen: Frankreichs Nationaltrainer Guillaume Gille (l.) und Didier Dinart. imago

kicker: 2016 hat die deutsche Mannschaft bei der EM in Polen ihren letzten großen Titel gewonnen. Danach ging es sehr holprig weiter. Gehört die DHB-Auswahl für Sie aktuell noch zur Weltspitze?

Gille: Deutschland ist immer ein Titelkandidat - für jeden Wettbewerb. Da hat es auch nichts damit zu tun, dass die letzte EM nicht so gut lief. Sie sind ein sehr ernsthafter Anwärter auf den Titel, sie spielen zu Hause und die Resonanz dieses Ereignisses wird riesig sein. Sie gehören für mich zum Favoritenkreis.

kicker: Wie schätzen Sie allgemein die Entwicklung im deutschen Handball und der Bundesliga, die immer häufiger nicht mehr als "stärkste Liga der Welt" genannt wird, ein?

Gille: Ich weiß nicht, ob uns diese Diskussion groß weiterbringt. Wie kann man auch die verschiedenen Ligen in Europa vergleichen? Letztes Jahr waren drei französische Mannschaften beim Final Four der Champions League dabei, jetzt soll die französische Liga auf einmal weit vorne dabei sein. Der Titelkampf in der Bundesliga ist nach wie vor extrem spannend, die Mannschaften sind sehr eng beieinander. Und ich weiß, dass die Belastung für die Spieler sehr hoch ist. Das kann manchmal auch Einfluss auf die europäischen Wettbewerbe haben.

Im zweiten Teil des kicker-Interviews geht es um den Status von Uwe Gensheimer in Frankreich, die Bedeutung des Ausfalls von Nikola Karabatic, Bruder Bertrand - und nostalgische Gedanken an die "geile Zeit" in Hamburg.

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