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Brehme im Interview über 1990: "Das einseitigste Finale der Geschichte"

Der Torschütze verteidigte Elfmeterpfiff und Kapitän Matthäus

Brehme im Interview über 1990: "Das einseitigste Finale der Geschichte"

Einer der Führungsspieler der Weltmeister-Mannschaft von 1990: Finaltorschütze Andreas Brehme.

Einer der Führungsspieler der Weltmeister-Mannschaft von 1990: Finaltorschütze Andreas Brehme. imago images

Plötzlich schaut die ganze Welt auf dich. Andreas Brehme passierte dies in den Minuten vor dem Elfmeter, der Deutschland zum dritten Mal zum Weltmeister machen sollte.

Wissen Sie spontan, wie viele Elfmeter Sie in Ihrer Profikarriere geschossen haben, Herr Brehme?

Puh, nein, keine Ahnung.

In der Nationalmannschaft inklusive Elfmeterschießen vier, in der Bundesliga 23. Erinnern Sie sich an einen, den Sie verschossen haben?

Wenn, dann kann das kein wichtiger gewesen sein, sonst wüsste ich es noch.

Der wichtigste war der im Finale 1990. Wie sicher fühlten Sie sich?

Es gibt keine Garantie. Aber wenn man zum Punkt schreitet, sollte man sich schon ziemlich sicher sein und Selbstvertrauen haben. Ich hatte wie die gesamte Mannschaft eine gute WM gespielt. Es hat halt länger gedauert als sonst, weil die Argentinier mit dem Schiedsrichter diskutiert und den Ball weggehauen haben. Das war das Schlimmste.

Man kann keine Elfmeter üben.

über die Drucksituation im Spiel

War die Ausführung ein tausendmal trainierter Automatismus?

Man kann keine Elfmeter üben, die Drucksituation ist im Spiel eine ganz andere. Im Training sind 50 Zuschauer dabei, im WM-Finale waren es 73 000 im Stadion. Gepfiffen hat allerdings kaum einer, weil neben den deutschen Fans auch die Italiener auf unserer Seite waren.

BREHME Andreas Team Deutschland verwandelt den 11m fuer Deutschland gegen Torwart Sergio Goycochea Team Deutschland Weltmeister FIFA Fussball Weltmeisterschaften 1990 in Italien Finale Deutschland - Argentinien 1 : 0 am 08.07. 1990 in Rom *** BREHME Andreas Team Germany convert the 11m for Germany against goalie Sergio Goycochea Team Germany World Champion FIFA World Cup 1990 in Italy Final Germany Argentina 1 0 on 08 07 1990 in Rome

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Ist Ihnen vor der Ausführung durch den Kopf gegangen, was an diesem einen Schuss hängt?

Nein. Ich habe mich voll konzentriert. Schwierig war wie gesagt nur die Verzögerung bis zum Schuss.

Warum nicht Matthäus, sondern Brehme schoss

Lothar Matthäus wollte aufgrund eines Schuhwechsels in der Halbzeitpause nicht schießen. Wie lief die Kommunikation zwischen ihnen nach dem Elfmeterpfiff ab?

Eines vorweg: Noch heute wollen auf vielen Veranstaltungen die Leute dem Lothar einen mitgeben, weil er mich hat schießen lassen. Das stimmt alles nicht und ist unfair. Wir hatten immer drei, vier Schützen, weil man nie weiß, was während eines Spiels passieren kann. Lothar fühlte sich nicht sicher wegen des Schuhs, aber das war doch kein Problem. Wir wollten den Titel holen, den kann man nur gemeinsam schaffen. Hätte ich ein schlechtes Spiel gemacht, wäre ich auch nicht hingegangen.

Das WM-Finale 1990

Ein Zeichen von Größe von Matthäus?

Auf alle Fälle! Genauso sehe ich es, viele Leute leider nicht. Er hat für die Mannschaft gehandelt. Wäre es schiefgegangen, hätte niemand etwas davon gehabt.

Wie oft werden Sie 30 Jahre danach auf Ihr entscheidendes Tor vom Elfmeterpunkt angesprochen?

Täglich und überall, auch von wildfremden Menschen. Aber das ist kein Problem für mich.

Brehme verlud Goycochea auch ein zweites Mal

"Goycochea wusste alles, nur halten konnte er ihn nicht", kommentierte Gerd Rubenbauer im Fernsehen. Welche Rolle spielte für Sie, dass Argentiniens Torhüter sich im Laufe des Turniers den Ruf eines Elfmetertöters erarbeitet hatte?

Er reiste ja nicht als Stammtorwart an, kam erst durch die Verletzung von Nery Pumpido zum Zug. Aber dann hat er sie erst ins Finale gebracht mit seinen Paraden im Viertel- und Halbfinale, jeweils im Elfmeterschießen. Man muss ja wirklich sagen, dass Argentinien keine gute WM gespielt hatte, ihr einzig gutes Spiel war das Halbfinale gegen Italien. Im Finale hätten wir nach 20, 25 Minuten schon 4:0 führen müssen. Beim Elfmeter habe ich mir über Goycochea keine Gedanken gemacht, nur den Ball hingelegt und die linke Ecke von mir aus gesehen vorgenommen. Dann kam noch Rudi Völler und sagte, "wenn du ihn reinmachst, sind wir Weltmeister". Ich habe nur gesagt, "vielen Dank auch Rudolfo, mein Freund".

Mit rechts ins linke untere Eck: "Goycochea wusste alles, nur halten konnte er ihn nicht."

Mit rechts ins linke untere Eck: "Goycochea wusste alles, nur halten konnte er ihn nicht." imago images

Haben Sie Goycochea später noch mal getroffen?

Ja, er arbeitet fürs argentinische Fernsehen. Als bei Wolfsburg viele Argentinier spielten, haben wir bei einem Spiel gegen die Bayern in der Halbzeit ein Elfmeterschießen gemacht und uns zusammen umgezogen. Er fragte, "wie machen wir das?" Ich meinte, "genauso wie 1990". Ich wollte mich aber nicht blamieren und hab den Ball dann ins andere Eck geschossen. Es war eine schöne Sache, wir haben eine Menge Geld für den guten Zweck eingenommen, und er hat's mir nicht übel genommen.

Wir haben noch gar nicht über die Entstehung des Elfmeters gesprochen. Wer behauptet, das sei keiner gewesen, den kontern die Protagonisten gerne mit "Konzessionsentscheidung", vorher sei ein klares Foul an Klaus Augenthaler im Strafraum nicht geahndet worden.

Das sage ich auch jedes Mal. Vielleicht war der an Rudi nicht hundertprozentig, dafür der an Klaus ein tausendprozentiger.

Argentinien hatte keine Torchance im Finale, keine Ecke, kein Garnichts.

über das "einseitigste WM-Finale"

Klingt nach Eingeständnis, dass Völler mehr gesunken ist als gefoult worden zu sein.

Ein Argentinier sagte erst kürzlich zu mir, sie seien betrogen worden. Ich antwortete ihm, sie sollten froh sein, dass sie überhaupt ins Endspiel kamen. Argentinien hatte keine Torchance im Finale, keine Ecke, kein Garnichts. Die wollten gar nicht am Spiel teilnehmen, es war das einseitigste Finale der WM-Geschichte.

Wie siegessicher waren Sie?

Sicher kann man sich nie sein, jeder hat mal einen schlechten Tag. Als wir im Bus weggefahren sind, waren die Straßen voll mit den weißen deutschen Trikots. Das hat uns so ein Selbstvertrauen gegeben, ebenso das Spektakel beim Warmmachen. Wir bekamen Gänsehaut davon.

"Heimspiele" stärkten das Selbstvertrauen

Augenthaler sagte, beim Anblick des WM-Pokals habe er gedacht, die Strapazen bis hierhin dürften nicht umsonst gewesen sein.

So ist es. Es waren viele gute Mannschaften im Turnier, als Deutschland willst du immer ins Halbfinale. Wir hatten die ganze WM durch nur Heimspiele, das war ebenfalls gut fürs Selbstvertrauen. Leider haben wir es uns im Finale selbst schwer gemacht, weil wir anfangs unsere Chancen nicht genutzt hatten. Und auf der Gegenseite stand Diego Maradona, der ein Spiel auch mit einer Aktion entscheiden konnte.

Wie stellte Sie Franz Beckenbauer beim Stand von 0:0 auf die zweite Hälfte ein?

Wir sollten genauso konzentriert weiterspielen.

Wie sehr half der erste Platzverweis für die Argentinier nach Foul an Jürgen Klinsmann?

Wenn man so doof foult, darf man sich nicht wundern, damit haben sie sich das Leben selbst schwer gemacht.

Genossen Sie die letzten Minuten nach dem zweiten Platzverweis in dem Wissen, dass nichts mehr passieren kann?

Ja. Wir durften ohne Rückpassregel ja den Ball noch zu Bodo zurückspielen, damit der ihn auch mal in der Hand halten durfte.

Vier Jahre zuvor sind die Argentinier verdient Weltmeister geworden. Dafür holten wir 1990 verdient den Titel.

über die gerechte Verteilung zweier WM-Triumphe

Was überwog nach dem Schlusspfiff? Ekstase oder Erleichterung?

Freude. Zunächst ist es einfach schön, wenn man im Finale steht. Man weiß nie, wie es ausgeht. Vier Jahre zuvor sind die Argentinier gegen uns verdient Weltmeister geworden. Allerdings nur, weil wir zu blöd waren, nachdem wir bei 40 Grad einen 0:2-Rückstand aufgeholt hatten und alle nach vorne gerannt sind, weil wir das 3:2 machen wollten. Durch einen Konter kurz vor dem Abpfiff verloren wir das Spiel. In der Verlängerung wären wir Weltmeister geworden, weil die Argentinier komplett kaputt waren. Dafür holten wir 1990 verdient den Titel.

Sie spielten eine überragende WM, schossen als Linksverteidiger drei der fünf deutschen Tore in den K.-o.-Spielen. Hat Italien damals den besten Andy Brehme gesehen?

Ich will nicht nur von mir sprechen, sondern vom gesamten Kader. Wir hatten mit 22 Mann letztlich zwei super Mannschaften. Nehmen Sie das Beispiel Olaf Thon, der im Halbfinale plötzlich spielen durfte und nicht nur wegen seines verwandelten Elfmeters Weltklasse spielte.

Die deutsche Startelf im Endspiel von Rom: Thomas Berthold, Bodo Illgner, Jürgen Kohler, Guido Buchwald, Rudi Völler, Klaus Augenthaler (oben); Pierre Littbarski, Andreas Brehme, Thomas Häßler, Jürgen Klinsmann, Lothar Matthäus (unten).

Die deutsche Startelf im Endspiel von Rom: Thomas Berthold, Bodo Illgner, Jürgen Kohler, Guido Buchwald, Rudi Völler, Klaus Augenthaler (oben); Pierre Littbarski, Andreas Brehme, Thomas Häßler, Jürgen Klinsmann, Lothar Matthäus (unten). imago images

Die Weltmeister feierten zwei Tage durch

Wie war die Feier?

Wir sind spät ins Hotel gekommen, Frauen und Sponsoren warteten schon. Wir haben bis morgens durchgefeiert und sind dann nach Frankfurt geflogen, haben dort weitergefeiert. Abends dann der nächste Flug mit Lothar nach Mailand. Wir waren quasi Nachbarn, es war alles in deutschen und italienischen Farben geschmückt. Nach zwei Bier ging gar nichts mehr, irgendwann war der Akku leer. Wir hatten auf dieses Ziel hart hingearbeitet, der ganze Aufwand hatte sich gelohnt. Danach kann man auch mal zwei Tage durchfeiern.

Sie stehen durch das Tor in einer Reihe mit Helmut Rahn, Gerd Müller und seit 2014 mit Mario Götze. Wie hat es Ihr Leben verändert?

Nur positiv. Durch Werbeverträge und Veranstaltungen eröffneten sich mir unheimlich viele Möglichkeiten.

Interview: Frank Linkesch

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