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Werner Gregoritsch vor Jubiläum: "Ich habe immer klar gesagt, dass meine Erfüllung die U 21 ist"

100 Spiele als U 21-Teamtrainer

Werner Gregoritsch vor Jubiläum: "Ich habe immer klar gesagt, dass meine Erfüllung die U 21 ist"

Emotional stets mit 100 Prozent bei der Sache: Werner Gregoritsch.

Emotional stets mit 100 Prozent bei der Sache: Werner Gregoritsch. GEPA pictures

Herr Gregoritsch, Sie bestreiten am Montag gegen Kroatien Ihr 100. Länderspiel als U-21- Teamchef. An welche Momente erinnern Sie sich besonders gerne zurück?

Das wichtigste Ereignis war sicher die Teilnahme an der EM 2019. Das war auch ein Auftrag vom ÖFB, dass wir das endlich mal schaffen. Weil man davor praktisch 50 Jahre lang versucht hat, sich in der U 21 für ein Großereignis zu qualifizieren. Bei der EM bleibt vor allem das Spiel gegen Deutschland ewig in Erinnerung. Noch nie hat Österreich mit der U 21 gegen die Deutschen so dagegenhalten können, wie wir. Wir waren die bessere Mannschaft, hatten die besseren Chancen. Leider war Sasa Kalajdzic damals nur zu 70 Prozent fit, denn der hat drei hundertprozentige Torchancen vergeben. Ich denke, dann hätten wir sogar gewonnen. Ich kann mich noch gut erinnern, als mir Stefan Kuntz (damals Trainer der Deutschen U 21, Anm.) zu unserer Leistung gratuliert hat.

Testspiel

Sie haben über zehn Jahre lang junge Talente auf ihrem Weg nach oben begleitet. Wenn Sie an die verschiedenen Jahrgänge denken, die sie betreut haben, wie hat sich der Fußball entwickelt und wie haben sich die Charaktere im Fußball verändert?

Als ich 2011 begonnen habe, war ich froh, dass ich Spieler gehabt habe, die in der österreichischen Bundesliga gespielt haben. Da hast du zwar vielleicht zwei, drei Legionäre gehabt, aber auch Spieler, die in der 2. Liga oder Regionalliga gespielt haben. Das gibt es jetzt nicht mehr. Ganz viele meiner Spieler sind im Ausland aktiv. Es hat sich in der Professionalität und in der Struktur ganz viel verändert. Zum Zweiten hat sich durch die Entwicklung der Akademien einiges getan. Das Maß aller Dinge, so ehrlich muss man sein, ist heutzutage die Red-Bull-Akademie. Viele meiner Spieler haben Teile ihrer Ausbildung dort verbracht und sind dadurch auf höchstem professionellen Niveau, auch was Mentalität und Einstellung betrifft.

Also hat sich auch der Fußball in dieser Zeit noch einmal enorm entwickelt?

Der Fußball ist näher zusammengerückt. Durch die Globalisierung, wenn du heute in Länder wie Andorra oder die Färöer schaust - mittlerweile ist es so, dass diese kleinen Länder Spieler aus anderen Nationen einbürgern. Zum Beispiel bürgern die Färöer dänische Spieler ein, die dort keine Chance haben. Andorra bürgert italienische Spieler ein, Gibraltar spanische Spieler. Da hat sich so viel entwickelt. Du fährst nirgends mehr hin, mit dem Wissen, dass das eine "g'mahte Wiesn" ist. Die Leistungsdichte ist so eng geworden, dass du dich immer beweisen musst. Das sieht man ganz klar bei den Ergebnissen. Auch was sich in Hinblick auf Technik, Videoanalyse oder Scouting entwickelt hat, welche Informationen die GPS-Daten für die Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung liefern. Das ist eine Wissenschaft mittlerweile. Aber das imponiert mir auch, wenn ich ehrlich bin.

Die U 21 steht nicht immer so im Rampenlicht. Wünschen Sie sich des Öfteren, auch mal mehr Aufmerksamkeit für die U 21, sei es aus medialer Sicht oder was das Publikum in den Stadien betrifft?

Früher war die U 21 eine Durchgangsmannschaft und die Spieler waren oft nicht so gern dabei, weil sie keine Wertschätzung gespürt haben. Das ist heute überhaupt nicht mehr der Fall. Als ich begonnen habe, wurden maximal zwei Spiele im Fernsehen übertragen. Heute wird alles übertragen, auch die Freundschaftsspiele. Die U 21 hat einfach enorm an Bedeutung gewonnen. Ich habe jahrelang so gut wie keine Medienvertreter auf den Plätzen gesehen. Heute ist das Interesse schon sehr groß. Mittlerweile ist es so, dass auch wir mit der U 21 - so wie das A-Team - mit dem Charter zu Spielen fliegen. Die Spieler kommen von Bayern München, aus England oder anderen Top-Ligen zum Team. Und wenn wir dann mit der Kutsche, also mit dem Postbus sage ich jetzt einmal, zu einem Spiel fahren würden, dann hinterfragen die Spieler das natürlich.

Unsere Mannschaft in der U 21 hat dadurch sicher 30 bis 40 Prozent an Qualität verloren.

Werner Gregoritsch über die Hochstufung von Nicolas Seiwald ins A-Team

Als U-21-Teamtrainer sind Sie in engem Kontakt mit dem Trainer des A-Teams. Natürlich werden die besten Spieler Ihres Teams vom A-Team hochgezogen. Hat es hier schon mal eine Entscheidung gegeben, mit der Sie nicht ganz einverstanden waren?

Klar, tut es weh, wenn dir wichtige Spieler abhandenkommen. Mit dem letzten Jahrgang waren ganz knapp dran, zur EM zu fahren. Die Qualifikation haben wir verspielt, weil wir einfach nicht komplett gewesen sind. Nicolas Seiwald war unser absolutes Herzstück der Mannschaft. Der ist ins A-Team gekommen, hat dort auf Anhieb gespielt und seine Leistung gebracht. So etwas muss man natürlich respektieren. Aber was man auch nicht vergessen darf: Unsere Mannschaft in der U 21 hat dadurch sicher 30 bis 40 Prozent an Qualität verloren, weil er Spieler mitgezogen hat. Aber als U-21-Trainer musst du alles unterordnen, damit sich die Spieler so entwickeln, dass sie so rasch wie möglich ins A-Team kommen.

Also auch den Erfolg?

Ja, zum Teil auch den Erfolg. Heute, nach über zehn Jahren und 100 Länderspielen, sage ich eines: Wenn du die Teamchefs nicht hast, die dich absolut unterstützen, dann funktioniert das einfach nicht. Das war bei Marcel Koller so, bei Franco Foda war es ganz extrem und bei Ralf Rangnick ist es genauso. Ein früherer U-21-Teamchef hat mir mal erzählt, er hat bei einem wichtigen Play-off-Spiel sieben Spieler hergeben müssen und von diesen sieben waren dann vier Spieler auf der Tribüne beim A-Team. So etwas hat es während meiner Zeit zum Glück nicht gegeben. Franco Foda hat unsere Mannschaft immer unterstützt, der war sogar bei der EM dabei. Auch jetzt Ralf Rangnick, den ich seit über 20 Jahre kenne, seitdem ich mit ihm bei Arsenal hospitiert habe.

Nicht immer stellen Klubs - aus welchen Gründen auch immer - ihre Spieler gerne für die Nationalmannschaft ab. Stößt so etwas einem Nationalteamtrainer auch mal sauer auf?

Die österreichischen Vereine sind zum Teil sehr stolz, wenn sie einen Spieler zu einem Nationalteam abstellen können, denn das hebt letztlich auch den Marktwert. Aber ich muss dazu sagen, es gibt schon Länder, wo das nicht der Fall ist. Das sind Länder wie Frankreich oder Italien, wo die Vereine so von sich überzeugt sind und wo es immer wieder auch einmal zu Problemen kommt, wenn es um die Abstellung von Spielern fürs Nationalteam geht.

Die beste U-21-Elf des Werner Gregoritsch

Nach dem Spiel gegen Kroatien wird es einen Perspektivlehrgang geben. Worauf wird dabei der Fokus liegen?

Diesen Perspektivlehrgang gibt es jetzt zum ersten Mal. Der ist eben für die Spieler, die zwischen der U 21 und dem A-Team hängen oder auch für junge Spieler, die jetzt in der U 18 oder U 19 sind und wirklich Potenzial haben. Das ist eine enorme Wertschätzung für diese Spieler und ich glaube, dass dadurch auch die Eigenmotivation viel höher wird. Ralf Rangnick, sein Team und ich werden uns eine Woche diesen Spielern widmen. Das finde ich extrem gut, weil du eben den Zugang zu den Spielern hast und sehr viel gemeinsam besprechen kannst. Ich habe mich immer mit den A-Teamchefs besprochen und auch wissen wollen, was sie sich von mir erwarten. Beispielsweise wollte Marcel Koller, dass ich die Standards defensiv so ausrichte, wie er. Franco Foda hingegen war wichtig, dass wenn ein junger Spieler im A-Team nicht viel spielt, dass er in meinem Team Spielpraxis sammeln kann. Mit diesem Perspektivlehrgang habe ich nun die Möglichkeit, die Philosophie und die Trainingsinhalte des Ralf Rangnick aus erster Hand vermittelt zu bekommen.

Wie läuft Ihre Arbeit ab, wenn Ihre Spieler bei ihren Klubs im Einsatz sind? Wie oft schaffen Sie es zu den Spielen, wie oft sprechen Sie mit Ihren Spielern?

Ein Großteil ist Kommunikation. Ich habe stets Kontakt zu den Spielern. Auch, aber nicht nur über eine Nationalmannschaftsgruppe. Ich telefoniere mit den Spielern, aber auch mit den Trainern, wenn es notwendig ist. Selbstverständlich bin ich laufend bei Spielen, am Wochenende meistens bei zwei Begegnungen, aber auch unter der Woche. Ich bin immer unterwegs, ob das 2. Liga oder Bundesliga ist. Aber natürlich ist auch die Kommunikation mit den Managern, Trainern und Spielern wichtig. Ich bin auch schon einmal für den Trainer des A-Teams nach Spanien geflogen und habe mir einen Spieler angesehen. Damals war das Andreas Ivanschitz bei Levante.

Bevor Ralf Rangnick als Teamchef bestellt wurde, haben Sie von diesem Job geschwärmt, aber auch klar gesagt, nie einen Karriereplan verfolgt zu haben. Jetzt sind Sie aber doch schon über zehn Jahre im Amt. Ist es da nicht doch ein wenig verwunderlich, dass Sie in der Teamchef-Frage meist außen vor blieben?

Es ist eine komische Situation. Es ist natürlich in Österreich so, dass wir immer noch in der K&K-Zeit leben. Also nicht jetzt auf die Adeligen oder irgendwelche Titel bezogen, aber wenn irgendjemand einen Namen hat, wird dieser auch leichter und schneller von den Medien ins Gespräch gebracht. Ich bin auch immer wieder Thema gewesen. Also es war nie so, dass ich nicht genannt wurde. Aber ich habe immer klar gesagt, dass meine Erfüllung die U 21 ist. Damit habe ich auch ganz klar zu verstehen gegeben, dass ich die U 21 nicht übernommen habe, damit ich Teamchef im A-Team werde. Ich komme eigentlich aus dem Jugendfußball, habe dort viele Jahre verbracht, war Akademie-Trainer und das hat mir immer sehr viel Freude bereitet. Es war nicht meine Intention, Profitrainer zu werden. Das ist einfach passiert. Dann habe ich gedacht, ich mache den Job zwei, drei Jahre und jetzt sind es 23 Jahre geworden.

Sie haben in diesem Jahr zwei Jubiläen gefeiert. Zehn Jahre U-21-Trainer und jetzt auch 100 Spiele. Wie viele Gregoritsch-Jubiläen wird es in Zukunft noch zu feiern geben?

(lacht). Normalerweise ist es so, dass ich nächstes Jahr im April das Pensionsantrittsalter erreicht hätte. Aber ich bin sehr gut drauf, trotz einiger Schicksalsschläge. Ich habe vor zwei Jahren einen Herzinfarkt gehabt, was sicher auch mit dem Fußball zu tun hatte. Aber ich liebe und brauche den Fußball und ich glaube, dass er auch sehr viel zu meiner Gesundung beigetragen hat. Es ist mit dem ÖFB so vereinbart, dass ich den aktuellen Jahrgang auf alle Fälle mache. Dann wird man weitersehen. Es gibt Trainer, die arbeiten bis 70, Trainer, die früher aufhören. Wenn es mir nicht mehr taugt oder wenn es nicht mehr passt, dann werde ich sagen, danke, das wars. Es ist ein geiler Job, aber es ist auch ein schwieriger Job, weil du ständig unter Druck bist. Stress ist nun eben mal Auslöser für einen Herzinfarkt oder andere Krankheiten. Da kommt es darauf an, wie du damit umgehen kannst. Ich denke, ich bin immer wieder aufgestanden.

Interview: Michael Chudik