Int. Fußball

Warum AEK Athen heute erstmals seit 2003 wieder ein Heimspiel hat

"Opa, wir sind wieder zurück!"

Warum AEK Athen heute erstmals seit 2003 wieder ein Heimspiel hat

Das neue AEK-Stadion bei der Eröffnung.

Das neue AEK-Stadion bei der Eröffnung. IMAGO/ANE Edition

Viele Fußballklubs haben einen Stadionneubau vorangebracht und dabei eine schwierige Übergangsphase in Kauf genommen. Doch bei dieser schier unglaublichen Story brauchte der Verein über 19 Jahre oder exakt 9070 Tage, um das Happy End zu erleben. Nach Hunderten von Spielen in neun Ausweichstätten, nach unendlichen sportlichen, finanziellen und juristischen Querelen spielt AEK heute Abend erstmals seit dem 3. Mai 2003 wieder daheim.

Abriss des alten Stadions nach Erdbeben

Das Unheil nahm im September 1999 seinen Anfang, als nach dem verheerenden Erdbeben rund um die griechische Hauptstadt Athen auch das Stadion des nominell drittgrößten griechischen Fußballvereins stark beschädigt wurde. Der einheitliche Tenor danach hörte sich gut für AEK an: Das 1930 erbaute Stadion sollte in den Umbauplan für die Olympischen Spiele 2004 einbezogen und die ehrwürdige Arena neu gebaut werden. Zentrale und kommunale Politik sowie Sportfunktionäre waren sich einig.

Die meisten dachten, in zwei bis drei Jahren ins neue Stadion zurückzukehren. Aber bei AEK kam schon immer alles anders.

AEK-Legende Toni Savevski

Als AEK im Mai 2003 im letzten Spiel zu Hause Ligakonkurrent Aris mit 4:0 abfertigte, war es das Ende des alten Stadions, aber auch einer denkwürdigen Saison. Damals schafften die Athener einen der vielen zweifelhaften Rekorde der kultigen Klubgeschichte: In der CL-Gruppenphase schieden sie ungeschlagen aus. In der über 30-jährigen Geschichte der CL ein noch "unerreichter" Rekord. Sechs Remis, darunter je zwei gegen Reals "Galacticos" um Zidane und gegen die Roma um Totti. Den Meistertitel verpasste man hinter dem Duo Olympiakos und Panathinaikos um mickrige zwei Zähler. Um es mit den Worten von AEK-Legende Toni Savevski (410 Pflichtspiele, 71 Tore, 68 Assists zwischen 1988 und 2001) zu beschreiben: "Die meisten dachten, in zwei bis drei Jahren ins neue Stadion zurückzukehren. Aber bei AEK kam schon immer alles anders."

2004 übernahm den Verein Publikumsliebling und Goalgetter Demis Nikolaidis, der ein paar Wochen zuvor unter Otto Rehhagel Europameister in Portugal geworden war; als Präsident und Anführer einer Investorengruppe. Aufgrund der undurchsichtigen Bau-Einschränkungen im Athener Ortsteil Nea Filadelfia, wo sich korrupte Politik und Bürokratie trafen, entwickelte man relativ schnell einen neuen Plan, eine größere, moderne Arena andernorts in Athen zu bauen. Sportlich verpasste AEK 2005 knapp den Titel, 2007 holte der Klub sogar Weltstar Rivaldo, um endlich wieder nach 1994 Landesmeister zu werden. Sportlich gelang es, doch - zum zweiten Mal nach 1988, auch ein unrühmlicher "Rekord" - der Titel wurde am grünen Tisch verloren. Im Nachhinein der Anfang vom Ende. Statt der CL-Millionen erreichte die Kritik auch Fanliebling Nikolaidis, der im Herbst 2008 aufgab. Nach und nach entfernten sich auch die Investoren, was nach enormen finanziellen Turbulenzen im Frühjahr 2013 zum erstmaligen Abstieg nach fast 90 Jahren führte.

Neun Jahre später Lob von Laporta

Super League Griechenland

Erfolgspräsident - und selbst ein Flüchtlingskind - Dimitris Melisanidis, schon in den frühen 90ern mit AEK-Legende Dusan Bajevic, der als Spieler zwischen 1977 und 1980 drei und als Trainer Anfang der 90er vier Meistertitel mit AEK holte, erfolgreich, übernahm nach dem Abstieg den Verein erneut. Schon in Zeiten der Drittklassigkeit sagte er das scheinbar Unmögliche: "Unser Stadion an alter Stätte wird gebaut, egal, was es kostet."

Jeder AEK-Plan landete vor Gericht

Es war auch der Wunsch aller AEK-Fans, deren Vorfahren schon vertriebene Griechen aus dem heutigen Istanbul waren, um nicht nochmals umziehen zu müssen, doch realistisch klang es nicht. Es waren schließlich schon zehn Jahre seit dem Abriss vergangen. Bau- und Finanzplan standen, doch dann mischte erneut die Politik mit. Obwohl die Mehrheit seiner Bürger AEK-Fans waren, leistete der 2014 gewählte Bürgermeister von Nea Filadelfia einen erbitterten politischen und juristischen Widerstand gegen den Bau einer neuen Arena. Jeder AEK-Plan landete vor Gericht, jeder gewonnenen juristischen Schlacht folgte eine erneute Klage, im Zweifel dann von "17 Einwohnern" oder wegen 38 Bäumen, die gefällt werden mussten. Und das, obwohl Vasilopoulos vorher dem Verein öffentlich jegliche Hilfe und Unterstützung zugestand und sich auch so die Wahl sicherte.

Die Baugenehmigung wurde erst im Juli 2017 erteilt, als AEK schon mehrfach juristisch vor dem obersten Gerichtshof erfolgreich war. Die Meisterfeier 2018 fand nicht im Olympiastadion, sondern mit Hunderttausenden fast schon skurril rund um die Baustelle statt, weil sich da alle heimischer fühlten. Der mehrjährige Nervenkrieg nahm spätestens 2019 mit der Wahl von Schauspieler Giannis Vouros als neuen Bürgermeister von Nea Filadelfia ein Ende. Vouros, glühender AEK-Fan, schaffte es, Interessen der Stadt und AEK-Unterstützung zu kombinieren. Zeitgleich mit dem Bau der neuen Arena wurde die Infrastruktur mit Straßen und Gehwegen rund ums Stadion neu konzipiert. Der Tunnel, der zur und aus der Arena führt, wurde Mitte September für den Verkehr freigegeben. Somit wurde auch die letzte Hürde genommen.

Am vergangenen Freitag konnte "Hagia Sophia" eingeweiht werden. Das Grußwort von Patriarch Bartholomäus, eindeutig wie geschichtsträchtig: "AEK ist eine (Lebens-)Idee und solche sterben niemals aus." Man teilt sich schließlich das gelbe Wappen mit dem doppelköpfigen Adler.

AEK Athen

Das neue Stadion von AEK IMAGO/ANE Edition

Die eher für eine moderne Arena untypische Architektur ähnelt mehr einer Festung und die Anlehnung an "Hagia Sophia" ist deutlich sichtbar. Für AEK ist es eine Kultur-, Geschichts- und Sportstätte. So sah es vor Ort auch Barcelona-Präsident Joan Laporta, der mit Melisanidis befreundet ist: "AEK ist wie Barça, mehr als nur ein Verein" ("Mes que un club"). Und ließ sich ausführlich die 98-jährige Geschichte des Klubs erklären.

Und dann gibt es noch einen gewissen Gordan Petric, ehemaliger serbischer Abwehrrecke, der 1999 einst als Leihspieler von Crystal Palace AEK erlebte. Der heute 53-jährige Petric kaufte sich zu Sommerbeginn zwei Dauerkarten für die neue AEK-Arena - auch um seinem Sohn seine sportliche Vergangenheit zu zeigen. Aktuell hat Petric ein enormes Problem: Als neuer Partizan-Belgrad-Coach wird er kaum Zeit finden, um nach Athen zu reisen. Er denkt aber gar nicht daran, die Karten zurückzugeben. Irgendwann wird der Spielplan schon passen.

Ausnahmezustand rund um die Uhr

Seit einigen Tagen (und Nächten) wird es nie still rund um die Arena. Selbst in der Nacht pilgern AEK-Fans ins neue Stadion und lassen sich vor dem zwölf Meter breiten stählernen Adler, der über die Fantribüne 21 wacht, ablichten. Zur Einweihung am Freitag reisten nicht nur Anhänger aus dem ganzen Land an. Auch Fanklubs aus Deutschland, England, Italien, aus New York und Sydney machten sich bemerkbar. Die Cafés und Bars rund ums Stadion sind wieder voll. Und alle im gleichen Tenor: "Endlich wieder zu Hause!" Busse und Haltestellen haben auch eine digitale Botschaft: "Willkommen zurück, AEK".

Opa, wir sind wieder zurück!

Banner-Text im Stadion

Bezeichnend auch das erste Banner im Stadion: "Opa, wir sind wieder zurück!", wollte ein junger Mann seine Freude dem verstorbenen Großvater mitteilen. Die Einweihungsfeier wurde live im staatlichen TV übertragen und bescherte eine Topquote von über 25 Prozent mit bis zu zwei Millionen Zuschauern. Alle sahen lauter feuchtfröhliche Augen auch bei AEK-Legenden wie den beherrschten Bajevic oder Rekordtorjäger Thomas Mavros. Oder von Eigner Melisanidis selbst, der wie ein kleiner Junge weinte, als ihm in der rappenvollen Arena bewusst wurde, dass er nach hart umkämpften Jahren den selbsternannten "Lebenskampf" gewonnen hat. Ohne einen Cent an Schulden für den Verein.

Alle sehnen den Anpfiff herbei

Für das heutige Premierenspiel gegen Ionikos (19 Uhr MESZ) hätte AEK auch locker über 100.000 Karten verkaufen können. Letztlich schaffen es die knapp 26.000 Dauerkartenbesitzer, sowie weitere 6.000 Fans über den freien Verkauf - diese Tickets waren umgehend weg. Sie werden stundenlang wieder Freudengesänge halten und den Emotionen freien Lauf lassen. Vor der Arena werden einige Tausend mitsingen. Nach fast zwei Jahrzehnten Wartezeit mehr als angemessen.

Einen Vorgeschmack bekamen die Spieler um Trainer Matias Almeyda, der solche Szenen auch als Spieler und Trainer von River Plate erlebte, und die früheren Bundesliga-Akteure Steven Zuber, Mijat Gacinovic und Domagoj Vida am Sonntag beim ersten Training im neuen Stadion. Unangemeldet fanden sich 4000 Fans vor der Arena ein, die den Mannschaftsbus lautstark empfingen. Aus dem Abschlusstraining wurde schnell ein öffentliches mit Gesängen und Bengalos. Bei allem Hype, der Unterschied zu anderen Neubauten ist simpel und berechtigt emotional: Es ist kein Neuanfang in einer modernen Arena, sondern eine Rückkehr aus dem fast zwanzigjährigen Exil. Eine Rückkehr nach Hause. Oder wie Savevski es nüchtern betrachtet: "Dem, was vor 98 Jahren begann, wurde heute ein weiteres großes Kapitel hinzugefügt. Ohne Melisanidis wäre dies nicht möglich gewesen."

AEK kehrt nur nach Hause zurück

Und auch wenn Sportwettenanbieter OPAP eine stattliche zweistellige Millionensumme für die Namensrechte der kommenden fünf Jahre zahlt. Für die Jungen und Mädchen, die noch nie ein richtiges Heimspiel erlebt haben, für Väter und Mütter die früher selbst im Fanblock 21 standen, für Opas und Omas, die von den Toren von Nestoridis und Mavros erzählen - für sie alle kehrt AEK nur nach Hause - zu "Hagia Sophia" - zurück.

Die internationalen Top-Transfers des Sommers