Mehr Sport

Wie Oliver Vogel und Regensburg zum Erfolgsduo wurden

Regensburg ist erfolgreichster Futsal-Klub Deutschlands

Wachtmeister, Baumeister, Deutscher Meister: Wie Vogel und Regensburg zum Erfolgsduo wurden

Umjubelter Macher: Oliver Vogel wird von den Regensburger Spielern in die Luft geworfen.

Umjubelter Macher: Oliver Vogel wird von den Regensburger Spielern in die Luft geworfen. Bongarts/Getty Images

Erster Akt: Die Anfrage

Das Jahr 2015 ist für die Fußballer des SSV Jahn Regensburg gleichzeitig ein Jahr des Absturzes und der Neuausrichtung - sportlich wie mental. Zwei Horrorsaisons in Folge, der Absturz in die Regionalliga, Dorfplätze statt Stadien, Amateurfußball statt Sportschau, Rain am Lech statt Arminia Bielefeld. Mitten in diesem Spannungsfeld erreicht Christian Keller Mitte Juni eine Nachricht auf dem Berufs-Netzwerk Xing. Der Manager soll die Regensburger Fußballer wieder aufbauen, zurück in den Profifußball führen, kurzum: konkurrenzfähig machen.

Beschäftigt mit all diesen Dingen, ignoriert er den Schrieb zunächst drei, vier, fünf Wochen lang. Nach eineinhalb Monaten liest er ihn erstmals konzentriert durch und meldet sich. Der Absender heißt Oliver Vogel, ein Fitnessgerätverkäufer aus Karlsruhe, sein Ansinnen: Eine neue Sparte neben dem Fußball aufbauen: Futsal. Keller, heute beim 1. FC Köln in der Verantwortung, antwortet, höflich, wenn auch spät. Er könne sich mit Vogels Plan momentan nicht auseinandersetzen, zu groß sei der Berg an Arbeit, der mit der Sanierung des Klubs auf ihn zukomme.

Doch der Manager verweist Vogel an den Stammverein, ebenjener Klub, von dem sich der SSV Jahn Regensburg Fußball vom Jahn 2000 abgespalten hat, um nach Jahrzehnten der Finanzprobleme im Ernstfall "nur" die Fußballabteilung zu ruinieren und nicht den Gesamtverein.

Zweiter Akt: Mehr als Breitensport

Bald 24 Jahre ist es her, dass sich die Fußballabteilung des Sport- und Schwimmvereins Jahn Regensburg vom Stammverein ausgliederte. Neben dem Boxen gibt es u. a. Sparten für Kendo, Turnen und Schwimmen. Breitensport eben. Bis Oliver Vogel kam und sich mit dem Vorstand zusammensetzte. Nur eine Delegiertenversammlung dauerte es, bis sich die Verantwortlichen für Vogels Antrag entschieden und eine neue Sparte gründeten: Futsal. In langen Gesprächen hatte Vogel erklärt, was es mit der Sportart auf sich hatte.

Ricardo de Oliveira Ernani of Cascavel

Auch im Futsal sind große Emotionen an der Tagesordnung: Im Bild der Brasilianer Ricardo de Oliveira Ernani of Cascavel. IMAGO/ZUMA Wire

Futsal ist eine Art Hallenfußball, der mit vier Feldspielern und einem Torwart, einem sprungreduzierten Ball und deutlich mehr Tempo und Körperlichkeit gespielt wird. Nach vier Sekunden muss die Kugel vom Torwart beziehungsweise den Spielern wieder im Spiel sein, sonst bekommt die andere Mannschaft den Ball. Zudem zählen technische Finessen und das Passspiel mehr als Tiefenläufe und Sprints, ein Tor per Lupfer oder mit der Hacke ist keine Seltenheit. Die Folge: Die Partie wird schneller - und somit attraktiver mit einer Nettospielzeit von 20 Minuten pro Hälfte. "Zeitschinden ist da nicht", sagt Vogel.

Kein Wunder, dass bei dem Fokus auf der Technik Brasilien zu den Top-Nationen gehört - auch Argentinien, Südeuropa oder die Balkan-Staaten verkörpern Weltklasse.

So weit sind die Teams in der Bundesliga zwar noch nicht, eine starke Rolle - zumindest in Deutschland - spielen neben dem Jahn beispielsweise der Hamburger SV, der die Regensburger vor knapp zwei Monaten mit 10:1 besiegte, Hohenstein-Ernsttal aus Sachsen oder der TSV Weilimdorf aus dem Raum Stuttgart.

Dritter Akt: Der Baumeister

Oliver Vogel ist keiner, der mitzählt. Weder beim Spielstand noch bei seinen Ausgaben. Beim Freizeitkick mit Kollegen und Freunden ist der Spielstand sekundär, ebenso scheint es, als kenne Vogel nicht einmal die Summe, die er in sein Projekt gesteckt hat. Sie muss in die Tausende gehen. Vogel ist ebenjener Typ, der kaum Nachrichten schreibt. Viel lieber spricht er sie in sein Handy, sodass immer klar ist, was er wie meint. Und weil es weniger Zeit kostet.

Denn mit Vogel hat alles angefangen beim SSV Jahn 1889. Ohne den 53-Jährigen wären die Regensburger nicht einmal in der Nähe des Erfolgs, den sie in den vergangenen Jahren verzeichnen: Zweimal deutscher Meister, einmal Vizemeister, Champions-League-Teilnehmer, der einzige Klub in Deutschland, der fünf Jugendmannschaften im Futsal ausbildet. Schwerer noch als sein Geld wiegt aber Vogels Herzblut.

Ein Sonntag im Oktober, Oliver Vogel sitzt an einer Schulbank in der Mehrzweckhalle Hemau, etwa 30 Kilometer westlich von Regensburg. Seine Brille liegt schief auf dem Kopf, ein Stapel roter Bänder in seiner Hand. "Macht ja sonst gerade keiner", murmelt er, als immer mehr Menschen sich vor dem Holztisch einreihen. Manche von ihnen tragen ein rotes Trikot mit einem großen "J" auf der Brust, das ein "R" umschließt, das Logo des SSV Jahn 1889 Regensburg. Doch mit dem Fußball-Drittligisten teilt der Futsal-Bundesligist SSV Jahn 1889 lediglich das etwas abgeänderte Emblem, das des Muttervereins.

Futsal-Nationaltorwart: Jean-Michel Göde über die Futsal-Entwicklung

alle Videos in der Übersicht

Der Futsal-Verein steht viel mehr als der Fußballklub für Erfolg. Während die Fußballer in der 3. Liga um den direkten Wiederaufstieg kämpfen, bestreiten die Futsaler Partien in Schweden, Finnland und Lettland, um auf internationale Top-Teams zu treffen. Vogel ist immer dabei. Neuzugänge verpflichten, Trikots besorgen, Spieler beherbergen, Talente scouten, Tickets verkaufen - er ist mehr als nur ein Abteilungsleiter. Es gibt Menschen, die über ihn sagen, er sei ein Verrückter. Positiv. Manchmal sagt Vogel das auch selbst. Es braucht einen solchen Typen, der seine gesamte Freizeit in ein Projekt steckt, damit es funktioniert. Lange sprach er mit einem Bekannten, um Felix Magath zu einem Spiel einladen zu können, Anfang Dezember kam die Trainerlegende

Die Spieler kennen Vogel, weil er ihr Ansprechpartner im Verein ist, die Eltern, weil er ihre Kinder trainiert. Der Hallenwart, weil er die Langbänke beiseiteschafft, die Sponsorenvertreter, weil er Verträge mit ihnen aushandelt. Vogel ist omnipräsent, akribisch wie ein Wachtmeister. Und verkauft "nebenbei" seine Fitnessgeräte.

kicker-ABC

Früher spielte er selbst Fußball in der Landesliga, machte das Abitur, war zwei Jahre lang Fallschirmjäger, absolvierte anschließend eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann. Schon damals durchblätterte er die TV-Zeitschrift, um sich die Termine zu notieren, wann Eurosport Futsal zeigt.

Er verbrachte Stunden vor dem Fernseher, bewunderte die Robustheit der Kroaten und die Technik der Brasilianer und Spanier. Später siedelte er wegen der Arbeit nach Australien über. Dort ist Futsal deutlich populärer als hierzulande, bis zu 5000 Zuschauer kommen dort zu den Top-Partien. Vogel stand auch dort über vier Jahre fünfmal die Woche auf dem Court in Melbourne, die Mannschaftskameraden sahen ihn öfter als seine Freundin.

Schnell war ihm klar: Das will ich auch in Deutschland haben. Er kam zurück - und schrieb die eingangs erwähnte Nachricht an Christian Keller. Jetzt darf er sich deutscher Futsal-Meister nennen.

Vierter Akt: Stars und Teamplayer

Ricardinho

Im Futsal bereits eine lebende Legende: Ricardinho. imago images/NurPhoto

Als Oliver Vogel im Mai dieses Jahres auf sein Handy blickt, will er seinen Augen nicht trauen. Ricardinho in Riga? Niemals. Es ist aber wahr. Der Superstar des Welt-Futsals kickt ab sofort für den lettischen Vertreter in der Champions League. Früh war er schon Nationalspieler, Weltmeister und sechsmal zum besten Futsaler der Welt gekürt worden. Ein Messi auf Hallenboden. Und ebenjener Ricardinho sollte nun die 1. Runde der Champions-League bestreiten, gegen Jahn Regensburg. Der einzige deutsche Vertreter schlug sich gut, verlor aber mit 1:3. Mit dabei: Lucas Kruel. Ihn hat Oliver Vogel noch vor der ersten Saison zum Jahn geholt.

Es muss im Jahr 2012 gewesen sein, sagt Vogel, da lebte er noch in Australien. Er sah Kruel spielen, verliebte sich in seinen Stil. Drei Jahre später, Vogel arbeitete mittlerweile in Regensburg, scrollte er durch seine Facebook-Timeline. Auf einem Foto posierte der damalige Bayern-Stürmer Douglas Costa - mit Lucas Kruel in München. Vogel schrieb ihn an, ob er nicht zum Futsal-Spielen nach Regensburg kommen wolle. Und Kruel wollte. Er avancierte mittlerweile zu einem der stärksten Spieler der Bundesliga, reiht Spiel an Spiel, hat so über 100 Partien absolviert.

Doch auch Kruel wird älter, denkt an die Zukunft. Gemeinsam mit Vogel, Teamchef und Kassenwart Thorsten Porkert und Manager Florian Roth professionalisiert er den Verein. Alle vier versprechen sich von der Arbeitsteilung langfristigen Erfolg. Keine Entscheidung wird allein getroffen, mit Ehrenamt hat die erforderliche Arbeit merklich nur noch auf dem Papier zu tun.

Fünfter Akt: Der DFB und Futsal

Im Jahr 1963 wurde die Fußball-Bundesliga gegründet. Die Verhandlungen zogen sich damals über Jahre. Wirklich verhandelt wurde 56 Jahre später nicht. Damals gab es lediglich die Vision verschiedener Vereine, den Futsal besser zu organisieren, ihm eine sichtbarere Plattform zu verleihen. Schlicht: Ihn zu professionalisieren. Profis sind die Spieler auf dem Parkett deshalb noch nicht, die allermeisten arbeiten nebenher. Das Geld fließt woanders.

Kim Herterich

Regensburger Nationalspieler: Kim Herterich. Getty Images

Organisiert sind die Klubs nun aber schon, alles unter dem Dach des DFB. Der stellt eine Nationalmannschaft seit 2016 und beschäftigt mit Christian Saur sogar einen ehemaligen Regensburger Futsaler für die neue Sparte. Dennoch sind sie in der Domstadt nicht immer gut zu sprechen auf den DFB. Der hat nämlich 2017, zwei Jahre nachdem Oliver Vogel die Sparte gegründet hatte, eine entscheidende Regel eingeführt.

Diese limitierte den Einsatz von Nicht-EU-Ausländern - und betraf damit gerade die Regensburger. Die hatten nämlich dank Vogels Kontakten einige Brasilianer verpflichtet, darunter den oben erwähnten Lucas Kruel. Alles Nicht-EU-Ausländer.

Der Verband sagt, diese Vorgabe solle vor allem dem deutschen Nachwuchs helfen, die Verantwortlichen des Jahn sagen, dies schade ausschließlich ihrem Verein. Fakt ist: Sie mussten das Team umbauen, durften Säulen wie Marquinhus oder Halison nicht mehr einsetzen und mussten sie in Ihre Heimat zurückschicken. Meister wurde der Jahn trotzdem.

Die Regel gibt es mittlerweile nicht mehr, mittlerweile verzeichnen auch etliche andere Vereine Spieler aus dem nicht-europäischen Ausland, selbstverständlich in einer Futsal Bundesliga.

Diese Episode zeigt: Der SSV Jahn 1889 Futsal und der DFB sind nicht die größten Freunde. Eine Grundlage wäre jedoch geschaffen: Immerhin verfügen die Regensburger über mehrere Nachwuchsteams, integrierten zuletzt mit Maxi Berg und Jakob Klier die ersten Eigengewächse in die erste Mannschaft und entsenden mit Kim Herterich aktuell immerhin einen Spieler zur Nationalmannschaft - der inzwischen zehnte Jahn-Kicker, der den Adler auf der Brust tragen durfte. Mit den Strukturen im Breitensport hat das nicht mehr viel zu tun.

Michael Postl

Viele Premieren und ein Dauerbrenner: Die kicker-Elf des 14. Spieltags