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Voigtmann: "Ich konnte einfach nicht in Russland bleiben"

Basketball-Nationalspieler erzählt im Interview, wie und warum er ZSKA Moskau verlassen hat

Voigtmann: "Ich konnte einfach nicht in Russland bleiben"

Hat sich für einen Rückzug aus Russland entschieden: Basketball-Nationalspieler Johannes Voigtmann.

Hat sich für einen Rückzug aus Russland entschieden: Basketball-Nationalspieler Johannes Voigtmann. imago images/camera4+

Voigtmann ist seit Jahren einer der besten deutschen Basketballer. Er spielt zwar nicht in der NBA, ist aber seit 2016 Leistungsträger in der Euroleague, der europäischen Königsklasse. Nach drei Jahren beim spanischen Topteam Vitoria wechselte er 2019 als erster Deutscher in der Klubhistorie zur russischen Spitzenadresse ZSKA Moskau.

2,11 Meter ist Voigtmann groß, spielt nominell als Center unter den Körben, zeichnet sich aber vor allem durch Beweglichkeit, einen starken Wurf und ein außergewöhnlich ausgeprägtes Gefühl für das Spiel aus. Sein Gespür sagte dem 76-maligen Nationalspieler nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges in der Ukraine schnell, dass er sich als Profi von ZSKA nicht mehr am richtigen Platz befindet.

kicker: Herr Voigtmann, wann war für Sie klar, dass Sie in der aktuellen Situation nicht mehr als Basketball-Profi für ZSKA Moskau arbeiten wollen?

Johannes Voigtmann: Das war relativ schnell klar. Am Donnerstag vergangener Woche sind wir wie alle anderen auch von der schrecklichen Nachricht über den von Russland in der Ukraine begonnenen Krieg überrascht worden. Nach ein, zwei Tagen Bedenkzeit stand der Entschluss fest, dass ich nicht in Moskau bleiben möchte.

Was war für Sie der Hauptgrund, den Klub zu verlassen?

Ich kann es in der aktuellen Situation nicht mit mir vereinbaren, für ein russisches Team Wettkämpfe auszutragen, wo es am Ende um Sieger und Verlierer geht. Auch wenn es nur um Basketball geht, beinhaltet das eine Symbolik, die aus meiner Sicht derzeit unangebracht ist. Der russische Staatspräsident hat einen brutalen Angriffskrieg zu verantworten, wegen dem unschuldige Menschen in der Ukraine sterben, Millionen von Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen, gerade auch Kinder ihr Zuhause oder gar ihr Leben verlieren. Da konnte ich einfach nicht in Russland bleiben und weitermachen, als sei nichts passiert, zumal man nicht weiß, wie sich die Situation dort verändern wird. Da hätte ich mich im Gesamtkontext auch nicht mehr sicher gefühlt.

Als der Krieg begann, waren Sie mit Ihrem Team in München, wo das am Donnerstagabend geplante Euroleague-Spiel gegen die Bayern kurzfristig abgesagt wurde. Warum sind Sie mit der Mannschaft nochmal nach Russland geflogen?

Zunächst mal war ich sehr erleichtert, dass das Spiel letztlich abgesagt wurde. Keiner aus dem Team konnte sich an diesem Tag auf Basketball konzentrieren. Aus mehreren Gründen war aber klar, dass ich nochmal nach Moskau fliegen muss. Unser Hund war dort noch in Betreuung während des Auswärtstrips - und wir hatten ja eine vollständig eingerichtete Wohnung, in der ich mit meiner Frau und unseren beiden Söhnen gewohnt habe. Außerdem wollte ich in Ruhe mit den Klub-Verantwortlichen sprechen. Das fand ich fair, weil sie meinem Empfinden nach genauso unschuldig an diesem Krieg sind wie wir Spieler.

Johannes Voigtmann bei einem Dunk.

Ist über Science City Jena, die Skyliners Frankfurt und Laboral Kutxa Vitoria 2019 nach Moskau gekommen: Basketball-Center Johannes Voigtmann. imago images/ITAR-TASS

ZSKA bedeutet übersetzt Zentraler Sportklub der Armee. Sie spielten zweieinhalb Jahre für ZSKA, merkt man heutzutage noch etwas von der engen Verbindung zur Roten Armee in Zeiten der Sowjetunion?

Nein, ich weiß von der Historie, aber es gibt gar keine Verbindung mehr zur Armee. Der Basketball-Klub benutzt die Abkürzung ZSKA wegen der Bekanntheit nur als Marke. Ich möchte mich auch bei den ZSKA-Verantwortlichen bedanken. Ich konnte am Wochenende mit ihnen offene Gespräche führen und sie haben Verständnis für meine Entscheidung gezeigt. Sie haben mir und den anderen abgereisten Mitspielern keine Steine in den Weg gelegt. Meinem Eindruck nach befürwortet kein ZSKA-Verantwortlicher, mit dem ich gesprochen habe, diesen Krieg. Im Gegenteil, sie und der Klub leiden wie der gesamte russische Sport unter der aktuellen Situation. Auch wenn es gerade keine Alternative zum Ausschluss russischer Sportler und Teams gibt, tut mir das persönlich für die Menschen und Kollegen leid, mit denen ich zweieinhalb Jahre gut zusammengearbeitet habe.

Ich bin sehr froh, dass meine Familie seit Kriegsbeginn schon in Deutschland war und den Jungs so der abrupte Aufbruch und die lange Autofahrt erspart geblieben sind.

Johannes Voigtmann

Zumindest der Spielplan hatte sich als günstiger Zufall für Ihre Familie erwiesen, die für einen Heimatbesuch mit zum Auswärtsspiel nach München geflogen ist.

Genau, es war schon länger geplant, dass meine Frau und die Jungs mitkommen, um drei Wochen bei den Großeltern zu bleiben, bis die Jungs nach dem Ende der Ferien in Moskau wieder in den Kindergarten gehen sollten. Am Donnerstag war dann schnell klar, dass sich der Plan ändert. Ursprünglich wollte ich noch einen Koffer für die Familie mit deutschen Produkten, sprich Lebensmittel und Kinderbücher mit nach Moskau nehmen, das haben wir direkt gelassen. Ich bin sehr froh, dass meine Familie seit Kriegsbeginn schon in Deutschland war und den Jungs so der abrupte Aufbruch und die lange Autofahrt erspart geblieben sind. Meine Familie in Sicherheit zu wissen, war für mich sehr beruhigend und erleichternd. Von der Familie erneut über einen längeren Zeitraum getrennt zu sein, war ein weiterer Grund, dass ein Verbleib in Moskau für mich nicht in Frage kam.

Von Moskau aus mit dem Auto zu fahren, klingt abenteuerlich. Wie verlief Ihre Ausreise?

Weil am Sonntag die meisten Lufträume für russische Fluglinien schon geschlossen waren und ich so viele wichtige Dinge wie möglich aus der Wohnung mitnehmen wollte und auch noch den Hund hatte, blieb nur das Auto als Option. Das habe ich vollgepackt, versucht, so viele Dinge wie möglich mit der Wohnung und unserem restlichen Hausrat zu regeln, und bin nach einer abschließenden Teamsitzung am Sonntag mit dem Hund auf dem Beifahrersitz Richtung lettische Grenze gefahren. Das waren zunächst acht Stunden fast nur geradeaus durch öde Landschaften.

Jetzt waren es drei Tage, bis ich recht plötzlich die Zelte abgebrochen habe. Das braucht natürlich ein bisschen Zeit, bis es verarbeitet ist.

Johannes Voigtmann

Gab es Komplikationen?

Nicht wirklich, aber kurz vor der russischen Grenze ging mein Puls schon etwas hoch, weil ich nicht wusste, was mich dort erwarte würde. Bis auf die Tatsache, dass ich das ganze Auto ausräumen musste und die Grenzbeamten in jeden Koffer geschaut haben, lief es relativ glatt. Nach einer Pause bin ich dann weiter nach Litauen gefahren, wo ich in Kaunas bei meinem ehemaligen Teamkollegen Janis Strelnieks noch einen kurzen Stopp eingelegt habe. Über Polen ging es dann Hause, am Ende waren es etwa 2500 Kilometer.

Sie sind kein Kriegsopfer, Sie schwebten nicht in Gefahr, mussten nicht aus Ihrer Heimat flüchten, dennoch hat Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine auch in Ihrer Laufbahn für einen Einschnitt gesorgt. Wie geht es Ihnen mental?

Die Situation ist immer noch surreal. Wenn man einen Klub verlässt, hat man normalerweise ein bisschen Zeit, sich vorzubereiten. Jetzt waren es drei Tage, bis ich recht plötzlich die Zelte abgebrochen habe. Das braucht natürlich ein bisschen Zeit, bis es verarbeitet ist. Schön ist es, mit meiner Familie in einem ruhigen und sicheren Umfeld in meiner Heimat in der Nähe von Eisenach zu sein. Jetzt schauen wir, wie es weitergeht. Das ist ungeplanter Stress, aber natürlich nichts im Vergleich mit der schlimmen Situation der Menschen in der Ukraine. Das Wichtigste aktuell ist, dass dieser Krieg so schnell wie möglich aufhören muss.

Johannes Voigtmann

Hat die Heim-Europameisterschaft im September fest im Visier: Nationalspieler Johannes Voigtmann. imago images / kolbert-press

Man kann für die Menschen in der Ukraine nur hoffen, dass das irgendwie gelingt. Die Überleitung zum Thema Sport fällt da nicht leicht, dennoch: Sie spielen aktuell kein Basketball, wie geht's bei Ihnen weiter, auch mit Blick auf die Heim-EM im September?

Zunächst müssen vertragliche Dinge geklärt werden, ich stehe noch bis Sommer 2023 bei ZSKA unter Vertrag. Ich möchte natürlich gerne so schnell wie möglich wieder spielen, auch wegen der Heim-EM. Spätestens dann will ich wieder topfit sein. Da wird es hoffentlich bald eine gute Möglichkeit geben, einzusteigen, auch wenn in einigen Ligen die Wechselfrist schon abgelaufen ist.

Grundsätzlich schon, ich präferiere allerdings ein langfristiges Euroleague-Engagement über diese Saison hinaus.

Johannes Voigtmann über ein potenzielles Engagement bei Alba oder Bayern

Sie können es sich also nicht mehr vorstellen, irgendwann nochmal für ZSKA aufzulaufen?

Schwierig, selbst wenn der Krieg hoffentlich bald endet, ist ja nicht plötzlich alles wie früher. Mein Agent versucht deshalb mit den ZSKA-Verantwortlichen eine gute Lösung für meine Vertragslage zu finden. Es gibt allerdings für die aktuelle Situation keinen Präzedenzfall, das ist für alle Neuland.

In die BBL wäre ein Wechsel möglich, sind die Euroleague-Teams Alba Berlin und Bayern München Optionen für Sie?

Grundsätzlich schon, ich präferiere allerdings ein langfristiges Euroleague-Engagement über diese Saison hinaus. Und dafür gilt es, zunächst meine aktuelle Vertragssituation mit ZSKA zu klären.

Zum Thema: Basketball-Nationalspieler Johannes Voigtmann verlässt ZSKA Moskau

Interview: Carsten Schröter-Lorenz