EM

Viel Wille, zu viel Stückwerk: Bemühte Löw-Elf stößt an ihre Grenzen

Kommentar von kicker-Chefreporter Oliver Hartmann

Viel Wille, zu viel Stückwerk: Bemühte Löw-Elf stößt an ihre Grenzen

Fairer Verlierer: Joshua Kimmich (#6) beglückwünscht Kylian Mbappé.

Fairer Verlierer: Joshua Kimmich (#6) beglückwünscht Kylian Mbappé. Getty Images

Als letzten der elf Spielorte erreichte diese paneuropäische Europameisterschaft am Dienstagabend auch München. Nach den Monaten der emotional tristen und mitunter bleischweren Geisterspiele versammelte sich bereits eine Stunde vor dem Anpfiff das Gros der 14.000 zugelassenen Zuschauern in der Allianz-Arena, um ihre Vorfreude durch die Masken hinauszusingen und -zurufen. Ob "Allez les Bleus" aus der Nordtribüne oder das "Deutschland, Deutschland" von den übrigen Rängen - diese 60 Minuten vor dem Anpfiff waren wunderbare Zeichen der Unbeschwertheit und der Leichtigkeit.

Viel zu viel Stückwerk

Davon konnte im Spiel der deutschen Mannschaft keine Rede sein. Gegen den reif und abgeklärt auftretenden Weltmeister Frankreich zeigte die runderneuerte Elf von Bundestrainer Joachim Löw zwar viel Wille, fußballerisch aber blieb viel zu viel Stückwerk. Frankreich zeigte der DFB-Auswahl deutlich die Grenzen auf. Die knappe, aber unterm Strich vollauf verdiente 0:1-Niederlage bringt das deutsche Team am Samstag (18 Uhr, LIVE! bei kicker) gegen den am Ende souverän gestarteten Titelverteidiger Portugal (3:0 in Ungarn auch dank Doppelpacker und EM-Rekordbrecher Cristiano Ronaldo) schwer unter Zugzwang.

Löw ging zu Beginn der Vorbereitung mit dem Ziel in sein letztes Turnier, binnen zweieinhalb Wochen die Fehlentwicklungen der letzten drei Jahre korrigieren zu wollen. Mit einer neuen Grundordnung mit Dreierreihe statt Vierer-Abwehrkette; mit der Reaktivierung der Weltmeister Mats Hummels und Thomas Müller; mit der Versetzung von Joshua Kimmich auf den rechten Flügel - und mit der Besetzung der Doppelsechs durch Toni Kroos und Ilkay Gündogan, die auch beim denkwürdigen 0:6-Debakel vor sieben Monaten in Spanien das defensive Mittelfeldzentrum gebildet hatten.

Die große Frage aus deutscher Sicht war deshalb: Würden Löws personelle und taktischen Veränderungen auf Anhieb greifen und die lange vermisste defensive Stabilität herstellen? Würde diese neu aufgestellte DFB-Auswahl binnen solch kurzer Zeit nicht nur zu einer zwischenmenschlichen, sondern auch wirklich zu einer fußballerischen Einheit zusammenfinden? Die Antwort lautete: Nein. Während man den Franzosen anmerkte, dass sie über fünf, sechs Jahre zusammengewachsen sind, mangelte es im deutschen Aufbau und Angriff an Abstimmung und an Automatismen.

Die Franzosen spielten, wie man sie kennt. Sie taten nicht mehr als nötig und überließen dem Gegner gerne den Ball, verhinderten aber, dass dieser damit gefährlich werden konnte. Kein einziger Schuss aufs gegnerische Tor war die karge Bilanz der ersten Hälfte. In der druckvolleren zweiten Halbzeit gab es immerhin eine Torchance, als Serge Gnabry eine Flanke des emsigen Robin Gosens nicht verwerten konnte.

Löw muss sich zeigen

Doch in den allermeisten Fällen fehlten im letzten Drittel Präzision und damit auch Durchschlagskraft. Zudem wurden die guten Freistoß-Möglichkeiten durch Kroos und Leroy Sané geradezu kläglich vergeben.

Wie schon bei der WM 2018 beginnt das Turnier also mit einer Niederlage der deutschen Auswahl - und wie vor drei Jahren ist Löw umso mehr als Leader in heikler Situation gefordert. In Russland versagte er in dieser Rolle. Bei seinem letzten Turnier muss er jetzt zeigen, dass er es besser kann.

Bilder zur Partie Frankreich - Deutschland