EM-Qualifikation

Kahn Täter und Opfer

EM-Qualifikation: Türkei - Deutschland 1:0 (0:0)

Kahn Täter und Opfer

Türkei: Rüstü/Fenerbahce Istanbul (25 Jahre/34 Länderspiele) - Alpay/Besiktas Istanbul (25/37), Ogün/Trabzonspor (29/52), Fatih/Galatasaray Istanbul (20/7) - Mert/Kocaelispor (27/5), Abdullah/Trabzonspor (26/43) - Tugay/Galatasaray Istanbul (28/49), Tayfur/Besiktas Istanbul (28/12) - Tayfun/Fenerbahce Istanbul (24/17), Sergen/Istanbulspor (26/30) - Hakan Sükür/Galatasaray Istanbul (27/44)

Deutschland: Kahn/Bayern München (29 Jahre/13 Länderspiele) - Babbel/Bayern München (26/35), Nowotny/Bayer Leverkusen (24/8), Rehmer/Hansa Rostock (26/3) - Ramelow/Bayer Leverkusen (24/1), Jeremies/Bayern München (24/10), Heinrich/AC Florenz (28/22) - Ricken/Borussia Dortmund (22/3), Beinlich/Bayer Leverkusen (26/2) - Bierhoff/AC Mailand (30/34), Kirsten/Bayer Leverkusen (32/39 - 49 DDR-Auswahlspiele)

Eingewechselt: 61. Oktay 22/10 (Besiktas) für Tugay, 81. Saffet 30/5 (Fernerbahce) für Sergen, 89. Hakan Ünsal 25/9 (Galatasaray) für Ogün - 76. Neuville 25/2 (Hansa Rostock) für Heinrich, 81. Bode 29/9 (Werder Bremen) für Ricken - Reservebank: Engin (Dardanelspor/Tor), Emre (Istanbulspor), Hami (FC Schalke 04), Ayhan (Besiktas) - Lehmann (AC Mailand/Tor), Jancker (Bayern München), Eigenrauch (FC Schalke 04), Weber (Eintracht Frankfurt), Nerlinger (Borussia Dortmund). Tor: 1:0 Kahn (70., Eigentor) Chancen: 3:7 Ecken: 2:8

Spieler des Spiels

Rüstü Recber Tor

2
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Spielnote

3,5
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Tore und Karten

1:0 Kahn (70')

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Türkei
Türkei

Rüstü Recber2 - Alpay3,5, Ogün3 , Fatih4 - Mert3,5, Abdullah4, Tugay2 , Tayfur3 - Tayfun4 , Sergen2,5 , Hakan Sükür4

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Deutschland
Deutschland

Kahn5 - Babbel3 , Nowotny2, Rehmer2,5 - Ramelow2,5, Jeremies3,5 , Heinrich4 , Ricken4 , Beinlich3,5 - Bierhoff4,5, Kirsten4,5

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Schiedsrichter-Team

Hugh Dallas Schottland

2
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Spielinfo
Stadion Bursa-Atatürk-Stadion
Zuschauer 20.000 (ausverkauft)
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SR: Dallas (Schottland - Assistenten: McElhinney, Gunn), Note 2, hatte keine Probleme mit der insgesamt fairen Partie Zuschauer: 20 000 (ausverkauft) Gelbe Karten: Babbel, Rehmer, Jeremies Gelb-Rote Karte: Tayfun (72.) Spielnote: 3,5. Spieler des Spiels: Reçber Rüstü


Einzelkritik von Rainer Franzke: Jens Nowotny bester deutscher Spieler Die Begegnung im Spielfilm: Rüstü mehrfach als Retter


Die Analyse: Fehler spielentscheidend, weil die Stürmer nicht trafen

Bursa erlebte eine Orgie in Rot . 47 Jahre nach dem 2:1 in Berlin gewann die Türkei erstmals wieder gegen Deutschland. Nach dem Abpfiff fiel die anatolische Industriestadt in einen Taumel des Jubels und der Euphorie. Aus Begeisterung. Aber auch aus Erleichterung. Die 0:1-Niederlage des Europameisters bei dessen Start in die EM-Qualifikation ist nämlich weniger auf türkische Verdienste als vielmehr auf deutsche Versäumnisse zurückzuführen.

Auch für deutsche Experten völlig überraschend, hatte der türkische Nationaltrainer Mustafa Denizli mit seiner Mannschaftsaufstellung eine Kehrtwendung um 180 Grad zum vor allem im eigenen Land gewohnten Hurra-Fußball seines Teams vollzogen. Oktay, mit zwei Treffern noch der Held beim 3:0- Sieg über Nordirland beim türkischen Start in die EM-Qualifikation, saß zunächst auf der Bank. Statt dessen war das Mittelfeld ausschließlich mit defensiven, das heißt zerstörerischen Kräften zersetzt. Die zweite Angriffsposition neben Hakan hatte zudem Sergen, ein Mittelfeldspieler, besetzt.

Taktisch dermaßen destruktiv und abwartend ausgerichtet, war nichts zu sehen vom befürchteten Druck und Feuer des türkischen Offensivspiels - mit der Folge, daß es auf den Rängen immer ruhiger wurde und die Erwartungshaltung dort gegen Null zu tendieren schien.

Daran hatte allerdings auch die deutsche Mannschaft großen Anteil. In einer flexiblen Dreier-Abwehrkette wurde die Bewachung von Hakan und Sergen in deren jeweiligen Räumen wechselweise übernommen. Dazu dirigierte Nowotny als glänzend operierender Abwehrchef den gesamten deutschen Defensivverbund häufig so weit nach vorne, daß dem türkischen Mittelfeld Platz und Zeit zur Entfaltung und für kreative Akzente fehlten. Ein Verdienst auch von Ramelow, Jeremies und Beinlich, die die Räume dort unermüdlich zuliefen.

Mit dieser sicheren und geordneten Spielweise verschaffte sich das deutsche Team nahezu totale Kontrolle über die gegnerischen Vorwärtsbemühungen. Türkische Großchancen waren während der gesamten 90 Minuten Fehlanzeige. Erst als Babbel, der in der ersten Halbzeit Hakan fest am Haken gehabt hatte, nach der Pause einige Stellungsfehler unterliefen, stießen die Gastgeber hin und wieder gefährlich in den deutschen Strafraum vor. Der Münchner fand aber bald wieder auf das hohe Niveau der deutschen Abwehr zurück, die der Garant für zumindest ein torloses Unentschieden zu sein schien. Da unterlief Oliver Kahn in der 71. Minute in einer Verkettung unglücklicher Umstände sein Lapsus und sein Eigentor zum 0:1.

Die spielentscheidende Wirkung dieses Treffers ist freilich nicht nur Kahn anzukreiden, er war Täter und Opfer zugleich. Zuvor und vor allem auch danach, während der Aufholjagd, traten in erster Linie die beiden Stürmer als Sündenböcke bei der Chancenverwertung in Erscheinung. Bierhoff und Kirsten scheiterten mehrmals am türkischen Torhüter Rüstü. Teamchef Ribbeck und Trainer Uli Stielike reagierten zwar sofort auf die Gelb-Rote Karte gegen Tayfun auf der rechten Außenbahn. Sie verstärkten die Offensive auf den bis dahin wenig überzeugenden deutschen Außenpositionen, indem sie erst Neuville für Heinrich und später auch Bode für Ricken einwechselten - Effekt gleich null.

Null - diese klägliche Ausbeute ist auch darauf zurückzuführen, daß in der Zeit vor dem glücklichen Führungstor der Türken, als das Gästespiel durch Ordnung und Kontrolle gefiel, die Anbindung des deutschen Angriffs ans Mittelfeld gefehlt hatte. Zwar schalteten sich Rehmer, Babbel und vor allem Nowotny immer wieder ins Spiel nach vorne ein. Insbesondere von den Mittelfeldspielern wurde der Fehler gemacht, daß sie viel zu selten entschlossen und schnell genug nachrückten, wenn der Ball in die Spitze gespielt worden war.

So blieb - letztlich auch beim wilden Anrennen gegen zehn Türken - der große Aufwand der neuen deutschen Mannschaft unbelohnt, in der Carsten Ramelow ein vielversprechendes, letztlich aber erfolgloses Debüt gab. Die rote Orgie in Bursa konnte beginnen.

von Wolfgang Tobien