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Kommentar zu Tuchels Aus: Nicht nur eine Machtdemonstration

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Tuchels Aus: Nicht nur eine Machtdemonstration

Ihre Zusammenarbeit endete nach kurzer Zeit: Thomas Tuchel (li.) und Todd Boehly.

Ihre Zusammenarbeit endete nach kurzer Zeit: Thomas Tuchel (li.) und Todd Boehly. imago images (2)

Zufälle gibt's. Am Mittwoch sind Todd Boehly und Co. exakt 100 Tage lang neue Eigner des FC Chelsea. Und genau 100 Spiele war Thomas Tuchel bis einschließlich Dienstag im Amt als Trainer der Blues. Ein 101. Spiel wird es nicht geben. Die Entlassung des deutschen Trainers ist auf den ersten Blick eine klassische Kurzschlussreaktion. Auf den zweiten ist sie eine Machtdemonstration, aber auch nicht ausschließlich.

Schaut man sich nur die vergangenen Wochen an, könnte man durchaus zu dem Schluss kommen, dass eine Trennung naheliegend war. Nur zehn Punkte bei 8:9 Toren nach sechs Partien in der Premier League ist nicht das, was den Ambitionen dieses Klubs auch nur annähernd entspricht. Dass man in dieser durchaus komplizierten Gruppe in der Champions League nach dem 0:1 in Zagreb nun wohl intern arge Befürchtungen hegt, das Achtelfinale verpassen zu können, brachte das Fass zum Überlaufen.

Tuchel wollte wohl nicht mehr Verantwortung übernehmen

Chelsea spielte nicht nur in Zagreb schlecht, Chelsea enttäuschte auch in Leeds (0:3) und in Southampton (1:2). Und zwar schlecht im Sinne von uninspiriert und ideenlos, teilweise auch ohne Ordnung. All das darf und muss nicht nur, aber auch einem Coach angelastet werden, in dem Fall Tuchel. Denn ungeachtet dessen, dass zuletzt einige Leistungsträger fehlten, muss das Potenzial der Blues ausreichen, gegen die genannten Gegner zumindest nicht zu verlieren.

Doch all das ist kurzfristig gedacht. Tuchel hätte aufgrund seiner Erfolge, seiner Reputation und seiner Kompetenz mehr Vertrauen verdient gehabt. Daher ist diese Entlassung unter diesem Gesichtspunkt falsch. Doch es geht hier nicht um Argumente, um sportliches Abwägen, um Geduld. Es geht, wie fast immer in der Premier League, nur ums Geld. Mehr als 280 Millionen Euro, so viel wie noch nie zuvor in einer Transferperiode, hat Chelsea in diesem Sommer investiert. Weil viele Spieler gingen, war der Umbruch nötig. Wie planvoll er gestaltet war, stand auf einem anderen Blatt. Bis auf Raheem Sterling hat noch kein Neuzugang seine internationale Klasse nachgewiesen, und Pierre-Emerick Aubameyang, der Mittelstürmer, der in letzter Minute kam, ist über seinen Zenit. Aber egal - für so viel Investment, und nichts anderes ist es, will Boehly Ertrag sehen. Erfolge. Und das schnell. Und ohne zu zittern.

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Vom ersten Tag seines Engagements im Südwesten Londons beschlich einen das Gefühl, dass dieser Eigner am liebsten komplett neu angefangen hätte, schon damals ohne Tuchel. Allerdings wäre das nach Platz 3 in der Vorsaison und dem Champions-League-Triumph 2021 doch schwer zu verkaufen gewesen. In den ersten 100 Tagen im Amt musste Boehly laut englischen Medienberichten zudem feststellen, dass Tuchel wohl nicht bereit war, in die ihm nach dem Ende von Marina Granovskaia offerierte Managerrolle zu schlüpfen und auch abseits des Trainingsplatzes proaktiv mehr Verantwortung zu übernehmen. Das war nicht das, was Boehly sich vorstellte, so sah er keine Basis für einen gemeinsam Weg. Der sportliche Negativtrend, der sich auch schon gegen Ende der Vorsaison abgezeichnet hatte, tat sein Übriges, war aber nicht ausschlaggebend.

Nun wird er einen Coach holen, der eben seiner ist, seine Verantwortung. Und zeigt damit allen, wer der Boss ist. Über London und England hinaus. Das oft zitierte "Tagesgeschäft Fußball" ist nichts Neues, erst recht nicht in diesem Klub, der schon in knapp 20 Jahren unter der Führung Roman Abramovichs 15 Cheftrainer verschliss. Doch sogar der Oligarch gab Claudio Ranieri zu Beginn eine komplette erste Saison, obwohl er nie sein Wunschtrainer war. Boehlys Zündschnur ist offensichtlich deutlich kürzer.

Es muss erst mal jemand besser machen als Tuchel

Er selbst geht damit auch ins Risiko. Und mal abgesehen von der jüngsten Krise, die Tuchel mit zu verantworten hatte und dessen blankliegende Nerven sich auch an seinen gesammelten Karten und Verwarnungen am Spielfeldrand festmachen ließen, muss es nun erst mal jemand besser machen als der Coach, der Chelsea im Januar 2021 auf Rang 10 übernommen hatte und in gut einem Jahr zum Champions-League-Sieger und Klubweltmeister formte und dadurch zum Welttrainer aufstieg. Wenn Boehly jetzt danebengreift, ist er derjenige, der schlecht aussieht.

"To part company" sagt man im Englischen zu einer Trennung. Hier passt es doppelt, denn die Company, die Firma FC Chelsea, hat bei dieser Entscheidung nur Profit im Sinn. Das ist Boehlys Recht. Ob es schlau ist, darf bezweifelt werden.