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Montreal Impact: Warum Thierry Henry beim Neuanfang auf Klopp verweist

Der neue Montreal-Coach im Porträt

Thierry, der Trainer: Warum Henry beim Neuanfang auf Klopp verweist

Traurig in Monaco, glücklich in Montreal: Thierry Henry.

Traurig in Monaco, glücklich in Montreal: Thierry Henry. getty images (3)

"Hätte er nur den Job bei Aston Villa angenommen ..."

"Bei uns wusste niemand den Abstiegskampf richtig einzuordnen ..."

Sweatshirt-Jacke statt Mantel, Jogginghose statt Jeans, Vollbart statt Drei-Tage. Und: Hipster-Montreal statt Schicki-Micki-Monaco. Thierry Henry ist jetzt wieder cool, okay?

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass Henry in Monaco nach nur 20 Spielen und zwei Ligasiegen wieder entlassen wurde. Es sollte sein Durchbruch werden auf der Trainerbank; dort, wo die Karriere als Weltklassestürmer 26 Jahre zuvor begonnen hatte. Stattdessen wurde es ein Desaster.

"Er hat uns in einer Phase übernommen, von der viele Trainer zurückgeschreckt wären", verteidigt Benjamin Henrichs seinen damaligen Trainer im Gespräch mit dem kicker. Monaco war damals, im Oktober 2018, Drittletzter in der Ligue 1 mit sechs Punkten aus neun Spielen. Als Henry ging (oder gegangen wurde), im Januar 2019, war Monaco Vorletzter mit 15 Punkten aus 21 Spielen.

"Alles lief schief", sagt Philippe Auclair, "France Football"-Korrespondent und Autor von Henrys Biographie, dem kicker. "Es war die falsche Entscheidung, die falsche Umgebung, der falsche Kader und der falsche Trainer." Das vernichtende Urteil endet mit einem Lacher. "Sonst war es großartig."

Die Spieler gingen, Henry kam: "Es war Chaos"

Henry hatte sich als Co-Trainer der belgischen Nationalmannschaft bei der WM 2018 einen Namen gemacht und darauf gedrängt, einen Fuß als Chef in die Tür zu bekommen. Eine Woche, bevor er den Monaco-Job bekam, war Aston Villa noch der große Favorit gewesen. "Das wäre fantastisch gewesen", sagt Auclair. "Er kennt den englischen Fußball in- und auswendig."

Ohne Henry stieg Villa sieben Monate später in die Premier League auf. In Monaco wurde sein Vorgänger Leonardo Jardim stattdessen auch wieder sein Nachfolger und rettete den Meister von 2017 vor der zweiten Liga. "Bei uns wusste niemand den Abstiegskampf richtig einzuordnen", erklärt Henrichs. "Das war bis dato eine neue Situation."

Die AS hatte im Sommer zuvor Kylian Mbappé endgültig an PSG verkauft, dazu Fabinho (Liverpool), Thomas Lemar (Atletico Madrid) und Joao Moutinho (Wolverhampton) verloren. "Was er hatte, war eine sehr schräge Zusammenstellung von Spielern", sagt Auclair. "Es war ein Klub im Chaos."

Ob Henry weiß, dass seine Spieler nicht so gut sind, wie er einst war?

Schlechte Zeiten in Monaco: Thierry Henry und Benjamin Henrichs (r.).

Schlechte Zeiten in Monaco: Thierry Henry und Benjamin Henrichs (r.). imago images

Für Henry setzte es einen Rückschlag nach dem anderen. An der Seitenlinie und vor den TV-Kameras wirkte die Arsenal-Ikone sauer und unreif, griff immer wieder seine Mannschaft an und ätzte gegen Journalisten. "Wenn einem Spieler der Ball versprang", so Auclair, "schlug er die Hände über den Kopf. Man dachte sich: 'Thierry, du solltest wissen, dass diese Spieler nicht so gut sind, wie du es warst. Komm damit klar.'"

Abseits der Kameras, sagt Henrichs, hat sich Henry nichts zu Schulden kommen lassen. "Er hat bei seinen Ansprachen immer den richtigen Ton getroffen." Der ehemalige Leverkusener, der zwei Monate vor Henry im Fürstentum angekommen war, "hat unzählige Nachrichten bekommen, als er Trainer wurde." Als Kind hat Henrichs Youtube-Videos von Henry angesehen und versucht, "seine Tricks nachzumachen". "Und plötzlich stehe ich tagtäglich mit ihm auf dem Platz, und er gibt mir Tipps. Das war schon verrückt."

Im Training hat Henry regelmäßig mitgespielt, und Henrichs "oft gestaunt, wie gut er noch war". Ansonsten kann er über den Trainer Henry nicht viel sagen, die Zusammenarbeit dauerte ja nur drei Monate. "Er wollte Fußball spielen lassen", sagt Henrichs. "Mitten im Abstiegskampf hat sich dann aber herausgestellt, dass es für uns in dieser Situation nicht richtig war." Henry stellte um, wollte mehr auf die Basics achten. Sein erster Cheftrainer-Job endete mit einem vernichtenden 1:5 gegen Straßburg.

"Er hat zweieinhalb, drei Jahre gebraucht, um dahin zu kommen, wo er heute ist."

Henry über sein "Vorbild" Jürgen Klopp

Ein Jahr später kehrt der 42-Jährige nun langsam auf die Trainerbank zurück, dieses Mal in der MLS. Jene Liga, der er im Trikot der New York Red Bulls seine letzten Tropfen als Spieler geschenkt hatte.

Thierry Henry

Ratlos in Monaco: Thierry Henry. Getty Images

In Montreal bekommt es Henry wieder mit einer jungen Mannschaft zu tun, allerdings mit deutlich weniger Erwartungen. Mit einem alternden Didier Drogba hatten es die Kanadier 2016 in die Eastern-Conference-Finals geschafft, seitdem jedoch dreimal in Folge die Play-offs verpasst.

Der Klub kämpft wie der Trainer Henry um seine Identität. "Ich weiß, dass es eine große Herausforderung wird", erklärt der Franzose im Interview mit "The Athletic". "Wenn man sieht, was andere Teams so machen - sie kaufen Spieler links und rechts." Montreal dagegen hat mit "Nacho" Piatti den besten Spieler seiner achtjährigen MLS-Geschichte an San Lorenzo verloren. "Es ist ein junges Team, viele Nachwuchskräfte kommen hoch", bremst Henry. "Es wird hart, aber ich mag die Herausforderung."

Und dennoch: Nach dem Desaster in Monaco könnte Montreal für Henry der Rückschritt zur rechten Zeit sein. "Vielleicht tut es ihm gut, ein bisschen aus dem Rampenlicht zu kommen, mit weniger Erwartungen konfrontiert zu werden", sagt auch Auclair.

Victor Wanyama ist Montreals mit Abstand bester Neuzugang - was sagt das aus?

In Montreal wird niemand von Henry den MLS-Cup erwarten, die Play-off-Teilnahme wäre schon ein Erfolg. Gerade erst kam Victor Wanyama, der bei Tottenham nicht mehr gebraucht worden war, als mit Abstand bester Winter-Neuzugang hinzu - das sagt vieles aus über den ansonsten blassen Kader der Kanadier, zu dem auch Bojan Krkic gehört.

Für Henry wird es darum gehen, anders als in Monaco Zeit zur Entwicklung zu bekommen. Deshalb verweist er auf ein prominentes Beispiel: Jürgen Klopp habe sich in Liverpool auch erst anpassen und seinen Spielern erklären müssen, was für ein Trainer er ist und wie er trainieren lässt. "Er hat zweieinhalb, drei Jahre gebraucht, um dahin zu kommen, wo er heute ist. Dieses Jahr werden sie Meister, aber sie haben 30 Jahre gebraucht, um das wieder zu schaffen." Mit Klopp habe der Klub Geduld gehabt, er durfte die Spieler für sein System einkaufen, "und jetzt schauen wir alle zu und bewundern, was sie da machen".

Der Standort Montreal ist nicht sehr lukrativ: Kann Henry das ändern?

Thierry Henry

Antreiber: Thierry Henry (r.). Getty Images

Henry wird es etwas schwerer haben, nicht nur, weil er Montreals siebter Trainer in acht Jahren ist. Sondern ganz einfach auch, weil Montreal nicht Liverpool ist. Obwohl die MLS wächst und an Attraktivität gewinnt, hat Quebec nicht die Anziehungskraft wie Kalifornien oder Florida, wie Los Angeles oder Miami. Montreal wird weiter auf Nachwuchskräfte vertrauen und junge Spieler einkaufen müssen, die "großen Namen" werden eher zu David Beckham wechseln.

Auch für Henry kann Montreal ein Sprungbrett sein, so wie bei seinem Landsmann und ehemaligen Teamkollegen Patrick Vieira. Der hatte den New York City FC mit einer attraktiven Spielweise in die Play-offs geführt, ist seit 2018 Trainer in Nizza und wurde zuletzt auch mit dem Job beim FC Arsenal in Verbindung gebracht.

Auclair bedauert nach wie vor, dass Henry sich damals, im Oktober 2018, gegen Aston Villa entschieden hat: "Er hätte sie in die Premier League bringen können, fast so wie Frank Lampard bei Derby County." Der hatte es im Vorjahr nicht ganz geschafft, danach aber den Job bei "seinem" FC Chelsea bekommen. "Wer weiß, vielleicht wäre Thierry dann jetzt der Kandidat gewesen, Unai Emery bei Arsenal zu ersetzen." Henry selbst macht keinen Hehl daraus, eines Tages Arsenal-Trainer werden zu wollen.

Henry hat jetzt schon so viele Spiele gewonnen, wie in seinen ersten neun Versuchen in Monaco

Bis dahin muss er sich in Montreal aber erst selbst erfinden. "Er hat mit den besten Trainern der Welt zusammengearbeitet", sagt Auclair. "Wenger, Ancelotti, Guardiola. Wenn man sich Henry anschaut, hat er eigentlich alle Qualitäten, die es braucht - er ist wissbegierig, spricht mehrere Sprachen, ist offen für neue Dinge. Fußball ist sein Leben."

Was Mut macht: Henry hat mit Montreal jetzt schon so viele Siege eingefahren wie in seinen ersten neun Partien mit Monaco: einen.

Mario Krischel