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MLS: David Beckhams Inter Miami im Porträt - Interview mit Jerome Kiesewetter

Der "Beckham-Klub" und MLS-Neuling im Porträt

Inter Miami: Wie es ist, wenn man aus Prinzip sofort super sein muss

Packen das neue Projekt in Miami gemeinsam an: Jerome Kiesewetter (r. und im linken Bild mit George Acosta) und David Beckham (Mitte).

Packen das neue Projekt in Miami gemeinsam an: Jerome Kiesewetter (r. und im linken Bild mit George Acosta) und David Beckham (Mitte). picture alliance/Getty Images (2)

Die Nachricht ist nicht lang, aber na ja... Sie kommt auch nicht von irgendwem. "Willkommen in Miami", schreibt David Beckham an Jerome Kiesewetter. "Ich freue mich, dass du dich unserem Projekt angeschlossen hast. Viel Glück für die Saison!"

Über drei Monate liegt dieser Chatverlauf jetzt zurück, und in weniger als 48 Stunden geht es offiziell los - das "Projekt" Inter Miami. Zwei Jahre, nachdem Beckham und seine Co-Investoren (Marcelo Claure, Jorge Mas, José Mas, Masayoshi Son) grünes Licht von der MLS für ein eigenes Franchise bekommen haben, wird es nun an jedem Wochenende darum gehen, den unnormal hohen Erwartungen gerecht zu werden.

"Wir wollen Meister werden", sagt Kiesewetter im Gespräch mit dem kicker, ohne Lachen oder Unterton. "Es wird keine Anlaufzeit geben."

Der Deutsch-Amerikaner, ausgebildet bei Hertha BSC und zwischenzeitlich für Fortuna Düsseldorf und den VfB Stuttgart am Ball, war einer der ersten Neuzugänge beim MLS-Neuling. Kiesewetter hatte sich in der vergangenen Saison im Trikot von El Paso Locomotive FC mit zwölf Toren in 25 USL-Spielen für Höheres empfohlen.

Der "No-Brainer" Miami und das "externe" Lob für Sportdirektor McDonough

"Miami war für mich ein No-Brainer", sagt der 27-Jährige über den ersten Anruf aus Südflorida. "Es ging alles sehr zügig, ich wusste schon im September letzten Jahres, dass es klappt." Beckham war in diesen Prozess nicht involviert, auch wenn er "bestimmt jeden Transfer absegnen muss". Um die Kaderzusammenstellung kümmern sich stattdessen Paul McDonough (Sportlicher Leiter) und Kurt Schmid (Technischer Direktor).

Vor allem McDonough weiß, wie es ist, ein Team von Grund auf hochzuziehen. Er war als Verantwortlicher bereits bei den damaligen MLS-Neulingen Orlando City und Atlanta United entscheidend beteiligt. Atlanta holte mit dem Deutschen Julian Gressel nach nur zwei Jahren den ersten Meistertitel. "Er macht einen fantastischen Job", lobt Gressel seinen ehemaligen Sportdirektor im kicker-Gespräch.

Und McDonough weiß auch, wie man hohen Erwartungen gerecht wird. In Atlanta hatte er in seiner ersten Transferphase zwölf Millionen Euro für die damals unbekannten Miguel Almiron (zwei Jahre später für 24 Millionen Euro an Newcastle United verkauft) und Josef Martinez (90 Tore in 102 Pflichtspielen für Atlanta) ausgegeben. In Miami sind es nun fast 15 Millionen Euro mehr geworden - und trotzdem bleiben (natürlich) Fragezeichen.

Kein Suarez, kein Cavani: Warum Inter auf dem Transfermarkt erstmal einen anderen Weg geht

Der ganz große Name, wie zuvor erwartet, ist nicht gekommen. Edinson Cavani spielt weiter in Paris, Luis Suarez in Barcelona und David Silva noch bis zum Sommer in Manchester. Stattdessen ging McDonough, der Miami im Vergleich zu Atlanta und Orlando als das "härteste" Projekt bezeichnet, erneut den Weg, der in der MLS inzwischen attraktiver geworden ist als eine Verpflichtung von Zlatan Ibrahimovic oder Wayne Rooney - und zwar nach Südamerika.

Diego Alonso

Der erste Trainer der Klubgeschichte: Diego Alonso kommt als zweimaliger CONCACAF-Champions-League-Sieger. Getty Images

Für fast 15 Millionen Euro kamen Matias Pellegrini und Julian Carranza, zwei 19-jährige Argentinier für den Angriff. Das meiste Geld, rund 15 Millionen Euro, floss erst kürzlich in Rodolfo Pizarro, einen 26-jährigen Mittelfeldspieler, der 2019 unter seinem jetzigen Trainer Diego Alonso mit CF Monterrey die CONCACAF-Champions-League gewann und mit Mexiko Gold-Cup-Sieger wurde.

Über die Hälfte des Kaders, zu dem auch die MLS-Routiniers Luis Robles (35, Torwart), Will Trapp (27, defensives Mittelfeld) und Lee Nguyen (33, offensives Mittelfeld) gehören, spricht Spanisch, der Trainer ebenso. Deshalb lernen nicht nur Alonso und Co. Englisch, sondern Kiesewetter und Co. auch Spanisch. "Unser Co-Trainer fungiert meistens als Übersetzer", erklärt Kiesewetter. "Wir können aber auch so kommunizieren."

"Club de Fútbol": Miami und der Latino-Faktor

Dass Inter Miami mit vollem Namen "Club de Fútbol" und nicht "Football Club" heißt, dass die Vereinsfarben pink, weiß und schwarz sind, ist kein Zufall. Deutlich über die Hälfte der mit 5,5 Millionen Menschen besiedelten Metropolregion ist lateinamerikanischer Abstammung. Miami, so hieß es bei der Namens- und Logo-Verkündung, "umarme" schließlich alle "Kulturen und Gemeinschaften" und stehe für "Internationalität, Diversität, Kreativität und Spirit".

Der "überragende" Standort Miami ist auch für Kiesewetter ein großer Vorteil, was potenzielle Neuzugänge, Strahlkraft und Fankultur betrifft. "Die Amerikaner lassen sich für Sport sehr gut begeistern. Durch unsere fußballaffine Latino-Community hatten wir selbst im Trainingslager in Tampa viele Fans."

Wir können uns als Inter Miami keine langweiligen Ergebnisse erlauben, wir müssen den Entertainment-Faktor hochalten.

Kiesewetter über seinen neuen Verein

Und deshalb, einfach wegen Miami, sind die Erwartungen auch anders als beispielsweise im Country-Staat Tennessee, wo der Nashville SC mit Hany Mukhtar ebenso erstmals in der MLS dabei ist. "Wir wollen spätestens im zweiten oder dritten Jahr oben angreifen", erklärt der Ex-Herthaner dem kicker und klingt dabei ganz anders als Kiesewetter. "Wir können uns als Inter Miami keine langweiligen Ergebnisse erlauben, wir müssen den Entertainment-Faktor hochalten."

Dafür ist Trainer Alonso, als Spieler 2002 Torschützenkönig für Atletico Madrid in der zweiten spanischen Liga, mit einer offensiven Spielidee aus Monterrey gekommen. "Er will schnell spielen", erklärt Kiesewetter und lacht. "Am besten mit 90 Prozent Ballbesitz." Auf keinen Fall werde sich Inter Miami hinten reinstellen. Er selbst rechnet sich Chancen auf die Startelf aus, "sonst wäre ich nicht hierhin gewechselt". Der zweimalige US-Nationalspieler, der es in Deutschland auf zwei Bundesliga- und 21 Zweitligaspiele brachte, könnte in Alonsos 4-3-3- oder 4-2-3-1-System das Sturmzentrum besetzen, flankiert von den argentinischen Teenagern Pellegrini und Carranza, der wegen einer Fußverletzung allerdings gleich mal drei Monate zu fehlen droht.

"Er hat viel zu tun": Kiesewetter erklärt, wie Beckham sich einbringt

Ohnehin könnte der Auftakt für Miami schwieriger kaum sein. Nach einem Auswärtsspiel beim Los Angeles FC (Sonntag, 23.30 Uhr MEZ), der in der Vorsaison einen neuen Punkterekord aufgestellt hatte, geht es in Washington DC bei Gressel und Co. weiter, zum ersten Heimspiel kommt ausgerechnet Beckhams Ex-Klub Los Angeles Galaxy. Mit dem Traditionsfranchise aus Südkalifornien hatte der Engländer zwischen 2007 und 2012 drei Meisterschaften gefeiert und sich von der Liga gleichzeitig festschreiben lassen, dass er später mal, also 2016, ein neues Franchise für "nur" 25 Millionen Dollar gründen kann. Der übliche Preis liegt inzwischen bei 325 Millionen Dollar.

Jerome Kiesewetter

Von der USL in die MLS: Jerome Kiesewetter ist ins Oberhaus aufgestiegen. Getty Images

"Er hat viel zu tun", sagt Kiesewetter über seinen "Boss" und erklärt, dass der Ex-Nationalspieler viel Aufwand betreibe. "Er besucht nicht jeden Tag das Training, aber wenn er in Miami ist, kommt er schon oft vorbei." Das allererste Spiel, eine 1:2-Testspielpleite gegen Philadelphia, gehörte nicht dazu. Beckham war bei seiner Frau Victoria auf der Fashion Week in London.

Bislang ist der 44-Jährige der große Glamour-Faktor beim neuesten Team der Eastern Conference - und wird es vorerst auch bleiben. Alles steht im Zeichen der "Marke Beckham" und dessen Projekt, das spätestens in zwei Jahren nochmal ausgebaut wird. 2022 soll das neue, 53 Hektar große Gelände, der "Freedom Park", Gestalt annehmen, zu dem ein 25.000 Zuschauer fassendes Stadion, Büros, Geschäfte und 750 Hotelzimmer zählen. Kostenpunkt: eine Milliarde Dollar. "Es ist schon typisch amerikanisch", scherzt Kiesewetter. "Alles muss größer und besser sein. Unser Gelände wird wohl den NFL-Standards angepasst, das heißt also eher klotzen statt kleckern."

Vorübergehend wird "Inter Fort Lauderdale" nicht in Miami zu sehen sein

Bis es so weit ist, zieht der Klub rund 50 Meilen weiter nördlich nach Fort Lauderdale. Dort wurde für 50 Millionen Euro das alte Lockhart Stadium aufwändig saniert und ein neues Trainingszentrum gebaut. Die Tribünen mit pink-weiß-schwarzen Sitzschalen, die Beckham seinen 61 Millionen Instagram-Followern freudig präsentierte, bieten sogar einen Stehplatz-Bereich, damit Gastmannschaften "ein "einschüchterndes Erlebnis" erhalten. Am 14. März, gegen Galaxy, erwartet Kiesewetter "ein volles Haus".

In Miami muss aus Prinzip alles schneller gehen als in Nashville oder selbst Atlanta. Wegen Beckham und wegen Miami. Noch hat dieser Klub kein Pflichtspiel absolviert, trotzdem wäre ein zweiter Platz jetzt schon zu wenig. Dass währenddessen noch ein Rechtsstreit mit Inter Mailand wegen des patentierten Namens "Inter" läuft, kann Beckham erstmal weglachen.

LAFC und Atlanta, sagt Kiesewetter abschließend gewohnt optimistisch, hätten es vom Fleck weg ja auch ganz gut gemacht. "Warum also wir nicht?"

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