Nationalelf

Spanien, England - und wer noch? Die Favoriten der Frauen-EM

Welches Team seine Trümpfe wo versteckt

Spanien, England - und wer noch? Die Favoriten der EM

Gute Stammplatzchancen in aussichtsreichen Teams: Svenja Huth (Deutschland), Guro Reiten (Norwegen) und Fran Kirby (England, v. li.).

Gute Stammplatzchancen in aussichtsreichen Teams: Svenja Huth (Deutschland), Guro Reiten (Norwegen) und Fran Kirby (England, v. li.). imago images

Die Quote ist imposant. Acht von zwölf Turnieren, also zwei Drittel aller Frauen-Europameisterschaften, hat Deutschland gewonnen. Dass das DFB-Team damit auch im Jahr 2022 der Top-Favorit ist, lässt sich daraus nicht ableiten. Zu viel hat sich in den übrigen Nationen getan, zu massiv hat die Konkurrenz aufgeholt. Auch wenn die jüngste Generalprobe der Mannschaft von Trainerin Martina Voss-Tecklenburg mit einem 7:0-Sieg über die Schweiz mehr als gelungen ausfiel: Der Turniersieg geht längst nicht mehr über Deutschland allein. Ein Blick auf den Favoritenkreis ...

Spanien: Viel Kunst, aber genügend Tore?

Im letzten Test gegen Italien reichte es nur zu einem 1:1. Dass die Italienerinnen, die in dieser kleinen Liste womöglich zu Unrecht nicht weiter erwähnt werden, die großen Namen ärgern können, war schon bekannt. Und doch wird von den technisch sehr begabten Spanierinnen wohl auch dank der hervorragenden Leistungen des FC Barcelona stets Großes erwartet. Als aber die wohl stärkste Spielerin der Welt, Alexia Putellas, kurz vor Turnierbeginn mit einem Kreuzbandriss ausfiel, dämpfte das die Stimmung enorm. Zumal mit Jenni Hermoso (Pachuca) eine weitere Kreativspielerin verletzt fehlt. In den jüngsten sechs Länderspielen erzielte Spanien nur einmal mehr als einen Treffer. Weil die Ibererinnen zudem defensiv immer mal für einen Aussetzer gut sind, werden sie sich strecken müssen, um ihre Favoritenrolle zu erfüllen.

England: Mit dem Plus an der Seitenlinie

Die Three Lionesses starten in das Turnier mit dem Heimvorteil, der sie alternativ weit bringen - oder einschüchtern kann. Qualität bietet der Kader reichlich, sowohl defensiv etwa mit Top-Außenverteidigerin Lucy Bronze (Barcelona) als auch offensiv mit Shootingstar Lauren Hemp (Manchester City), Fran Kirby (Chelsea) und Bayern-Neuzugang Georgia Stanway. Ohnehin gilt die heimische Liga dank ordentlicher Investitionen und gestiegenem medialen Interesse auf der Insel inzwischen als vielleicht beste Liga der Welt. Dass zudem die Trainerin des aktuellen Titelträgers an der Seitenlinie steht, dürfte nicht schaden: Sarina Wiegman holte den Pokal 2017 mit den Niederlanden.

Niederlande: Wieder über die Geschlossenheit?

Den Titelverteidiger sollte man nie vergessen, aber die Vorzeichen stehen nicht zum Allerbesten: Die Generalprobe gegen einen Gegner auf Top-Niveau ging mit einem 1:5 gegen England daneben, und auch kann der niederländische Kader nicht ganz mit der Konkurrenz mithalten. Doch schon vor fünf Jahren war die Geschlossenheit der große Trumpf. Und keine Frage, Spielerinnen wie Vivianne Miedema (Arsenal) und Lieke Martens (PSG) können auch diesmal jeder Defensive wehtun. Gerade im Mittelfeld aber wächst gerade eine neue Generation heran, die womöglich noch ein paar Jahre braucht, bis sie wieder titelreif ist.

Frankreich: Die halbe Unbekannte

Die Französinnen wählten bei der Testspielstrategie einen eigenen Weg. Sie schlugen Kamerun (4:0) und Vietnam (7:0), aber was das im europäischen Vergleich wert ist, wissen weder die Konkurrenz noch die Equipe Tricolore selbst. In der Abwehr können sie auf die Champions-League-Rekordspielerin, die ewige Wendie Renard (Lyon), bauen, vorn ruhen Hoffnungen auf Marie-Antoinette Katoto (46 Pflichtspieltore für PSG). Überhaupt finden sich viele Profis dieser beiden einheimischen Top-Teams im Aufgebot. Zum erweiterten Favoritenkreis sollte Frankreich in jedem Fall gezählt werden.

Norwegen: Zu wenig Balance?

Die norwegischen Frauen lassen sich ein wenig mit der Männer-Nationalmannschaft Belgiens vergleichen: Mit der Offensivabteilung kann man Titel gewinnen, die übrigen Mannschaftsteile fallen vergleichsweise allerdings ab. Wie es Norwegen bei der EM ergehen wird, hängt maßgeblich von den beiden Stars im Sturm ab: Caroline Hansen (Barcelona) und Ada Hegerberg (Lyon). Auch Ingrid Engen (Barcelona) und Guro Reiten (Chelsea) spielen eine Schlüsselrolle im riskant angelegten Spiel nach vorn. Für torreiche Partien ist der Kader also wie gemacht - vorne wie hinten.

Schweden: Beste Chancen auf 1:0-Siege

Der schwedische Kader strotzt vor Erfahrung. Hedvig Lindahl (39) im Tor, Linda Sembrant (35) davor, im Mittelfeld dann Kapitänin Caroline Seger (37) - doch auch Spielerinnen im besten Fußballalter finden sich zahlreich in der voraussichtlichen Startelf. Weil die Skandinavierinnen seit Jahren eingespielt sind und auf eine felsenfeste Defensive um Chelsea-Kapitänin Magdalena Eriksson (28) bauen können, kündigt sich für jeden Gegner ein Geduldsspiel an. Schweden könnte, was die Ergebnisse angeht, so etwas wie das Gegenteil zu Norwegen werden.

Deutschland: Nur die Auslosung bremst

Der Wind dreht sich wieder ein bisschen zurück. Nachdem Deutschland in den vergangenen Jahren die Vorherrschaft in Europa verloren hatte, wächst im Team selbst im Moment das Selbstbewusstsein. Mit einer stark wie breit besetzten Offensive können die DFB-Frauen flexibel auf verschiedene Spielweisen ihrer Kontrahentinnen reagieren. Ob die Abwehr qualitativ und quantitativ reicht, wird sich zeigen. Gegen die Schweiz, allerdings einem Gegner ohne Top-Niveau, wirkte sie enorm stabil. Nachteil ist die Auslosung: Erreicht man gegen den einen Top-Favoriten Spanien nicht den Gruppensieg in der Vorrunde, droht im Viertelfinale schon der andere Top-Favorit: England.

Paul Bartmuß

Harder, Bronze und Co.: Die Stars der Frauen-EM