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"Sommermärchen" 2006: Prozess findet definitiv statt

Start am 4. März - Niersbach, Schmidt und Zwanziger angeklagt

"Sommermärchen" 2006: Prozess findet definitiv statt

Werden jetzt doch angeklagt: Wolfgang Niersbach (li.), Horst R. Schmidt (Mi.) und Theo Zwanziger.

Werden jetzt doch angeklagt: Wolfgang Niersbach (li.), Horst R. Schmidt (Mi.) und Theo Zwanziger. picture-alliance (3)

Unter dem Aktenzeichen 5/02Kls-7550 Js 242375/15 (11/18) wird am 4. März 2024 - dann knapp 18 (!) Jahre nach der Weltmeisterschaft 2006 - ein Verfahren neu eröffnet, das eigentlich längst zu den Akten gelegt war.

Denn schon am 2. August 2018 hatte das Landgericht Frankfurt festgehalten: Die Zahlung von 6,7 Millionen Euro (zehn Millionen Schweizer Franken), die im April 2005 vom deutschen WM-OK an die FIFA überwiesen wurde und von dort an den früheren Adidas-Chef Robert-Louis Dreyfus transferiert worden war, war eine Betriebsausgabe und somit ertrags- und steuermindernd zu verrechnen. Dreyfus hatte im Vorfeld der WM ein Darlehen in dieser Höhe an Franz Beckenbauer geleistet.

Angeklagt sind die früheren DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach (73) und Theo Zwanziger (78) sowie der frühere DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt (82).

Irritationen über vereinbarte Zahlungen - Kompetenzstreit der Gerichte 

Noch vor zwei Wochen gab es Nachrichten, wonach die Verfahren gegen Niersbach und Schmidt eingestellt werden könnten. Mit Oberstaatsanwalt Markus Weinmann sei eine Vereinbarung getroffen worden, wonach Schmidt gegen eine Zahlung in Höhe von 100.000 Euro und Niersbach gegen eine Zahlung in Höhe von 58.000 Euro nicht mehr an dem Verfahren beteiligt wären. Mit Zwanziger wurde eine derartige Verabredung nicht getroffen. Bereits vor zwei Jahren wurde das Verfahren gegen den vormals Mitbeschuldigten früheren FIFA-Generalsekretär Urs Linsi gegen ein Zahlung in Höhe von 150.000 Euro eingestellt worden.

Die Vorsitzende Richterin Eva-Marie Distler war nach kicker-Recherchen über die Absprache zwischen dem Oberstaatsanwalt und den beiden früheren DFB-Präsidenten zunächst nicht informiert worden. Und habe sich irritiert gezeigt, dass Zwanziger von diesem Verfahren ausgeschlossen worden war. Ihre Kammer entschied nun, dass doch noch ein Verfahren gegen alle drei früheren DFB-Funktionäre eröffnet wird. Der Fall riecht inzwischen nach einem Kompetenzstreit in der Frankfurter Gerichtsgasse.

Anklage: Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall

Den Angeklagten wird Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall vorgeworfen. Die Angeklagten haben dies stets zurückgewiesen. Der Prozess dreht sich eben um jene ehemals ominöse Zahlung von 6,7 Millionen Euro.

Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte im Mai vergangenen Jahres das zuvor Ende Oktober 2022 vom Landgericht eingestellte Verfahren gegen das Trio wieder in Gang gesetzt. Das OLG teilte damals mit, dass der ergangene Einstellungsbeschluss des Landgerichts aufgehoben und das Verfahren fortzuführen sei.

Das Frankfurter Landgericht hatte schon vor Jahren die Eröffnung eines Hauptverfahrens abgelehnt. Niersbach, Zwanziger, Schmidt und der vormals Mitbeschuldigte Linsi mussten nicht vor Gericht erscheinen. Der von der Staatsanwaltschaft eingelegten sofortigen Beschwerde gab das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt statt. Das OLG ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass der Bestimmungsgrund der Zahlung keine Entlohnung Beckenbauers für seine Verdienste um der Vergabe der WM 2006 an Deutschland und seine Tätigkeit als OK-Präsident gewesen sei. Es widersprach damit der Auffassung des Landgerichts.

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Chronologie der Ereignisse

Die WM-Affäre

zum Thema
  • Der "Spiegel" hat mit seiner Enthüllung über eine vermeintliche "Schwarze Kasse" des DFB im Rahmen der Bewerbung für die WM 2006 eine Lawine ins Rollen gebracht.
  • Die Staatsanwaltschaft Frankfurt wirft den früheren Spitzenfunktionären Zwanziger, Niersbach und Schmidt schwere Steuerhinterziehung vor.
  • Das Oberlandesgericht Frankfurt ließ Ende August 2019 eine entsprechende Anklage zu und revidierte damit eine Entscheidung des Landesgerichts Frankfurt, das im Oktober 2018 die Eröffnung eines Hauptverfahrens abgelehnt hatte. Die Schweizer Bundesanwaltschaft hatte im August 2019 bereits Anklage erhoben.

In Frankfurt wartete man ab dem Frühjahr 2018 den Ausgang der Verhandlungen in Bellinzona ab, wo die Schweizer Bundesanwaltschaft in eben dieser Causa die drei früheren DFB-Funktionäre vor Gericht gebracht hatte. Dort wurde das Verfahren am 28. April 2020 wegen Verjährung eingestellt.

Am 27. Oktober 2022 stellte dann auch das Landgericht Frankfurt das Verfahren gegen die Beschuldigten unter Bezug auf das "Doppelbestrafungsverbot" endgültig ein. Am 22. Mai 2023 entschied daraufhin das OLG Frankfurt, dass ein Prozess stattfinden muss. Zuletzt kam der Vorstoß der Oberstaatsanwaltschaft, das Verfahren gegen Niersbach und Schmidt gegen vorgenannte Zahlungen einzustellen. Da aber spielt nun das Landgericht wiederum nicht mit. Wenn das mal keine Gerichtsposse ist!

16. Verhandlungstage angesetzt

Verhandelt wird ab dem 4. März wieder vor dem Landgericht, das vormals das Verfahren eingestellt hatte. Die wichtigsten Zeugen wie Franz Beckenbauer und Robert-Louis Dreyfus sind zwischen verstorben. 16 Verhandlungstage sind angesetzt. Damit zieht sich der Prozess um das "Sommermärchen" hin bis zum 11. Juli - drei Tage vor dem Abpfiff  der Europameisterschaft 2024 in Deutschland (14. Juni bis 14. Juli), von der sich die Veranstalter ein neues "Sommermärchen" erhoffen.

Die große Öffentlichkeit interessiert das schon seit 2015 wabernde Verfahren schon seit geraumer Zeit nicht mehr.

Rainer Franzke