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WM 2022: Schweigen bei Hymne: Iranischer Sender unterbricht Programm

Irans Trainer Queiroz stellt sich vor seine Spieler

Schweigen bei der Hymne: Iranischer Staatssender unterbricht Übertragung

Komplettes Schweigen: Die iranische Nationalmannschaft hat ein Zeichen gesetzt.

Komplettes Schweigen: Die iranische Nationalmannschaft hat ein Zeichen gesetzt. Getty Images

Mit einer besonderen Aktion setzten die iranischen Nationalspieler am Montag beim WM-Auftakt gegen England ein Zeichen - und drückten so ihre Solidarität mit den seit Wochen andauernden Protestaktionen im Iran für mehr Frauen- und Bürgerrechte aus. Die Fußballer verzichteten demonstrativ auf das Mitsingen der eigenen Hymne und schwiegen stattdessen.

Die Aktion blieb nicht ohne Folgen, so unterbrach der iranische Staatssender (IRIB) seine Live-Übertragung daraufhin zwischenzeitlich. Zweifellos ein mutiger Schritt der Nationalspieler, die nun womöglich mit Konsequenzen rechnen müssen. Im Iran war laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) spekuliert worden, dass sie nun möglicherweise gesperrt werden, sollten sie bei der Hymne weiterhin schweigen.

Auf den Rängen hatte das unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen: Während zahlreiche Iraner ihre Solidarität etwa mit Plakaten ("Woman, Life, Freedom") zum Ausdruck brachten, waren auch lautstarke Pfiffe zu hören. Gegen wen oder was sich diese richteten, war nicht eindeutig festzustellen. Handelte es sich um Pfiffe gegen die Hymne, die das verhasste Regime zu Hause repräsentiert - oder wurden die schweigenden Spieler ausgepfiffen, weil sie die Hymne und damit das eigene Land nicht respektierten?

Die Antwort darauf wissen wohl nur die, die gepfiffen haben. Was aber bleibt, ist die mutige Aktion der iranischen Nationalspieler und die daraus resultierenden Debatten. Nach dem sportlich für Iran äußerst enttäuschenden WM-Auftakt (2:6 gegen England) bezog dazu auch Irans Nationaltrainer Carlos Queiroz Stellung. 

"Woman, Life, Freedom"

Von den Rängen gab es von Iranern Solidaritätsbekundungen bezüglich der Lage im Land. IMAGO/PA Images

"Andere Themen liegen nicht in unserer Hand"

Der Portugiese verwies vor allem auf die schwierige Lage, in der sich seine Spieler befinden. Für Sport auf höchstem Niveau habe sein Team aus seiner Sicht derzeit "nicht das beste Umfeld" - wegen all der Fragen, die nichts mit Fußball zu tun haben, die den Spielern aber immer wieder gestellt würden. "Lasst die Spieler das Spiel spielen, bitte", appellierte der 69-Jährige nach der Pleite mit einem halben Dutzend Gegentoren an die Journalisten. "Sie wollen einfach für ihr Land Fußball spielen, wie es alle anderen Spieler auch können. Es ist nicht korrekt, sie Dinge zu fragen, für die sie nichts können. Sie sind hier, um den Leuten in der Heimat Stolz und Freude zu geben."

Hintergrund: Seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini geht eine Welle von Protesten durch den Iran - es werden mehr Frauen- und Bürgerrechte gefordert, das Regime reagierte mit Gewalt und Unterdrückung. Insgesamt sind nach Zählungen von Menschenrechtsorganisationen mittlerweile fast 400 Menschen bei den Protesten getötet worden.

Carlos Queiroz

Hat sich demonstrativ vor seine Spieler gestellt: Irans Nationaltrainer Carlos Queiroz. IMAGO/Shutterstock

Das gehe natürlich auch nicht an den Spitzensportlern spurlos vorbei, so hatte unter anderem die Iranerin Elnaz Rekabi für großes Aufsehen gesorgt, ebenso hatte sich der für Bayer 04 Leverkusen spielende Nationalspieler Sardar Azmoun harsch geäußert, als er sich ganz klar gegen das Mullah-Regime in Teheran positioniert und damit sogar seine Nicht-Nominierung für die WM riskiert hatte. 

Doch Queiroz betonte nun, dass die Umstände im Land zwar schlimm seien und geändert werden müssten, seine Spieler aber während dieser WM wenig ausrichten könnten: "Dinge, die geändert werden sollten, sind nicht unter unserer Kontrolle. Wir können uns nur auf die fußballerische Leistung konzentrieren. Andere Themen liegen nicht in unserer Hand."

Von den eigenen Fans forderte Queiroz mehr Rückhalt: "Die Fans, die nicht bereit sind, das Team zu unterstützen, sollen zu Hause bleiben. Wir brauchen sie nicht." Man habe ohnehin das Problem, dass sich die Spieler "auf der höchsten Bühne nicht nur auf Fußball konzentrieren" könnten. "Es gibt Leute, die unser Team stören wollen - mit Themen, die außerhalb des Fußballs liegen."

Dagegen würden seine Spieler nur ihrem "Traum" nachgehen und den Weg gehen wollen, den iranische "Legenden" schon gegangen sind. Deshalb sei er auch "sehr stolz", wie seine Elf im Spiel gegen die Engländer trotz aller Umstände "gefightet" und sich mit zwei Ehrentoren "belohnt" habe.

"Im Iran ist Fußball die Ablenkung von einer Religion"

Dass die Spieler sich aber ausschließlich auf den Fußball fokussieren möchten, wie Queiroz sagt, bleibt zumindest fraglich, jedenfalls hatte der ein oder andere Nationalspieler zuletzt durchaus aufhorchen lassen. So hatte der Kapitän der Mannschaft, Ehsan Haji Safi (AEK Athen, ehemals FSV Frankfurt), erst am vergangenen Sonntag den trauernden Familien der vielen Opfer sein Beileid ausgedrückt. In diesem Kontext hatte er auch erklärt, dass die Mannschaft es zu akzeptieren habe, "dass die Bedingungen im Land nicht gut und die Menschen nicht glücklich" seien. Dessen seien sich die Spieler bewusst. 

Alles in allem hatten nicht nur iranische Aktivisten auf eine entsprechende Geste der Nationalspieler gehofft. Grünen-Chef Omid Nouripour äußerte im kicker-Interview ebenfalls die Hoffnung, dass die iranische Nationalmannschaft ihr Auftaktspiel zur Solidarisierung mit den Demonstranten nutzen würde. "Bis auf zwei Spieler äußerten sich bisher alle kritisch gegenüber dem Regime, keiner singt die Nationalhymne mit oder freut sich nach Toren", sagte der Politiker.

Das Turnier biete eine Bühne, auf der "diese Mannschaft sehr viel bewegen und sehr viel Aufmerksamkeit für die Notlage der Leute und die Proteste erzeugen" könne, ohne dass die Staatsführung in Teheran viel dagegen tun könnte. "Im Iran ist Fußball die Ablenkung von einer Religion, die vom Staat in allen Facetten aufgezwungen wird", sagte Nouripour. Die Nationalmannschaft biete da immer wieder ein Fenster nach draußen.

mag, drm, dpa

Bilder zur Partie England - Iran