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Schalke-Trainer Cinel im Interview: "Als Trainer sucht man Glück"

Nachwuchscoach über seine beiden Jobs und Zukunftspläne

Schalke-Trainer Cinel im Interview: "Als Trainer sucht man Glück, nicht Sicherheit"

Onur Cinel hat momentan zwei Aufgaben: Zum einen assistiert er Ralf Rangnick bei Österreichs Nationalmannschaft, zum anderen ist er Cheftrainer der Schalker U 17.

Onur Cinel hat momentan zwei Aufgaben: Zum einen assistiert er Ralf Rangnick bei Österreichs Nationalmannschaft, zum anderen ist er Cheftrainer der Schalker U 17. IMAGO/GEPA pictures

Herr Cinel, letzte Saison wurden Sie Deutscher U-17-Meister mit dem FC Schalke 04. Nun sind Sie wieder Tabellenführer. Haben Sie das Gefühl, dass Jugendarbeit - unabhängig von Ihrer Person - generell hoch genug bewertet und gewürdigt wird?

Ich denke, dass die Nachwuchsarbeit insgesamt in Deutschland durch die höhere Anzahl an hauptamtlichen Mitarbeitern und gestiegener Professionalität mehr gewürdigt wird als in den Jahren zuvor, glaube aber auch, dass es dabei noch viel Luft nach oben gibt. Vor allem in der Wertschätzung der jüngeren Altersbereiche und in der öffentlichen Wahrnehmung. Bei der Wertschätzung denke ich vor allem an die Nachwuchstrainer in kleineren Vereinen, die zwar den Zeitaufwand eines hauptamtlichen Mitarbeiters leisten, allerdings vertraglich nicht in diesem Arbeitsverhältnis stehen und daher auch nicht entsprechend bezahlt werden.

Wenn ein Spieler wie Assan Ouedraogo in die U19 gezogen wird, freut Sie das mehr für den Jungen, als dass es Sie für Ihr Team und sich selbst ärgert?

Natürlich will man immer den bestmöglichen Kader haben. Als Trainer bin ich mehr Wettkämpfer als Ausbilder, aber in dem Fall ist es easy. Ich freue mich sehr für Assan. Wenn ein Spieler diese Art von Begabung hat, ist es schön und auch richtig, dass er höher eingesetzt wird.

Die Ausbildung der Spieler läuft auf den Ebenen Technik, Taktik, Athletik und der Mentalität ab.

Onur Cinel

Trainer sind auf Leistungsebene ständig in genau diesem Zwiespalt zwischen Entwicklung und Ergebnis. Thomas Broich, Leiter Methodik im NLZ von Hertha, hat neulich im kicker-Interview sinngemäß gesagt, dass er daran glaubt, dass eine gute Entwicklung auch für gute Ergebnisse sorgt, man den pragmatischen Ansatz also gar nicht zwingend verfolgen muss. Welchen Weg verfolgen Sie?

Die Ausbildung der Spieler läuft auf den Ebenen Technik, Taktik, Athletik und der Mentalität ab. Beim letzten Punkt geht es auch darum, Sieger auszubilden. Entsprechend sehe ich es als meine Aufgabe als Trainer, mit meiner Mannschaft so erfolgreich wie möglich zu sein. Wenn man als Verein oder Trainer einen hohen Anspruch hat, dann gehen Erfolg und Ausbildung Hand in Hand.

Also heiligt der Erfolg alle Mittel?

Es ist ein Zusammenspiel. Wenn man erfolgreich spielt, fühlt sich das Team, aber auch der Einzelne sicherer und selbstbewusster. Dadurch steigert sich die Leistung und, ganz wichtig, das Trainingsniveau. Dies wiederum sorgt für eine bessere Entwicklung.

Sie haben im Vorjahr in der Liga die wenigsten Gegentore zugelassen (6). Nun wieder nur zwei in zwölf Spielen. Man darf davon ausgehen, dass ihr nicht mauert. Was also ist das Erfolgsrezept?

Von allen Spielphasen kann man aus meiner Sicht die Defensive durch Training am besten vorbereiten. Wir verteidigen sehr hoch, variieren hauptsächlich zwischen Angriffs- und Mittelfeldpressing und verteidigen sehr initiativ. Aber wichtiger als das Taktische ist, dass man eine Kultur innerhalb der Mannschaft entwickelt, in der sie Spaß am Verteidigen haben.

Armend Likaj & Onur Cinel

Onur Cinel feierte in der vergangenen Saison mit der Schalker U 17 um Armend Likaj (l.) die Deutsche Meisterschaft. IMAGO/Eibner

Das gelingt wie?

Indem man einen Ballgewinn oder einen gewonnenen Zweikampf im Training genauso feiert wie ein Tor. Zudem empfinde ich meine Mannschaft auch in der Phase gegen den Ball als gefährlich. Wir haben den Ballgewinn und die Torchance danach schon im Kopf. Dadurch erhöht sich auch die Motivation für den Ballgewinn zu investieren.

Gerade im Jugendbereich wird viel über Physis entschieden. Wie steuern Sie dagegen, sprich auch mit kognitiven Maßnahmen?

Jeder Mensch ist individuell, daher sind wir alle unterschiedlich und das finde ich auch gut so. Je nachdem, ob man körperlich stärker oder schwächer ist, hat man Vor- und Nachteile. Entsprechend müssen die Spieler Lösungen finden und wir Trainer sie dabei begleiten. Mein Team ist im Schnitt auch nicht das mit der größten Körperlänge, aber das nehmen wir als Aufgabe, als Motivation. Die Physis ist das eine, Herz und Hirn das andere. Darüber kann man viel wettmachen. Durchsetzungsvermögen hat auch viel mit Willen und Cleverness zu tun.

Nach der WM war der Aufschrei groß, was im deutschen Nachwuchs alles angeblich nicht stimmt. Bei welchen Urteilen gehen Sie mit? Was ist falsch?

Was meinen Sie konkret?

Cinel fordert eine Saison mit Hin- und Rückrunde

Es heißt: Es werden keine Mittelstürmer ausgebildet, auch Außenverteidiger sind schwierig zu finden. Wie steuert man das als Coach?

Ich kann nur für uns sprechen. Wir spielen mit einem klarem Neuner, manchmal auch mit zwei Spitzen. Außerdem auch aus einer Viererkette und damit auch zwei Außenverteidigern. Die Erfahrung aus den letzten Jahren zeigt, dass es immer mal Jahrgänge gibt, in denen manche Positionen bundesweit stärker oder auch mal weniger stark sind. Ich bin bei solchen Diskussionen immer vorsichtig, weil sie oft temporär aufkommen, wenn etwas nicht so gut läuft. Daher hinterfragen wir uns ständig sehr ganzheitlich, unabhängig von den situativen Ergebnissen.

Was im Nachwuchs definitiv wieder anders laufen muss: Wir brauchen in der U17 und U19 mehr Spiele als nur die Einfachrunde mit 15 Partien. Das sind definitiv zu wenig Wettkämpfe für die Ausbildung der Spieler. Vor allem, da die Spieler aufgrund der Pandemie schon sehr vieles verpasst haben. Eine Hin- und Rückrunde hätte diese Saison ganz sicher ausgespielt werden können. Der DFB würde diese Entscheidung im Nachhinein wohl auch anders treffen.

Dieses Hinterfragen - wie darf man sich das im Trainerteam der berühmten Knappenschmiede vorstellen nach der WM?

Wir sind ständig im Austausch, auch mit Norbert Elgert, der ja eine riesige Erfahrung hat. Ich persönlich halte den Vereinsfußball und die Champions League eher als Plattform für Trends im Spitzenfußball, mehr als die WM. Entsprechend leiten wir darüber natürlich auch Erkenntnisse für unsere Arbeit ab

Hat der deutsche Nachwuchsfußball ein Problem, weil es zwar viele Talente, aber zu wenige mit genügend Biss gibt?

Mentale Stärke und Einstellung sind elementar, um sich durchzusetzen. Nicht jeder hat die Mentalität, es ganz nach oben zu schaffen. Aber das ist auch völlig okay. Die fleißigen Spieler mit der entsprechenden Begabung setzen sich über kurz oder lang auch durch.

"Spagat zwischen Österreichs Co-Trainer und U-17-Coach nicht schwierig"

Sie bekommen ja beides mit: U-17-Coach hier, den großen Fußball mit Österreichs Nationalteam, deren Co-Trainer sie sind. Wie kriegen sie den Spagat hin?

Das ist organisatorisch nicht schwierig, weil in der Länderspielphase auch die U-19- und U-17-Bundesligen ruhen. Ich verpasse also kein Meisterschaftsspiel. Wir haben ein großes, starkes Trainerteam, die das Training in der Zeit übernehmen und denen ich voll vertraue.

Und wie ist es für Sie inhaltlich, zwischen den Rollen zu switchen: Cheftrainer auf Schalke, Assistent beim ÖFB?

Nicht schwierig. Wir arbeiten hier wie da als Team. Natürlich ist Ralf Rangnick in Österreich der Chef, der, der entscheidet, aber er gibt auch sehr viel Verantwortung ab an sein Team, an Lars Kornetka, Peter Perchtold und auch an mich. Somit spüre ich auch da ein hohes Verantwortungsgefühl.

Was fällt in Ihren Verantwortungsbereich?

Wir verteilen die Verantwortlichkeiten vor allem für die schnellere Aufbereitung der Themen. Dabei interessiere ich mich sehr für das Spiel mit dem Ball. Im Anschluss wird aber alles gemeinsam besprochen und entschieden. Am Ende natürlich von Ralf Rangnick.

Wie haben Sie den früheren Bundesliga- und Premier-League-Trainer Rangnick bisher als Mensch und Coach kennengelernt?

Wir haben vom ersten Moment festgestellt, dass es zwischenmenschlich sehr gut passt und sich auch unsere Spielideen ähneln. Ich nehme ihn als einen sehr detailversessen und ehrgeizigen Trainer wahr. Und das imponiert mir sehr vor dem Hintergrund, welche starke Position er im Spitzenfußball hat, wie lange er schon im Geschäft ist und was er bereits erreicht hat. Wenn ich ihn in den Lehrgängen erlebe, sein Interesse an jedem Detail, sein Ehrgeiz aus jeder Trainingseinheit das Optimum herauszuholen und jedes Spiel gewinnen zu wollen, dann ist das sehr inspirierend.

Wie bewerten Sie die ersten Monate insgesamt sportlich, Kroatien und Italien wurden geschlagen, insgesamt steht eine 3-1-4-Bilanz?

Wir sind ja immer nur kurz mit der Mannschaft zusammen in den Lehrgängen, die angesprochenen Siege waren aber schon besonders. Wichtig ist vor allem, dass wir die Spielidee über weite Strecken auch gegen Top-Nationen schon sehr gut umsetzen konnten. Darauf wollen wir weiter aufbauen. Daher ziehe ich ein positives Fazit nach den ersten Monaten.

Cinel braucht eine Aufgabe, die ihn vor Freude zum Lächeln bringt

Sie sprechen über beide Aufgaben, Schalke und Österreich, mit viel Enthusiasmus. Was streben Sie an, nachdem Sie dem türkischen Zweitligisten Göztepe vor einigen Monaten abgesagt haben und Sie ja auch schon zum Trainerstab der Schalker Profis gehört haben?

Ich habe keinen Karriereplan, sondern einen Lebensplan. Der sieht vor, dass ich nach meinem Glück, nach meinem Wohlbefinden gehe. Dafür ist es wichtig für mich, dass ich eine Aufgabe habe, die mich vor Freude zum Lächeln bringt. Aber sie muss mich auch herausfordern und zum Staunen bringen, aufgrund der Größe der Aufgabe. Wenn das gegeben ist, dann bin ich glücklich. Gepaart damit, will man sich entwickeln und immer größere Aufgaben angehen.

Und was müsste da Besonderes kommen, um Sie komplett von Schalke wegzuholen?

Aktuell habe ich zwei Aufgaben, die mich herausfordern und mir große Freude bereiten. Es ist aber kein Geheimnis im Trainerberuf, dass sich ständig neue Situationen und Möglichkeiten ergeben können.

Also würden Sie einen sicheren Hafen verlassen, um vielleicht auch ein risikoreicheres Projekt anzunehmen?

Ich habe kein ausgeprägtes Sicherheitsdenken in mir. Wenn man sich dazu entschließt, Fußballtrainer zu werden, dann ist man nicht auf der Suche nach Sicherheit, sondern nach Glück.

Interview: Thomas Böker

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