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Rad: Roglic und Bora-hansgrohe wollen Tour de France gewinnen

Die deutsche Rad-Equipe Bora-hansgrohe ist auf dem Sprung in neue Sphären

Roglic, Red Bull - und die Kirsche in Gelb auf der Torte

Möchte im Gelben Trikot nach Paris: Primoz Roglic.

Möchte im Gelben Trikot nach Paris: Primoz Roglic. picture alliance/dpa

Vor 14 Jahren kam Ralph Denk auf die zum damaligen Zeitpunkt gelinde ausgedrückt verwegene Idee, ein deutsches Profi-Radsportteam zu gründen. Der professionelle Straßen-Radsport hatte nach diversen Doping-Skandalen um Jan Ullrich, Team T-Mobile und Gerolsteiner hierzulande eine Beliebtheitswert, der mit dem von Fußpilz wetteiferte. Und als der Oberbayer einst auch noch verkündete, dass der Hauptgrund der Gründung darin bestehe, irgendwann mal die Tour de France zu gewinnen, erntete er ungläubiges Kopfschütteln - was noch die netteste Reaktion war.

Heute lächelt niemand mehr über ihn, heute hat er gut lachen, denn das einstige Irgendwann scheint so greifbar wie nie. Gut, 2019 war für Bora-hansgrohe dank des Allgäuers Emanuel Buchmann mit Rang 4 zumindest ein Podestplatz bei dem wichtigsten Radrennen auf diesem Planeten schon mal verdammt nah, und doch ist der Unterschied gewaltig. Damals sollte eine Endplatzierung unter den Top-Ten herausspringen, vom Sieg sprach im Vorfeld vom deutschen Team mit dem Sitz im oberbayrischen Raubling keiner, Buchmann fuhr damals den Wettkampf seines Lebens, und alle waren am Ende mit Rang 4 super happy.

Im kommenden Juli indes wäre Rang 4 eine Enttäuschung, nur der Sieg zählt. Zugegeben, Letzteres stimmt so nicht ganz, denn Denk und Co. haben sich zwar ganz der Mission Gelb verschrieben, doch wenn es am Ende "nur" ein Podestplatz wird, könnten die Oberbayern damit auch gut leben.

Alle und alles für Roglic

Doch erst mal lautet die Ansage: Sieg. Dafür haben sie mit dem viermaligen Grand-Tour-Sieger Primoz Roglic eine der aktuell größten Nummern im Radsport geholt, und umgekehrt ist genau deswegen auch der 34-jährige Slowene gekommen, besser, hat kommen müssen. Bei Visma-Lease a bike, zuletzt als Visma-Jumbo unterwegs, hätte er sich Toursieg-Ambitionen abschminken können. Die niederländische Equipe, der er sieben Jahre angehörte und bei der der ehemalige Skispringer zum Champion reifte, setzt auf die Karte Jonas Vingegaard. Der Däne, der zuletzt zweimal die Große Schleife durch Frankreich gewann, hat Roglic den einstigen Leader-Status weggeschnappt - aus diesem Grund ist der Slowene im vergangenen Jahr auch auf den Giro d’Italia und die Vuelta ausgewichen. Ersteren beendete er zum ersten Mal als Sieger, Zweitere durfte er aufgrund einer Stallorder zugunsten von Sepp Kuss nicht zum vierten Mal gewinnen, das aber nur am Rande.

Der Tour-Gesamtsieg ist es, der ihm in seinem Palmares noch fehlt - und der die Krönung seiner ohnehin schon imposanten Karriere darstellen würde. "Das wäre die Kirsche auf der Torte", sagt der Slowene mit einem breiten Lächeln, fast schien es so, als wollte er die ihm nachgesagte zwanghafte Obsession in puncto fehlender Toursieg entkräften. 2020 sah er vermeintlich wie der sichere Sieger aus, ehe ihm sein damals jugendlicher Landsmann Tadej Pogacar auf der 20. Etappe in einem legendären Zeitfahren hinauf nach La Planche des Belles Filles Gelb entriss. Ein Jahr später war er auch sturzbedingt chancenlos gegen Pogacar, und 2022 ging er als Leader seines Teams in Frankreich an den Start, doch dann erwies sich sein dänischer Teamkollege als übermächtiger Konkurrent. Kurzum: Roglic und die Tour haben bislang nicht so zusammengefunden, wie es der Ehrgeiz und die Klasse des Slowenen gebieten.

Dass sich dies in diesem Jahr ändern wird, ist Roglic "sehr zuversichtlich". Auch oder gerade wegen des Teamwechsels - und dies in doppelter Hinsicht. Zum einem erhofft er sich vom Tapetenwechsel einen Push für sich selbst, getreu der Devise alte, vertraute Pfade zu verlassen, um neue zu beschreiten, kann zur inspirierenden Quelle werden. Zum anderen, weil Bora-hansgrohe laut dem Sportlichen Leiter Rolf Aldag "alles dafür tut, damit Roglic gewinnen kann". Alle für einen also, kein rechts, kein links. Die deutsche Equipe wird im Gegensatz zu den zwei anderen Grand Tours in Frankreich eine Ein-Kapitän-Strategie verfolgen - und die gilt übrigens auch schon jetzt, Roglic ist mit Blick auf den Juli der Fixstern, um den sich alles dreht. Wer passt am besten zu ihm, wer kann ihn am besten unterstützen, lautet dabei die große Frage. Erste Antworten darauf gibt es bereits. So werden die Oberbayern ebenfalls anders als beim Giro und der Vuelta ohne Sprinter antreten. "Das war auf jeden Fall eine harte Entscheidung", betont Aldag vor dem Hintergrund, dass Jordi Meeus dem Rennstall im vergangenen Jahr auf der Avenue des Champs-Elysees mit dem Sieg bei der prestigeträchtigen Sprintetappe ein umjubeltes Tour-Finale bescherte.

Vier Plätze im Tour-Aufgebot sind noch frei

Auch auf die ersten der sieben Unterstützer für Roglic haben sich die Raublinger bereits festgelegt: Auf flachem und welligem Terrain soll der tempofeste Nico Denz (29) den Slowenen aus allen Schwierigkeiten heraushalten - für den 29-Jährigen, der beim letztjährigen Giro zwei Etappen gewinnen konnte, wird es sein Tour-Debüt. In den Bergen bekommen Jai Hindley (27), Giro-Sieger 22, und Aleksander Vlasov (27) die Be- und Unterstützerrolle übertragen. Dass beide vor zwei Jahren zu den Deutschen als Kapitänsanwärter wechselten, stellt kein Problem dar, ist sich Aldag nach intensiven Gesprächen mit den beiden sicher. Vlasov unterstreicht diese Ansicht und betont, dass er kein Problem mit der Helferrolle habe: "Ich freue mich darauf, auch weil ich von einem der weltbesten Fahrer für meine weitere Karriere etwas abschauen und lernen kann."

Beim Giro der Joker: Emu Buchmann (Mitte).

Beim Giro der Joker: Emu Buchmann (Mitte). picture alliance/dpa

Vier Fahrer bleiben somit für das Tour-Team noch offen, mindestens zwei, vermutlich gar drei von ihnen werden extrem bergfest sein. Wer das sein wird? Vermutlich keiner aus der Giro-Fraktion, bei der Italien-Rundfahrt treten die Raublinger mit Lennard Kämna und Daniel Martinez als Kapitäne an, "Emu" Buchmann bekommt eine Joker-Rolle zugeteilt. Während Aldag derzeit keinen der drei aufgrund der Belastung beim Giro im Tour-Team sieht, meint Denk, dass für keinen die Tür zu sei.

Was allerdings auch gegen einen Giro-Starter im Tour-Aufgebot spricht: Die Frankreich-Fahrer sollen schnell zu einer verschworenen Gemeinschaft werden und deswegen große Teile der Vorbereitung gemeinsam bestreiten. "Eine der wichtigsten Aufgabe wird es in den nächsten Wochen und Monaten sein, dass wir uns bestmöglich kennenlernen und uns hundertprozentig vertrauen", betont Roglic. Von dem Vorbereitungsplan gibt es bewusst nur ein paar Eckpfeiler wie den Umstand, dass es mindestens zwei Höhen-Trainingslager geben wird. Generell wird Flexibilität großgeschrieben, anhand der aktuellen Leistungsdaten wird jeweils entschieden, ob zum Beispiel ein Trainingslager in der Höhe verlängert oder verkürzt wird, das gleiche Prinzip gilt für den Umstand, wann und welche Rennen gefahren werden. Eines steht dabei jedoch fest: Tour-First lautet die Devise. "Primoz wird im Vorfeld bei keinem Rennen antreten, um es zu gewinnen. Er wird immer mit dem Ziel an der Startlinie stehen, sich die Form zu holen, um im Juli siegreich zu sein", stellt Aldag klar.

Roglic macht bei Vingegaard keine Schwäche aus

Der Elan und der Optimismus, mit dem das deutsche Weltklasse-Team ihre Mission Gelbes Trikot angeht, ist spürbar und auch so ansteckend, dass man die Abers glatt vergessen könnte. Auch wenn die Oberbayern betonen, dass Roglic trotz seiner 34 Jahre noch im absoluten Zenit seines Leistungsvermögens stehe, sehen dies nicht wenige Experten mit Blick auf die vermeintlichen Hauptkonkurrenten anders, der 25-jährige Pogacar und der 27-jährigen Vingegaard lassen grüßen. Und wer sich die Dominanz von Letzterem bei seinem letztjährigen Tour-Triumph vor Augen hält, wird sich ohnehin zwangsläufig die Frage stellen, wie um alles in der Welt der Däne zu schlagen sein sollte. Auch Roglic kann sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er gefragt wird, wo er denn eine Schwäche bei seinem langjährigen Teamkollegen ausmacht. "Schwäche? Zuletzt keine", erwidert er. Für schlagbar hält er ihn dennoch, von ihm, versteht sich. Dass es verdammt schwer werden würde, ist ihm bewusst, doch "wir versuchen unser Bestes, dass es uns gelingt. Und wenn wir alles getan haben und es dann doch einen Besseren gibt, können wird das akzeptieren".

Ohnehin ist Roglic kein Mann der markigen Worte, freundlich, fast schon zurückhaltend formuliert er seine großen Ambitionen, welche Entschlossenheit sich jedoch dahinter verbirgt, nein, verbergen muss, beweist allein seine Erfolgsliste. Und dies zeigt sich laut Bora-hansgrohe auch in der bisherigen Zusammenarbeit. Er, vom besten Radteam der Welt gekommen, hinterfragt bei seiner neuen Mannschaft alles, ohne aber die großspurige Attitüde eines viermaligen Grand-Tour-Siegers an den Tag zu legen. "Er ist sehr offen, geht auf jeden zu. Und die Fragen wie Anmerkungen sind erstens immer im höflichen Ton und zweitens immer konstruktiv", berichtet Aldag. Die Hoffnung des deutschen Teams bei der Verpflichtung Roglic‘, dass er es besser machen würde, scheint also aufzugehen. Dass es sich nur um Details handelt, versteht sich. In der Sphäre, in der sich Bora-hansgrohe auch vor dem Roglic-Transfer bereits bewegte, ist die Luft so dünn, dass in der modernen Sportwelt nur noch Kleinigkeiten den Unterschied ausmachen.

Mit Red Bull eine Partnerschaft auf Augenhöhe

Apropos Unterschied: Wenn das österreichische Kartellamt am 26. Januar zustimmt, dass Red Bull wie beabsichtigt mit 51 Prozent bei Bora-hansgrohe einsteigen darf, würde dies einen Quantensprung bedeuten. Nicht für diese Saison, da kommt er zu spät, aber auf Sicht gesehen, beginnt beim deutschen Rennstall eine neue Zeitrechnung. "Wie man in anderen Sportarten ja sehen kann, geht es mit einem Engagement von Red Bull immer nur nach vorne", spricht Kämna das aus, was allen im Team durch den Kopf geht.

Dass die Oberbayern wie aktuell mit rund 25 Millionen Euro mit der Hälfte des Budgets von Vingegaards Team Visma-Lease a bike und Pogacars Team UAE in eine Saison gehen, dürfte in der Zukunft der Vergangenheit angehören. Kein Wunder, dass für die neue Saison mit Wout van Art und Remco Evenepoel bereits zwei absolute Ausnahmekönner als Zugänge gehandelt werden.

Was wohl auch nicht mehr passieren wird, ist der Umstand, dass Bora-hansgrohe wie aktuell im Frühjahr in eine anstehende Klassiker-Saison ohne große Ambitionen gehen wird. Die Raublinger, die seit zwei Jahren den Fokus auf Rundfahrten legen, konnten sich nach der Roglic-Verpflichtung keine schlagkräftige Klassikerfraktion mehr leisten, deswegen haben sie unter anderem auch Nils Politt zu UAE ziehen lassen. "Mit einem blauen Auge herauskommen", lautet laut Denk deswegen auch die diesjährige Devise für die Frühjahrsaison.

Dass Red Bull 51 Prozent des Rennstalls übernehmen will, und er damit auf dem Papier nicht mehr Chef im eigenen Haus ist, dem blickt der 50-Jährige gelassen entgegen: "Wir haben in den vergangenen Jahren mit dem Nachwuchsteam oder dem Red Bull Leistungsdiagnostikzentrum einige gemeinsame Projekte. Und die jetzt geplante große Partnerschaft ist ja nicht über Nacht entstanden, der gingen monatelange Gespräche voraus. Außerdem sind wir Nachbarn, sprechen den gleichen Dialekt - das wird eine Partnerschaft auf Augenhöhe."

Ob Roglic bei der Tour Vingegaard und Pogacar auch auf Augenhöhe begegnen wird? Das Ziel, dass dies der Fall sein soll, ist schon mal klar formuliert. Und dies allein ist mit Blick auf den Anfang vor 14 Jahren ein echter Knaller.

Chris Biechele

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