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Rangnicks EM-Analyse: Was er Löw vorwirft und Flick rät

Was er Löw vorwirft und Flick jetzt empfiehlt

Rangnicks EM-Analyse: "Wie irgendein zusammengewürfelter Mix"

Joshua Kimmich und Thomas Müller auf der falschen Position - das ist ein Kritikpunkt von Ralf Rangnick Richtung Joachim Löw.

Joshua Kimmich und Thomas Müller auf der falschen Position - das ist ein Kritikpunkt von Ralf Rangnick Richtung Joachim Löw. Getty Images (2)/imago images

Während Italien, Spanien, England und Dänemark mannschaftlich geschlossen und mit ziemlich klarer Spielidee ins EM-Halbfinale vorgedrungen sind, ist die deutsche Nationalelf schon seit einer Woche in der Zuschauerrolle. Was lief schief?

"Bei unserer Mannschaft", sagt Ralf Rangnick im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung", "sah alles wie irgendein zusammengewürfelter Mix aus, damit gewisse Spieler auf dem Platz stehen konnten. Aber das ergab nichts stimmiges Ganzes. Bei der Nationalelf hat man für inhaltliche Arbeit wenig Zeit. Umso wichtiger ist, dass alle Spieler genau wissen: Was will der Trainer? Welches System ist gefragt? Nicht mal so, mal so ..."

Für den früheren Trainer und Manager von RB Leipzig, der zwischenzeitlich als Nachfolger von Bundestrainer Joachim Löw im Gespräch war, passte die Grundordnung nicht zu den aufgestellten Spielern. "Ich war überrascht, dass vor der EM eine Dreierkette als Thema aufkam. Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, ein 3-4-3 bei der Nationalelf zu praktizieren, wenn das die wenigsten Spieler aus ihrem Verein gewohnt sind", so Rangnick.

Kimmich "sollte nicht von Eckfahne zu Eckfahne rauf und runter rennen"

"Ich sage seit Jahrzehnten: Taktische Grundordnungen sind nur ein Vehikel, und sie müssen immer zum Spielermaterial passen. Auf dem Niveau einer EM sollten möglichst alle elf Spieler auf ihrer 1a-Position auflaufen. Das war bei der deutschen Elf sicher nicht der Fall." Das gelte für Thomas Müller, besonders aber für Joshua Kimmich: "Klar war er auch schon mal rechter Verteidiger, aber immer in einer Viererkette. Rechte Außenbahn in einem Dreier-/Fünferkettenmuster - Julian Nagelsmann nennt diese Position "Joker" - das hatte "Jo" meines Wissens so noch nie gespielt."

Kimmich gehöre ins Zentrum, findet Rangnick. "Er sollte nicht außen von Eckfahne zu Eckfahne rauf und runter rennen. Ohne Joshua auf der Sechs war schon gegen Frankreich die Wahrscheinlichkeit nicht groß, dass die Sache nur mit Toni Kroos und Ilkay Gündogan in der Mitte gut geht - gegen Kanté, Pogba und Rabiot."

So habe auch ein "Krieger" im Mittelfeldzentrum gefehlt. "Was mich überrascht hat", so Rangnick: "Im DFB-Trainingslager in Seefeld sagten einige Spieler: Wir verbringen hier viel Zeit mit dem Spiel gegen den Ball, es geht um Abstände zueinander, ums giftige Stören des Gegners. Da dachte ich: Aha, super, die Zeichen der Zeit erkannt! Leider war dann in allen vier Spielen wenig davon zu sehen. Frühes Anlaufen war nie als Muster erkennbar. Aggressives Ballerobern ist auch schwierig, wenn du ohne einen Krieger im Zentrum spielst. Aus den Vereinen sind es Kroos und Gündogan gewohnt, dass neben oder hinter ihnen noch ein echter Sechser steht, der beim Ball-Gewinnen stets das Messer zwischen den Zähnen hat."

Ein Bundestrainer sollte nicht nur am Samstag Stadien besuchen, er sollte täglich Präsenz bei Vereinen zeigen.

Ralf Rangnick

Für Löw-Nachfolger Hansi Flick und den DFB gelte es nun, eine "Schlüsselfrage zu klären: "Wofür will der deutsche Fußball stehen? Wie lautet eine Spielidee, möglichst auch für alle U-Mannschaften?" Und Rangnick empfiehlt Flick noch etwas: "Ein Bundestrainer sollte nicht nur am Samstag Stadien besuchen, er sollte täglich Präsenz bei Vereinen zeigen."

Kurzum: "Bundestrainer sollte ein Fulltime-Job sein: jeden Tag zehn Stunden zur Verfügung stehen, jede Woche einen anderen Klub besuchen. Dort kannst du dich intensiv mit den Trainern austauschen, Trainingsinhalte kennenlernen und auch frühzeitig neue Talente entdecken. Wenn der Bundestrainer unser Fußball-Kanzler ist, sollte er entsprechend Präsenz zeigen."

Das sei "gar keine Kritik an Jogi Löw, denn das wurde in den letzten 60 Jahren einfach noch nie so praktiziert. Aber dieses 'Das-war-doch-schon-immer-so-Denken', das ist ein Fehler. Wenn wir über Verbesserungen reden, müssen wir solche Dinge angehen."

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