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Neuer Tiefpunkt: Welche Fragen sich Löw nun stellen muss

Nach desaströser Niederlage gegen Nordmazedonien

Neuer Tiefpunkt: Welche Fragen sich Löw nun stellen muss

Auf zwei Siege folgte der Rückschlag: Bundestrainer Joachim Löw.

Auf zwei Siege folgte der Rückschlag: Bundestrainer Joachim Löw. imago images

Die deutschen Nationalspieler waren längst geduscht, die Pressekonferenz mit Bundestrainer Joachim Löw schon beendet, das Licht im Duisburger Stadion runtergedimmt, da hörte man auf der fast menschenleeren Tribüne noch immer lautes Hupen, euphorische Gesänge, Jubelschreie. Sie kamen von außerhalb des Stadions, wo ein kleines Grüppchen nordmazedonischer Fans auch fast eine Stunde nach Abpfiff noch immer nicht glauben konnte, was da eben beim sensationellen 2:1-Sieg ihrer Mannschaft über Deutschland geschehen war - und den geltenden Corona-Regeln zum Trotz feierte. Für sie war es ein historischer Abend. Für die deutsche Nationalmannschaft und ihren nach der EM aus dem Amt scheidenden Trainer Löw dagegen ein neuer Tiefpunkt.

"Zum zweiten Mal gehen wir jetzt mit einer bitteren Niederlage in eine längere Pause", hatte Löw die Pleite korrekterweise eingeordnet: Das 0:6 gegen Spanien im vergangenen November mag noch krasser in seiner Wirkung gewesen sein - es war der letzte Mosaikstein, der den Bundestrainer schließlich zum Rücktritt nach der EM bewegte - das Ausmaß aber war vergleichbar. Die Republik Nordmazedonien hat lediglich zwei Millionen Einwohner, ist in der FIFA-Weltrangliste auf Rang 65 gelistet - Deutschland steht hier auf Platz 13. Ihr größter Star, Goran Pandev, ist 37 Jahre alt. Gegen eine Mannschaft wie diese darf sich die DFB-Auswahl in Ausnahmefällen mal schwerer tun, verlieren aber darf sie nicht. Schon gar nicht zuhause, in einem Pflichtspiel, genauer: in einem WM-Qualifikationsspiel. Und erst recht nicht im letzten Auftritt vor der Bekanntgabe des EM-Kaders, unmittelbar vor Löws letzten Turnier als Bundestrainer.

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Der 61-Jährige hatte am 9. März bekanntgegeben, nach der EM und insgesamt 15 Jahren im Amt beim DFB aufzuhören. Er hatte damit durchaus so etwas wie Aufbruchsstimmung entfacht, der dunkle Nebel, der nach dem 0:6 in Sevilla über der deutschen Mannschaft hing, hatte sich aufgelöst. Das mediale Echo auf die folgenden Siege gegen Island (3:0) und in Rumänien (1:0) war fast ausnahmslos positiv. Zu positiv, legt man zugrunde, wie sehr das - allzu fragile - Gesamtbilde gegen Nordmazedonien in sich zusammenbrach.

Siege waren "kein Trugbild"

"Nein, nein, nein, nein", wiegelte Löw nach seiner ersten Niederlage in einem WM-Qualifikationsspiel entsprechende Nachfragen ab. Die Siege seien "kein Trugbild" gewesen, "das hat ja jeder gesehen". In beiden Partien habe seine Mannschaft "Dinge gut umgesetzt". Sie sei dominant gewesen, habe eine bessere Organisation und einen schnelleren Spielaufbau gezeigt. Das stimmt. Aber es waren eben auch keine Gegner der obersten Kategorie. Rumänien verlor am Mittwoch in Armenien mit 2:3, Island ließ beim 4:1-Sieg in Liechtenstein ein Gegentor zu und verlor zuvor ebenfalls gegen Armenien (0:2). Und die Armenier sind nun auch alles andere als eine Großmacht im europäischen Fußball (Weltranglisten-Platz 99.). Bei der EM warten auf die DFB-Elf ganz andere Kaliber - bereits in der Vorrunde trifft Deutschland auf Weltmeister Frankreich und Portugal, den Fünften der Weltrangliste.

Viel Zeit bleibt nicht

"Wir dürfen jetzt auf keinen Fall den Glauben und das Gefühl verlieren, dass wir in der Lage sind, ein gutes Turnier zu spielen", forderte Löw, der in den 96 Minuten von Duisburg schmerzhaft erfahren musste, dass sein Rücktritt die richtige Entscheidung war. Doch so niedergeschlagen und enttäuscht wie er wirkte, als er diese Sätze sprach, wird es auch bei ihm einige Zeit brauchen, diesen erneuten Tiefschlag zu verdauen.

Viel Zeit bleibt bis zum Trainingslager in Seefeld (Österreich) nicht mehr. Bis Löw seine Mannschaft am 25. Mai zusammenruft, wird er einige Fragen aufzuarbeiten haben. Fragen des Personals. Des Systems. Der Herangehensweise - auch der eigenen. Schließlich war er es, der gegen Nordmazedonien bewusst wenig rotiert und dadurch Frischeverluste in Kauf genommen hatte. Und der - ähnlich wie in Spanien - der während der Partie immer stärker werdenden Dynamik gegen seine Mannschaft keine Ideen entgegenzusetzen hatte. Man konnte seinen Spielern ja nicht einmal vorwerfen, es nicht versucht zu haben. Dass es dennoch nicht langte, war fast die aus deutscher Sicht bitterste Erkenntnis eines Abends von historischem Ausmaß - zumindest für das Grüppchen Nordmazedonier vor dem Duisburger Stadion.

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Matthias Dersch