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Nagelsmanns Kader: Konsequent und vorhersehbar

Kommentar

Nagelsmanns Kader: Konsequent und vorhersehbar

Sein EM-Kader ist fast identisch mit dem der März-Länderspiele: Julian Nagelsmann.

Sein EM-Kader ist fast identisch mit dem der März-Länderspiele: Julian Nagelsmann. picture alliance

Als Julian Nagelsmann am Donnerstag in Berlin in den Räumen seines Hauptsponsors Volkswagen das Podium betrat, hatte er nicht viel Neues mehr zu berichten. 18 Spieler waren bereits von Sonntag bis Mittwoch vom Verband häppchenweise und in unterschiedlichsten Formaten publik gemacht worden. Und die übrigen neun Kandidaten für den vorläufigen Kader, ob Toni Kroos oder Thomas Müller, waren gleichfalls keine Aha-Besetzungen.

Nagelsmann hatte sein Pulver an Überraschungen bereits mit seinen Richtungsentscheidungen im März verschossen. Mit der Rückholaktion von Weltmeister Toni Kroos, der Ausbootung der Routiniers Mats Hummels und Leon Goretzka sowie der Berufung von einem halben Dutzend Neulingen. Nach den siegreichen Tests gegen Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1), mit denen die Nationalmannschaft endlich Vorfreude auf die anstehende Heim-EM entfachte, ist es nur folgerichtig, dass der Bundestrainer das nach den November-Pleiten gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) eingeschlagene Wendemanöver fortsetzt.

Nagelsmanns Argument gegen Goretzka und Hummels ist nicht von der Hand zu weisen

Für Goretzka und noch mehr für den zuletzt in beeindruckender Form verteidigenden Hummels mag sich diese Ausmusterung bitter und - wenn man allein das Leistungskriterium zur Hand nimmt - auch ungerecht anfühlen. Aber Nagelsmanns Argument, dass diese beiden - in ihrem Selbstverständnis - Platzhirsche sich mit der zugedachten Rolle als Herausforderer und Ergänzungsspieler schwertun könnten, ist nicht von der Hand zu weisen. Erst recht in einem von 23 auf 26 Profis aufgeblähten Kader wird es in den EM-Wochen viele Spieler geben, die kaum oder gar nicht zum Einsatz kommen und mit jedem Turniertag mehr realisieren, dass sie keine Hauptdarsteller mehr werden. Mit einer solchen Rolle tun sich Turnier-Neulinge wie Aleksandar Pavlovic oder Waldemar Anton natürlich leichter.

Das ist Deutschlands Kader für die Heim-EM

Bis auf den Heidenheimer Jan-Niklas Beste schafften es alle von Nagelsmann im März berufenen Neulinge ins EM-Aufgebot. Diese Zuführung an jungen, hungrigen und unbelasteten Kräften hatte die über die Jahre zunehmend gefrustete und verunsicherte Nationalmannschaft bitter nötig. Nie zuvor in den vergangenen Jahren sei der Spirit im Team so gut und energiegeladen gewesen wie in den gemeinsamen März-Tagen, sagten danach viele Spieler. Das ist die Basis, die den EM-Gastgeber durchs Turnier tragen kann.

Auf Nagelsmanns Achse lässt sich einiges aufbauen

Nagelsmann hat am Donnerstag den Titel als Ziel ausgegeben und seine Überzeugung ausgedrückt, dass er dieses Vorhaben auch für realisierbar hält. Das klingt kühn angesichts der Tatsache, dass die Nationalmannschaft nach einem ewig anmutenden Schlingerkurs erst im März sportlich in die Spur gefunden hat und nur noch wenig Zeit bleibt, um die noch fragilen Strukturen zu festigen. Aber es gibt trotzdem gute Gründe, aus deutscher Sicht zuversichtlich auf diese anstehende EM zu blicken - neben dem aufgebauten Spirit vor allem die Form der Spieler, auf die es ankommt.

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Wie geht's gegen Schottland? Eure Fragen zum deutschen EM-Auftakt
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Mit Manuel Neuer im Tor, Antonio Rüdiger und Jonathan Tah in der Innenverteidigung, Toni Kroos als Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld sowie den spielfreudigen Ilkay Gündogan, Florian Wirtz, Jamal Musiala und Kai Havertz in der Offensive verfügt die DFB-Auswahl über eine ganz starke Achse, auf der sich in der augenblicklichen Verfassung einiges aufbauen lässt. Nagelsmann muss hoffen, dass diese Leistungsträger die letzten Saisonspiele unbeschadet überstehen, und darauf setzen, dass sie ihr Momentum mit ins Nationalteam tragen. Wenn es dann im Eröffnungsspiel gegen Schottland gelingt, die im März geschürte Vorfreude bei den Fans in eine EM-Begeisterung auszuweiten, dann ist dieser Mannschaft unter diesem Trainer alles zuzutrauen.