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Atalanta-Profi Marten de Roon im Interview über Bergamo und Scudetto

Atalanta-Profi über Sprachprobleme und Aufstiege

Marten de Roon im Interview: "Mein bester Freund war mein Telefon"

Über das Leben in Bergamo, die Erfolgsgeschichte Atalanta - und Middlesbrough: Marten de Roon.

Über das Leben in Bergamo, die Erfolgsgeschichte Atalanta - und Middlesbrough: Marten de Roon. picture alliance

Wann haben so viele Fußballer eigentlich angefangen, so langweilig zu werden?

"Ein Freund hat mich das mal gefragt", erzählt Marten de Roon im Gespräch mit dem kicker. "Er meinte, dass jeder Fußballer so langweilige Aussagen treffen würde, vor allem in den sozialen Medien. Immer nur dieses 'Toller Sieg' oder 'Drei Punkte, weiter geht's'."

Aber wer will so was wirklich lesen?

"Warum nicht mal eine andere Perspektive bieten?", fragte de Roon und erfand eine neue Beschreibung für seine Twitter-Seite: "Fußballspielen in Italien zusammengefasst: Wenn wir gewinnen, bekomme ich den besten Tisch und das Essen umsonst. Wenn wir verlieren, muss meine Frau es abholen."

Diese kleine Portion Selbstironie, ein bisschen mehr Humor, ein bisschen mehr Witz. "Ich wollte mal schauen, wie weit ich gehen kann. Ich schrieb Kommentare zu Bildern von mir, die ich lustig fand. Vor allem, weil es fast immer nur Bilder waren, auf denen ich total blöd aussah."

Am ersten Spieltag der Serie-A-Saison traf de Roon beim FC Turin zum 4:2-Endstand für Atalanta und schrieb kurz darauf, dass "die drei Punkte natürlich wichtig" seien und es "ums Team geht und nicht um mich, aber lasst uns nicht vergessen, dass ich heute mit meinem linken Fuß getroffen habe".

Marten de Roon

Am 1. Spieltag traf Marten de Roon zum 4:2-Endstand in Turin. picture alliance

Man muss also gar nicht immer so ernst sein, findet de Roon, erst recht nicht in den sozialen Netzwerken. "Ernst ist meist langweilig."

Langweilig wird de Roon seit ein paar Jahren nicht mehr. Der niederländische Nationalspieler war und ist einer der Hauptakteure der erfolgreichsten Phase in der Geschichte von Atalanta Bergamo, Stammspieler in der niederländischen Nationalmannschaft und hat "verrückte" fünf Jahre hinter sich.

"Ziemlich witzig" ist die Geschichte, wie de Roon 2015 als Kapitän des SC Heerenveen in Bergamo landete. Mehrfach hatte der damals 24-Jährige Anrufe aus Italien erhalten. Erst von Giovanni Sartori, dem Sportdirektor Atalantas, der kein Englisch sprach, dann von Gabriele Zamagna, dem Chefscout. "Sie meinten, dass sie 14 Spiele von mir in Heerenveen gesehen hatten und sehr von mir überzeugt waren."

Zamagna, zum Beispiel, "konnte mir genau sagen, wie ich wann und wo gespielt habe. Das war ziemlich eigenartig."

De Roon wusste, "dass Atalanta ein Fußballverein war", mehr nicht. Doch er wollte sich beweisen, raus aus der Komfortzone. "Ich hätte noch zehn Jahre in Heerenveen spielen können und wahrscheinlich eine gute Karriere gehabt. Aber ich brauchte ein neues Abenteuer."

Atalanta, sollte man dazu wissen, war 2015 nicht das, was Atalanta 2020 ist. Unter dem 69-jährigen Trainer Edoardo Reja war der Tabellensiebzehnte nur knapp dem Abstieg entkommen. Aber "die Serie A ist die Serie A", dachte de Roon und sagte sich selbst: "'Versuch es. Wenn es nicht gut läuft, gehst du zurück nach Holland. Und wenn es gut läuft… Wer weiß."

In Bergamo traf de Roon auf eine Mannschaft, die sich meistens das Ziel setzte, nicht zu verlieren. "Die Mentalität war eigenartig. Zuhause gegen die größeren Klubs", und das waren zu der Zeit nun mal fast alle, "stellten wir uns defensiv ein und versuchten, irgendwie unentschieden zu spielen."

Die ersten Wochen "waren fürchterlich", sagt de Roon, meint damit aber weniger das überschaubare Niveau der Mannschaft als vielmehr das Privatleben. Seine schwangere Frau war in der Heimat geblieben, de Roon sprach kein Wort Italienisch. "Es gab nur zwei Leute im Verein, die Englisch konnten, und einer von denen war der Physiotherapeut. Ich saß also mit 20 Leuten am Tisch, mit denen ich mich nicht unterhalten konnte. Ich verstand das, was ich sah, aber nicht das, was der Trainer erzählte."

Nach der Saison erfuhr ich, dass Middlesbrough mich verpflichten wollte.

De Roon über das Angebot aus England

Zu der Zeit, erklärt de Roon mit einem Lächeln, "war mein Telefon mein bester Freund", zu schwierig das soziale Leben. "Ich bin ein sehr offener Mensch und gehe gerne auf Leute zu, aber nicht, wenn ich ihre Sprache nicht spreche."

Immerhin auf dem Platz lief es etwas besser, de Roon war im 4-3-3-System als defensiver Mittelfeldspieler gesetzt. "Ich fühlte mich mit der Zeit immer wohler, die Leute mochten mich."

Als der Sommer kam und Atalanta halbwegs souverän dem Abstiegskampf entgangen war, wusste de Roon, dass "ich einer der besseren Spieler" der Mannschaft war, "obwohl mich vorher niemand gekannt hatte." Er fragte sich, ob Bergamo zwingend schon das finale Kapitel sein musste oder nicht doch noch ein weiterer Schritt möglich war.

"Nach der Saison erfuhr ich, dass Middlesbrough mich verpflichten wollte", erklärt er. "Sie waren gerade in die Premier League aufgestiegen und würden auch nur darum kämpfen, die Klasse zu halten. Aber es war die Premier League…"

De Roon sagte zu, auch weil das Angebot, "da bin ich ehrlich", finanziell in ganz anderen Dimensionen lag. "Ich wollte ein oder zwei Jahre gut spielen und dann vielleicht innerhalb Englands zu einem größeren Verein wechseln."

Marten de Roon als Middlesbrough-Profi mit Diego Costa

"Get up": Marten de Roon als Middlesbrough-Profi mit Diego Costa. picture alliance

Zehn Millionen Euro überwies der Premier-League-Aufsteiger nach Italien und machte de Roon zum teuersten Neuzugang des Sommers. Und wieder erlebte der Niederländer "einen kleinen Kulturschock". "Das Wetter war schlechter, das Essen anders, der Kaffee anders. Ich verdiene lieber ein bisschen weniger Geld und habe dafür ein besseres Leben."

Dummerweise fehlte dieses Mal die Zuflucht auf dem Platz. Während "Boro" eine Niederlage nach der anderen hinnehmen musste und von Anfang an im Tabellenkeller feststeckte, war Atalanta drauf und dran, die beste Saison der Vereinsgeschichte hinzulegen. "Sie hatten den Sprung gemacht, auf den ich gehofft hatte." Nur eben ohne ihn, "stattdessen stieg ich aus der Premier League ab. Klasse, oder?"

De Roon ist nach wie vor davon überzeugt, dass der Wechsel nach England kein Fehler war, "ich persönlich habe mich in diesem Jahr weiterentwickelt, etwas offensiver gespielt als vorher". Doch schon kurz bevor der Abstieg feststand, wurde der beste Freund, sein Telefon, wieder etwas wichtiger. "Der Kontakt zu Atalanta-Präsident Luca Percassi war über die gesamte Saison eigentlich nicht abgerissen. Er war einer der Wenigen in Bergamo, der Englisch sprach und sich immer mal wieder erkundigte, wie es bei mir lief."

De Roon war klar, dass er Middlesbrough wieder verlassen musste, "ich wollte nicht in der Championship spielen". Bei einem Telefonat fragte Percassi de Roon, ob er gerne zurückkommen würde. "Am Anfang sprachen wir ganz informell darüber, ohne dass die Klubs oder Berater involviert waren. Wir wollten nur schauen, ob wir auf einer Wellenlänge lagen." Lagen sie.

Wenn gegen Ende der Saison die Chance besteht, werden wir darüber reden.

De Roon über einen möglichen Meistertitel

Zweieinhalb Monate dauerten die Verhandlungen zwischen Atalanta und Middlesbrough, am Ende investierte der Tabellenvierte der Serie A seine damalige Rekordsumme von 13 Millionen Euro. Und erhöhte damit den Druck auf de Roon. "Beim ersten Mal kannte mich niemand, und das war in Ordnung. Aber jetzt kam ich als teuerster Neuzugang der Vereinsgeschichte zurück."

Die Umgewöhnung an das anspruchsvolle Spiel unter Gian Piero Gasperini brauchte Zeit, "die ersten zwei oder drei Monate" spielte de Roon nicht gut. "Mit der Zeit wurde es besser." Im zentralen Mittelfeld von Gasperinis 3-5-2-System spielte sich der heute 29-Jährige fest. "Ab da dachte ich auch gar nicht mehr darüber nach, was der Klub für mich bezahlt hatte."

Marten de Roon

Ständiger Aufwärtstrend: Marten de Roon und Atalanta. picture alliance

Seitdem ging es in Bergamo nur noch bergauf. Der erstmaligen Qualifikation für die Champions League im Mai 2019 und einer "verrückten, unglaublichen" Party folgte der Viertelfinaleinzug in der Vorsaison. "Der Trainer erwartet immer das Maximum", erklärt de Roon. "Wer im Training 70 Prozent gibt, ist raus."

Inzwischen bewegt sich Atalanta auch finanziell auf einem anderen Niveau. "Wir kaufen jetzt Spieler für 20 Millionen Euro, da erwarten die Leute ein bisschen mehr." Wie viel mehr ist denn möglich? "Man sagt ja oft, dass man besser als im letzten Jahr abschneiden will." Da blieben nur noch der zweite oder erste Platz. Oder das Champions-League-Halbfinale.

Möchte Atalanta etwa in Sachen Scudetto mitreden? "Man kann darüber reden", sagt de Roon und merkt schnell, dass auch er jetzt ausnahmsweise ernst und ein bisschen langweilig antworten muss: "Wenn gegen Ende der Saison die Chance besteht, werden wir darüber reden. Vorher nicht."

Mario Krischel

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