Int. Fußball

Collinas Konter nach Bobans Absurditätsvorwurf

FIFA contra UEFA: Debatte um längere Nachspielzeiten

Längere Nachspielzeit? Collina kontert Bobans scharfe Kritik

Er findet die neuen Nachspielzeit-Empfehlungen gut: Pierluigi Collina.

Er findet die neuen Nachspielzeit-Empfehlungen gut: Pierluigi Collina. IMAGO/Sports Press Photo

"Ich verstehe, dass jede Reform der Spielregeln oder auch nur ihre Auslegung, wie es hier der Fall ist, von einigen mit Skepsis betrachtet wird, aber wie bei der Einführung des VAR gilt: Wenn die Maßnahmen zum Schutz des Fußballs dienen, werden sie letztendlich akzeptiert", schrieb die italienische Schiedsrichter-Legende in einem offenen Brief und bezog sich damit auf die jüngsten Äußerungen von Zvonimir Boban.

Der hatte als Direktor des europäischen Fußballverbandes am Mittwoch gesagt, dass die neuen Regeln für die Nachspielzeit, wie sie bereits im englischen Fußball praktiziert werden, in den UEFA-Wettbewerben nicht angewandt würden. Der Kroate bezeichnete die Regeln als "absurd" und befand sich damit auf einer Linie mit prominenten Namen wie Pep Guardiola, Kevin De Bruyne oder Raphael Varane - und auch der Spielergewerkschaft FIFPRO, die sich allesamt kritisch geäußert hatten.

"Was das Wohlergehen der Spieler angeht, ist es eine kleine oder große Tragödie, weil wir fast 12, 13, 14 Minuten mehr spielen", meinte Boban, der selbst lange Jahre in Mailand und der kroatischen Nationalmannschaft auf Top-Niveau gespielt hat. "Es ist verrückt. Es ist zu viel, also werden wir das nicht tun. Unsere Richtlinien sind anders." Bobans Äußerungen können durchaus auch als keine Kampfansage an die FIFA und deren Bestrebungen nach mehr Netto-Spielzeit betrachtet werden.

Nun aber erfolgte Collinas Retourkutsche. Der stellt klar, dass die neue "Empfehlung nicht das Wohlergehen der Spieler beeinträchtigt, sondern lediglich die Zeit, die verschwendet wurde, kompensiert. Es geht nicht darum, dem Spiel Minuten hinzuzufügen, sondern die Zeit zu kompensieren, wenn die Spieler nicht spielen - und zwar nur unter bestimmten Umständen."

Das Problem ist lange bekannt

Der 63-Jährige betonte zugleich, dass seit langem "Fans, Spieler, Trainer, Vereine, Wettbewerbsveranstalter und Medien auf den Mangel an effektiver Spielzeit bei Fußballspielen hingewiesen" hätten. Viele hielten es "für inakzeptabel, dass ein Fußballspiel weniger als 50 Minuten Netto-Spielzeit dauert."

Torschüsse, Eckstöße und Einwürfe sind Teil des Spiels und müssen nicht kompensiert werden.

Pierluigi Collina

Aus diesem Grund hätten sich die FIFA und das International Football Association Board (IFAB) mit dem Problem befasst - "und es wurden einige mögliche Lösungen vorgeschlagen, darunter das "Stop-the-Watch"-System. Nach einem eingehenden Konsultationsprozess, an dem Vertreter aller Verbände, einschließlich der UEFA, teilgenommen haben, empfahl das IFAB, dass die Schiedsrichter die zusätzliche Zeit genauer berechnen und die in den Spielregeln festgelegten Kriterien anwenden sollten."

Positive Resonanz

Das neue Modell kam erstmals bei der WM in Katar zum Einsatz, später dann auch bei der Frauen-WM - und es stieß auf positive Resonanz, wie Collina hervorhob. "Die Reaktionen, die wir sowohl von den Mannschaften als auch von den Zuschauern erhalten haben, waren sehr positiv. Ich bin sicher, dass die überwiegende Mehrheit der Beteiligten damit einverstanden ist."

Zvonimir Boban

Sieht die neuen Regeln skeptisch: Zvonimir Boban. IMAGO/Italy Photo Press

Ohnehin sei es nichts Neues, dass Spielzeit angehängt würde, stellte Collina klar. "Seit langem kompensieren die Schiedsrichter die Zeit, die für die Verletzung und die Auswechslung eines Spielers verloren geht, indem sie eine Minute bzw. 30 Sekunden hinzurechnen. Mit der Einführung des VAR wurde auch die Zeit kompensiert, die für dessen Eingreifen verloren ging."

Das Problem dabei jedoch war, dass besagte kompensierte Zeit "oft nicht der tatsächlich verlorenen Zeit entsprach". Lediglich das solle sich ändern, ergo sollen die Unparteiischen exakter sein.

Collina stellte auch klar, dass nicht jede Unterbrechung eine Nachspielzeit notwendig machen würde. "Torschüsse, Eckstöße und Einwürfe sind Teil des Spiels, die für sie aufgewendete Zeit muss nicht kompensiert werden."

Ohnehin hätten Auswertungen gezeigt, dass sich die Nachspielzeiten durch die neuen Empfehlungen nicht wesentlich verlängert hätten, wie Collina beteuerte: "Die Empfehlung, die den Schiedsrichtern in Katar gegeben wurde, führte zu einer durchschnittlichen zusätzlichen Spielzeit von insgesamt 10:30 Minuten, nicht viel mehr als die acht Minuten, die in vielen Ligen bereits gewährt werden."

Abschließend betonte der Italiener, dass es Interessant zu beobachten gewesen sei, "dass die durchschnittliche Nachspielzeit in den kürzlich ausgetragenen Play-off-Spielen zur Champions League zehn Minuten, zur Europa League 9:12 und zur Conference League 10:08 betragen haben". 

drm

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