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Boxen: Fury vs. Usyk - Wer wird unumstrittener Weltmeister?

Die ungeschlagenen Fury und Usyk im Vereinigungskampf

König vs. Katze: 8953 Tage Warten auf den unumstrittenen Weltmeister

34 Siege gegen gegen 21 Siege: Tyson Fury (li.) gegen Oleksandr Usyk.

34 Siege gegen gegen 21 Siege: Tyson Fury (li.) gegen Oleksandr Usyk. picture alliance / empics

Beim gefährlichen Zweikampf im Ring gilt es, die gesamte eigene Kraft und Energie auf die Niederlage des Gegners zu richten und sich gleichzeitig mit allem, was man hat, zu verteidigen. Trotz maximalen äußerlichen Drucks die innere Ruhe zu bewahren und in voller Präsenz zu agieren - dieser Zustand ist für den Boxer das höchste der Gefühle, die größte Leistung. In solchen Sphären werden sich Tyson Fury und Oleksandr Usyk am Samstag in Riad bewegen.

Fury, der lineare Weltmeister und Träger des WBC-Gürtels aus England, trifft auf Usyk, den Weltmeister der drei anderen großen Verbände WBA, IBF und WBO. Erstmals nach 8953 Tagen wird in der Königsklasse des Boxens wieder ein unumstrittener Weltmeister gekürt. Der letzte seiner Art war Lennox Lewis, der 1999 alle Gürtel im Schwergewicht vereinigte. Ein monumentaler Moment für den Boxsport, bei dem zwei völlig unterschiedliche Charaktere aufeinanderprallen.

Der beispiellose Absturz des Klitschko-Bezwingers

Der 35-jährige Fury wird 1988 in eine Kampfsportfamilie hineingeboren und nach Mike Tyson benannt. Es heißt, die ersten Worte seines Vaters hätten gelautet: "Eines Tages wirst du Weltmeister im Schwergewicht." Ein Weg, den der "Gypsy King" gerne beschreitet. 2008 wird der Hüne Profi und räumt einen Gegner nach dem anderen aus dem Weg. 2015 bekommt er in Düsseldorf die Chance seines Lebens. Mit einer epischen Leistung beendet der Brite die langjährige Regentschaft von Wladimir Klitschko und sichert sich damit drei der vier relevanten WM-Gürtel.

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Was danach folgt, ist ein beispielloser Absturz in Depressionen und Drogen. Fury wirkt nach außen selbstsicher, doch im Inneren ist er leer. Umso beeindruckender gestaltet er sein Comeback, bei dem er sich 2020 mit einem Sieg gegen Deontay Wilder den WBC-Gürtel sichert. Den hält der Schwergewichtsboxer nach wie vor.

Bei all seinen Triumphen zeichnet sich der Ring-Gigant durch seine Beweglichkeit und sein starkes Distanzgefühl aus. "Er boxt extrem unorthodox, schlägt aus den unmöglichsten Winkeln und ist für mich derzeit die Nummer eins in der Königsklasse", sagt Nick Trachte, Inhaber des Münchner Boxtempels BOXWERK. Nahezu die gesamte Boxwelt sieht es ähnlich - der Trash Talker aus England ist für fast alle Experten der derzeit beste Schwergewichtler auf unserem Planeten.

Geschmeidige Bewegungen wie eine Katze

Ein gallisches Dorf allerdings leistet Widerstand. Der inzwischen 37-jährige Usyk beginnt bereits in jungen Jahren mit dem Boxen und erfüllt sich 2012 mit dem Olympiasieg einen großen Traum. Die folgende Entwicklung verläuft gigantisch: Usyk feiert 2013 sein Profi-Debüt und vereint in Rekordzeit alle Titel im Cruisergewicht. Nach seinem Aufstieg ins Schwergewicht entthront er den langjährigen Champion Anthony Joshua und bringt sich so für den Mega-Kampf gegen Fury in Stellung.

Oleksandr Usyk und Anthony Joshua

Gewinnt 2022 auch seinen zweiten Fight gegen Anthony Joshua (re): Oleksandr Usyk. picture alliance / ASSOCIATED PRESS

In seiner kriegsgebeutelten Heimat ist Usyk ein Star, der mit seinen Siegen den Menschen in der Ukraine Hoffnung gibt. Sein Spitzname lautet "Katze", weil er sich im Ring extrem geschmeidig bewegt. Der agile Fighter besitzt eine extrem starke Beinarbeit und einen hohen Ring-IQ. "Usyk ist mental brutal stark und zieht sein Ding immer durch", erklärt die deutsche Box-Legende Axel Schulz. Nach seinen beiden Siegen gegen Joshua forderte der Kosake Fury mehrmals heraus, doch der nahezu fixe Fight platzte Ende Februar wegen einer Verletzung Furys mit Pauken und Trompeten.

Doch jetzt kommt es endlich zum "Ring of Fire", auch dank saudischer Geldgeber. Die Männer aus dem Königreich legen hohe Summen auf den Tisch, bei denen kein Preisboxer Nein sagen kann. Durch das Engagement der Scheichs kommen in kurzer Zeit nahezu alle großen Fights zustande, auf die die Fans teilweise Jahre gewartet haben. Und der größte Kampf findet an diesem 18. Mai statt. Das erste Mal in der Geschichte des Boxens wird es einen Weltmeister geben, der im Schwergewicht alle vier Gürtel auf sich vereint. Dazu steht auch Furys lineare Weltmeisterschaft auf dem Spiel - mehr geht schlicht und ergreifend nicht.

Fury der Favorit - Usyk kämpft für etwas Größeres

Die Ausgangslage vor dem Kracher scheint klar. Fury ist 15 Zentimeter größer als der Mann aus Simferopol und verfügt über deutlich mehr Reichweite. Dies bringt ihm offensive und defensive Vorteile. Dazu ist er ein erstklassiger Boxer, technisch versiert und mit allen Wassern gewaschen. Der WBC-Champ ist daher deutlich stärker einzuschätzen als Usyks bisher bester Gegner im Schwergewicht, Joshua. Und trotz aller mentalen Probleme: In großen Kämpfen war Fury bisher immer maximal bereit.

Fury ist ein gestandener Schwergewichtler, er ist körperlich zu stark für Usyk.

Box-Legende Axel Schulz

Es spricht also vieles für den Mann von der Insel, sein ukrainisches Gegenüber braucht noch mal den Kampf seines Lebens und einen perfekt umgesetzten Game-Plan. "Usyk muss gegen Fury in die Telefonzelle, also den Infight suchen. Das ist aus meiner Sicht seine einzige Chance, insgesamt sehe ich Fury vorne", erläutert Trachte. Schulz sieht es ähnlich: "Fury ist ein gestandener Schwergewichtler, er ist körperlich zu stark für Usyk."

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In nahezu allen Mythen und Heldengeschichten erreicht ein Kämpfer allerdings dann sein nächstes Level, wenn er anfängt, für etwas Größeres zu fighten. Dieser höhere Grund setzt ungeahnte Kräfte frei. Und Usyk hat diesen Grund, wenn er in den Ring steigt. Während für Fury mehr oder weniger "nur" sein Vermächtnis als Preisboxer auf dem Spiel steht, hat der Ukrainer mehr als 36 Millionen Landsleute hinter sich und steht für seine Heimat ein. Deshalb sollte am Samstag niemand die "Katze" unterschätzen. Einen Weg zu gewinnen hat der Ukrainer bisher immer gefunden.

Die wahren Könige des Schwergewichts

Der erste anerkannte Champion überhaupt war einst John L. Sullivan, der 1885 die Weltmeisterschaft gewann und durch seine lange Regentschaft der allererste amerikanische Sportstar wurde. Auf den "Boston Strong Boy" folgten unterschiedliche, meist kurzzeitige Titelträger, der nächste ganz Große war Joe Louis. Er eroberte den Titel 1937 und verteidigte ihn sage und schreibe 25-mal - bis heute ein Rekord. Unter anderem schlug er Max Schmeling, den bis heute einzigen deutschen Schwergewichtsweltmeister, in einem der prestigeträchtigsten Fights aller Zeiten.

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Während nach Louis eine kurze Ära von Rocky Marciano folgte, war Muhammad Ali der nächste nachhaltige Matador in der Königsklasse. Ali eroberte den Titel 1964 gegen Sonny Liston, musste ihn allerdings 1967 wegen seiner Kriegsdienstverweigerung abgeben. Als er 1971 auf die große Bühne zurückkehrte, galt mittlerweile Joe Frazier als Weltmeister. Erstmals gab es wie heute zwei Champions. Im Fight of the Century gewann Frazier gegen Ali, doch der "People's Champion" sollte seine Krone später gegen George Foreman zurückgewinnen und auch Frazier im Thriller von Manila schlagen.

Mit Mike Tyson erschien in den Achtzigern ein weiterer Gigant auf der Bildfläche. "Iron Mike" musste sich allerdings neuen Herausforderungen stellen, da es inzwischen drei Weltverbände und dazu weiterhin die lineare Weltmeisterschaft gab. Tyson vereinte schnell all diese Meriten und galt als unumstritten. Er verlor seine Titel indes in der größten Box-Sensation der Geschichte 1990 gegen Buster Douglas. Nachdem sich die Gürtel wieder verstreut hatten, schaffte es Lennox Lewis, sie ein letztes Mal 1999 gegen Evander Holyfield zu vereinigen. Nach seinem Rücktritt teilten sich die Gürtel wieder auf und kamen in der Klitschko-Ära nie zusammen, da die Brüder nicht gegeneinander antraten. Nun aber wird wieder ein wahrer König im Schwergewicht auserkoren. Der "Gypsy King" trifft auf die "Katze".

Dieser Artikel erschien erstmals in der Montagsausgabe des kicker am 13. Mai.

Roman Horschig