Int. Fußball

Honigstein: "Klopp ist im Grunde ein sehr guter Verlierer"

Journalist Honigstein im Interview über Liverpools scheidenden Trainer

"Klopp ist im Grunde ein sehr guter Verlierer"

Raphael Honigstein (li.) hat Jürgen Klopp schon oft am Spielfeldrand interviewt und auch ein Buch über ihn geschrieben.

Raphael Honigstein (li.) hat Jürgen Klopp schon oft am Spielfeldrand interviewt und auch ein Buch über ihn geschrieben. IMAGO/Offside Sports Photography

Vor allem für Sky hat der Journalist Raphael Honigstein während der vergangenen fast neun Jahre regelmäßig über Jürgen Klopp und den FC Liverpool berichtet, häufig mit Einblendungen vom Spielfeldrand. Im Interview mit dem kicker spricht er über seine Erfahrungen.

Herr Honigstein, warum ist es so spannend, Jürgen Klopp nach dem Spielende zu interviewen?

Weil es immer extrem aufschlussreich ist. Klopp braucht nur einen kleinen Anstupser, dann erzählt er sehr detailliert das Spiel nach und liefert dazu gerne ein paar taktische Beobachtungen mit. Er wird meist verkannt: Klopp kommt als Trainer nicht nur über Emotionen, sondern auch über sehr genaue Analysen. Es ist schon ungewöhnlich, dass man kurz nach Schlusspfiff regelmäßig so viel von seinem Gesprächspartner erfährt.

Es heißt, alle guten Trainer müssen schlechte Verlierer sein. Wie ordnen Sie diesen Kontext bei Klopp ein, auch in Interviews?

Klopp ist im Grunde ein sehr guter Verlierer, weil er Niederlagen extrem gut wegstecken kann. Aber kurz nach Spielende ist der Frust sehr groß. Im einen oder anderen Fall lässt er das auch schon mal an Journalisten aus. Hinterher tut ihm das oft auch leid. Was hilft, ist ein bisschen Sensibilität als Fragesteller.

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Heißt?

Dass er auch nach Niederlagen sehr sachlich und ehrlich analysieren kann. Wenn man in der Frage aber schon die Bewertung vorwegnimmt, im Sinne von "Das reicht nicht" oder "Liverpool ist jetzt weg vom Fenster", dann wird es schwierig. Klopp wehrt sich, wenn er das Gefühl hat, dass von außen grundsätzliche Debatten oder Zweifel an seinen Methoden in die Mannschaft getragen werden könnten. Ganz unabhängig von den Medien: Er ist sicher nicht immer der "liebe Kloppo", der alle in den Arm nimmt, sondern legt klare Verhaltensregeln fest. Du kannst nur Teil der Familie sein, du kannst nur umarmt werden, wenn du aus innerer Überzeugung an das Ganze glaubst und deinen Teil beiträgst. Intern knallt es dann auch mal.

Er sucht sich seine Klubs nicht nach soziologischen Kriterien aus.

Raphael Honigstein

Ihr Buch, das Sie über ihn geschrieben haben, heißt ja auch so. Der Titel zitiert Klopp: "Ich mag, wenn’s kracht". Warum mag er das?

Das bezieht sich komplett auf den Fußball, die Art und Weise, wie er spielen lässt. Diese Intensität lebt auch von der Wechselwirkung mit dem Publikum. Das Buch habe ich über ihn geschrieben, nicht mit ihm. Aber er hat mir bei der Recherche keine Türen verschlossen. Tatsächlich war es schwer, Leute zu finden, die eine negative Meinung von ihm hatten.

Es wirkte wie eine Mischung aus Selbsteinschätzung und Kokettieren, als Klopp sich 2015 als "Normal One" vorstellte. War er das rückblickend wirklich?

Ja, aber da steckt auch feine Selbstironie drin. Er ist in Liverpool so beliebt, weil man ihn in der Nähe seines Hauses im Pub ansprechen kann, weil man ihn mit seinem Hund beim Spaziergang trifft. Er hat ein Gespür und Gehör für die Gefühle und Probleme der Leute und hat während der Corona-Zeit sich auch finanziell um viele Bedürftige gekümmert. Er gibt ihnen das Gefühl, einer von ihnen zu sein, und die Leute fühlen sich verstanden - diese Art des "Normal-Seins" macht ihn so besonders. Einer seiner Trümpfe ist auch, Dinge mit Humor aufzulösen.

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Klientel und Menschenschlag sind sich im Ruhrgebiet und am Mersey zumindest ähnlich. Braucht Klopp genau dieses Umfeld, um erfolgreich zu sein, oder würde seine Art auch bei einem anderen Typus Mensch funktionieren?

Er ist als Trainer so gut, intelligent und anpassungsfähig, dass er überall arbeiten könnte, er sucht sich seine Klubs nicht nach soziologischen Kriterien aus. Das ist ja auch Teil der Arbeit, des Handwerks: zu schauen, was braucht es, damit eine Stadt "brennt".

Es wird etwas kommen, was ihn reizt. Das kann durchaus die Nationalmannschaft sein, das kann irgendwann auch der FC Bayern sein.

Raphael Honigstein

Jetzt lassen wir ihn, wie er es sagte, erst mal bis 2025 pausieren. Wo sehen Sie ihn danach, wann auch immer?

Vielleicht macht er auch mal drei Jahre gar nichts.

Oder hört er komplett auf?

Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Es wird etwas kommen, was ihn reizt. Das kann durchaus die Nationalmannschaft sein, das kann irgendwann auch der FC Bayern sein. Weil, wie gesagt, er überall funktionieren würde, inklusive München. Auch in Liverpool hat er Ratschläge angenommen wie von Michael Edwards nicht Julian Brandt, sondern Mo Salah zu holen (Edwards war Sportdirektor des FC Liverpool, kehrt nun mit erweiterten Kompetenzen im Fußballbetrieb der Fenway Sports Group zurück; Anm. d. Red.).

Liverpool, Jürgen Klopp

Der wohl größte Erfolg in der Zeit von Jürgen Klopp beim FC Liverpool: der Gewinn der Champions League im Jahr 2019. imago images/Shutterstock

Wenn wir es mal aus Sicht des Klubs betrachten: Klopp hinterlässt eine große Lücke in Liverpool, es gab Tränen. Aber ist seine Entscheidung nicht auch eine Chance für den FC Liverpool, weil sich gewisse Dinge nach neun Jahren einfach abschleifen müssen?

Jeder Wechsel bietet eine Chance. Edwards kommt als neuer starker Mann. Andererseits hat Klopp bewiesen, wie viel Kraft dieses trainerzentrische System entwickeln kann, wenn da der Richtige als Gesicht des Klubs auf der Bank sitzt. Die Mannschaft ist so aufgebaut, dass sie auf Jahre konkurrenzfähig sein sollte. Anderseits fragt man sich, ob Liverpool, ob diese Spieler auch ohne Klopp derart stark performen werden.

Wie schafft es ein Journalist, wie schaffen Sie es, dass Sie auch beim Menschenfänger Klopp nicht ihre Objektivität ihm gegenüber verlieren?

Die absolute Objektivität gibt es natürlich nicht. Jeder mag bestimmte Vereine, Trainer oder auch Spielweisen. Entscheidend ist Fairness - dass gewisse Sympathien oder Vorlieben nicht das Urteilsvermögen trüben.

Wie hat es Klopp geschafft, alle Spieler mitzunehmen, dass auch noch die Nummer 19 im Kader für ihn durchs Feuer geht?

Weil er jeden spüren lässt, dass er wichtig für das Große und Ganze ist. Er hat zum Beispiel 2015 dafür gesorgt, dass sich alle Spieler bei den Mitarbeitern des Trainingszentrums in Melwood persönlich vorstellen. Es geht um Wertschätzung, um Anerkennung. Klopp umarmt keinen, der ständig etwas falsch macht. Aber er ist für Spieler berechenbar und vor allem: ehrlich. Sie wissen bei ihm immer, woran sie sind.

Dieses Interview erschien erstmals in der kicker-Ausgabe vom 6. Mai

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