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Kampf an drei Fronten: Flick gefordert wie nie

Die DFB-Elf zwischen schonungsloser Aussprache und Spanien

Kampf an drei Fronten: Flick gefordert wie nie

Bundestrainer Hansi Flick fordert Mut von seinem Team.

Bundestrainer Hansi Flick fordert Mut von seinem Team. IMAGO/Ulmer/Teamfoto

Aus Katar berichtet Oliver Hartmann

Was passiert gerade hinter den Absperrungen des Zulal Wellness Resorts? Wie arbeiten die Fehlstarter ihre Auftaktpleite auf? Wie soll gegen Spanien der vorzeitige Turnier-Knockout verhindert werden und der Befreiungsschlag gelingen? Fußball-Deutschland, sofern es entgegen der allgemeinen WM-Verweigerungshaltung am Abschneiden seiner Nationalmannschaft interessiert ist, stellt sich nach dem ernüchternden 1:2 gegen Japan viele bange Fragen.

Im Zentrum all dieser Fragen und Diskussionen steht ein Mann, der in den vergangenen gut 15 Monaten zum größten Hoffnungsträger für ein erfolgreiches WM-Abschneiden avancierte: Hansi Flick. Der 57-jährige Fußballlehrer ist dieser Tage als Krisenmanager und damit in einer Rolle gefragt, die er weder aus seiner mit sieben Titeln geschmückten Zeit beim FC Bayern noch in seinen bisherigen Monaten als Bundestrainer kennt. Im vorzeitigen Endspiel gegen Spanien um den weiteren Verbleib im Turnier geht es nicht darum, etwas zu gewinnen- sondern darum, extrem viel verlieren zu können. Es geht um nicht weniger als darum, einen historischen Absturz zu vermeiden.

Spannungen, Stressresistenz, Matchplan

Flick ist dabei an gleich drei Fronten gefordert: Er muss die inneren Spannungen moderieren, die sich durch die ganz und gar selbstverschuldete Niederlage gegen Japan quer durch die Mannschaft aufgebaut haben. Er muss aus seinem 26er-Kader jene Elf herausfiltern, die für diese extreme Drucksituation am Sonntag über die nötige Stressresistenz verfügt. Und er muss einen Matchplan entwerfen, mit dem er die individuell besser besetzten und obendrein nach dem 7:0 gegen Costa Rica vor Selbstvertrauen strotzenden Spanier einbremsen kann.

Wie schwer allein schon diese letzte Aufgabe ist, zeigt der Blick ins Geschichtsbuch. In den letzten 20 Jahren hat eine deutsche Elf bei sieben Versuchen nur einmal gegen Spanien gewonnen: Beim 1:0 am 18. November 2014, als sie als frischgebackener Weltmeister nach Vigo flog und auf einen Gastgeber traf, der in Brasilien in der Vorrunde ausgeschieden und entsprechend moralisch am Boden war.

In der Wellness-Oase hat es ordentlich gerappelt

Inzwischen sind die Vorzeichen andere, die Kräfteverhältnisse haben sich verschoben. Das Ziel sei, "die Mannschaft so hinzukriegen, dass sie daran glaubt, das Ding noch in die richtige Richtung schieben zu können", sagt Flick. Er weiß um die enorme Herausforderung an seine Person. Die von ihm am Donnerstagnachmittag, keine 24 Stunden nach der Japan-Pleite, anberaumte Aussprache diente in erster Linie der Bereinigung des Binnenklimas.

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Die teilweise ebenso schonungslose wie inhaltlich berechtigte Kritik, die am Vorabend von Führungsspielern wie Manuel Neuer, Joshua Kimmich und vor allem Ilkay Gündogan öffentlich geäußert worden war, artikulierten die Routiniers in diesem ungewohnt langen Meeting auch intern. Und addiert man die Aussagen der Beteiligten, dann hat es dabei in der Wellness-Oase ordentlich gerappelt. Auch Flick habe, so betonen die Beteiligten, unverblümt und schonungslos die Defizite angesprochen: Mangelnde Wehrhaftigkeit in der Defensive, fehlende Entschlossenheit vor des Gegners Tor, zu wenig Aggressivität und Geschlossenheit in allen Mannschaftsteilen.

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Eine derart schonungslose Aussprache nach einem solchen Niederschlag ist im Prinzip überhaupt nicht bedenklich, sondern angesichts der zuvor offenbarten Unzulänglichkeiten vielmehr eine Notwendigkeit - sofern daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden und eine Jetzt-erst-recht-Stimmung entsteht. Ob das tatsächlich der Fall ist, wird sich am Sonntagabend zeigen, ebenso, welche Lehren Flick aus seinen missglückten Personalentscheidungen im Japan-Spiel zieht.

Niklas Süle als Rechtsverteidiger wird der Bundestrainer wohl kein zweites Mal aufbieten, ihn stattdessen für den aktuell arg fehlerhaften Nico Schlotterbeck in die Innenverteidigung ziehen. Auf der Doppelsechs wird er aller Voraussicht nach an Joshua Kimmich festhalten, mit einer Versetzung des Münchners auf die Position des Rechtsverteidigers würde er von grundsätzlichen Positionen abrücken und ein Novum in seiner Amtszeit als Bundestrainer schaffen.

Es geht darum, den Mut zu haben, sich zu zeigen.

Hansi Flick

Und wie verfahren mit Ilkay Gündogan und Leon Goretzka? Wenn Stressresistenz und Erfahrung eine elementare Rolle spielen, muss Flick für beide einen Platz in der Elf finden. Allerdings machten diese zwei Mittelfeldspieler zuletzt nicht den Eindruck, dass sie besonders gut harmonieren. Die richtige Mischung finden muss Flick vor allem für die vier Offensiv-Positionen, auf denen sich einzig Thomas Müller und Jamal Musiala gegen Japan für eine Wiederwahl empfahlen.

Wichtiger als einzelne Personalentscheidungen freilich wird der Teamspirit am Sonntag sein. Das von Gündogan monierte Versteckspiel auf dem Platz darf sich die deutsche Delegation kein zweites Mal leisten. Das forderte auch Flick in der internen Krisensitzung unmissverständlich. Die Botschaft des Bundestrainers lautet: "Es geht darum, den Mut zu haben, sich zu zeigen." Er muss die Mutigen in seinem Kader finden.

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