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Jens Petter Hauge im Interview über Milan, Haaland und Ibra

Norwegens nächster Youngster im kicker-Gespräch

Italienisch für Anfänger: Wie Haaland-Kumpel Hauge bei Milan landete

Empfahl sich mit Bodö (re.) für Milan: Shootingstar Jens Petter Hauge.

Empfahl sich mit Bodö (re.) für Milan: Shootingstar Jens Petter Hauge. Getty Images/imago images

Ein Heft, ein College-Block, ein Kugelschreiber und ein Paar Kopfhörer. Mehr braucht Jens Petter Hauge auf dem Rückflug von Prag nach Mailand nicht, um seinen Siegtreffer im abschließenden Europa-League-Gruppenspiel zu feiern, der Milan Platz eins bescherte.

Während der Großteil der Teamkollegen langsam die Äuglein schließt, schlägt Hauge nach Mitternacht sein Wörterbuch auf und lernt Italienisch. "Zwischen dem Spiel am Abend und dem Training am Morgen blieb nicht viel Zeit", erinnert er sich im Interview mit dem kicker. "Deshalb war es ein guter Zeitpunkt." Trotz des Lärms von außen und der Müdigkeit nach 89 aufreibenden Minuten.

Aber so laufen die ersten Monate von Jens Petter Hauge in Mailand. Ein bisschen seltsam und nicht immer nach Plan. Dass er überhaupt gerade das Milan-Shirt trägt und mit seinen langen blonden Haaren in die Kamera grinst, entbehrt fast einer kleinen Märchenstunde.

Hauge erklärte live im TV, dass er nicht nach Brügge wollte

Im Juli 2020 hatten Hauge und sein Team, FK Bodö/Glimt, beschlossen, die norwegische Eliteserien auf links zu drehen und zehn der ersten zehn Saisonspiele zu gewinnen, Hauge traf sechsmal und bereitete sechs Tore vor. Und nach dem 3:1 gegen das große Molde erklärte Hauge live im TV, dass er gerade ein Angebot von Cercle Brügge abgelehnt hatte.

Jens Petter Hauge im Gespräch

Jens Petter Hauge im Gespräch mit dem kicker. kicker

"Bodö und Brügge hatten sich auf eine Summe geeinigt, und der Verein war glücklich", sagt Hauge heute. "Aber ich habe das abgelehnt, weil wir (sein Berater und er, d. Red.) gesehen haben, dass es noch viele Optionen gab."

Er blieb in Bodö, der kleinen Stadt im nördlichsten Norwegen, wo er aufgewachsen war und das Fußballspielen gelernt hatte. "Damals habe ich überhaupt nicht über Scouts oder eine Profi-Karriere nachgedacht, sondern einfach nur die Zeit mit meinen Freunden auf dem Fußballplatz genossen."

Mit 16 unterschrieb er seinen ersten Profi-Vertrag bei Bodö/Glimt, das damals eine graue Maus in der ersten Liga war und am Ende der Saison sogar abstieg. In der zweiten Liga erkämpfte sich der 17-Jährige einen Stammplatz und glänzte auf der linken Außenbahn als Vorbereiter, mit Technik und mit Schnelligkeit. Bodö stieg auf, wurde erst Elfter, im Jahr darauf Zweiter und war nun drauf und dran, den ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte einzufahren. "Es war eine spezielle Phase", sagt Hauge, der bald ein ganz besonderes Bewerbungsschreiben aufsetzte.

Es war fast ein bisschen seltsam.

Hauge über seine ersten Tage in Mailand

In der Europa-League-Qualifikation hatte Bodö bereits Kauno Zalgiris und Zalgiris Vilnius aus Litauen ausgeschaltet und traf nun auf das große Milan. Ein Sieg, und die Stadt, in der die Einwohner ihr Leben mehr dem Fisch als dem Fußball widmen, würde europäischen Fußball vor ihrer Haustür sehen.

Die Erfolgswelle verließ Bodö auch in San Siro nicht, wo Top-Torjäger Kasper Junker den Außenseiter auf Vorlage von Hauge in Führung brachte. Milan schlug umgehend zurück, drehte das Spiel durch einen Doppelpack von Hakan Calhanoglu und das erste Profi-Tor des 18-jährigen Lorenzo Colombo. Bodö blieb hartnäckig und kam durch ein Traumtor von Hauge wieder ran, zog am Ende aber knapp den Kürzeren.

Hauges Bewerbungsschreiben in Mailand

Ein Tor, eine Vorlage: Hauges Bewerbungsschreiben in Mailand. imago images

"Nach dem Spiel", grinst Hauge, "ging alles ganz schnell." Milan gefiel der Auftritt so sehr, dass der runderneuerte Traditionsklub ein Angebot nach Norwegen schickte, das Bodö nicht ablehnen konnte. Und Hauge erst recht nicht. "Ich musste nicht zweimal darüber nachdenken. Wenn ein Klub wie Milan dir ein Angebot macht, musst du es annehmen."

Die fünf Millionen Euro, die Bodö für Hauge erhielt, bedeuteten einen neuen Rekord in Norwegen. "Ich wollte dem Verein, der mir diese Chance überhaupt erst ermöglicht hatte, unbedingt etwas zurückgeben. Sie haben damals, als ich noch ganz jung war, an mich geglaubt und mir eine Chance gegeben. Deshalb bin ich einfach nur glücklich, dass Bodö so viel Geld für mich bekommen hat."

Die Umstellung von Polarlichtern auf Millionenmetropole verlief holprig, doch viel Zeit zum Nachdenken blieb Hauge sowieso nicht. Schon drei Tage nach der Unterschrift bei Milan warf Trainer Stefano Pioli seinen jüngsten Neuzugang beim 3:0 gegen Spezia in der Schlussphase rein, kurz darauf ging es zum allerersten Mal zur norwegischen Nationalmannschaft. "Es war fast ein bisschen seltsam", schmunzelt Hauge, "weil ich, bevor ich mich überhaupt eingewöhnen konnte, direkt wieder wegmusste. Und nach den Länderspielen war auch in Italien wieder volles Programm angesagt mit Serie A und Europa League."

Auch Pioli fand schnell Gefallen an Hauge, obwohl der nun 21-Jährige mit so vielen Einsätzen gar nicht gerechnet hatte. "Ich wusste, dass es vielleicht etwas Zeit braucht, bevor ich regelmäßig spiele." Doch der durch Corona so enge Terminkalender kam dem Linksaußen zugute, in der Europa League traf er bei seinem Debüt in Glasgow und auch im Rückspiel. Und in Prag. "Ist doch schön", findet Hauge, der am 8. Spieltag in Neapel schließlich sein erstes Serie-A-Tor zum 3:1-Endstand bejubeln durfte.

Erst jetzt, Anfang Februar, blickt Hauge auf den ersten "ganzen" Monat in Milan zurück und ist "glücklich". "Es war am Anfang schwierig, mich einzugewöhnen. Aber langsam läuft es schon besser."

Hauge über Zlatan Ibrahimovic

"Er ist ein guter Kerl": Hauge über Zlatan Ibrahimovic. picture alliance

Ein Grund dafür ist auch Zlatan Ibrahimovic, der Hauge mit Ratschlägen zur Seite steht. "Selbst im Training stellt er sehr hohe Anforderungen. Es ist großartig, die Chance zu haben, jeden Tag von ihm zu lernen. Er spricht oft mit mir und gibt mir Tipps. Wie er spielt, wie wir spielen und wie ich spielen kann. Wie ich mit und ohne den Ball arbeite."

Die Mischung stimmt beim Tabellenführer der Serie A, der trotz Ibrahimovic, immerhin 18 Jahre älter als Hauge, den jüngsten Kader der Liga aufweist. "Das war einer der Gründe, warum ich mich für Milan entschieden habe", erklärt Hauge. "Weil es hier viele Jungs wie mich gibt, die noch ganz am Anfang ihrer Karriere stehen und jeden Tag besser werden wollen." Noch dazu "passt der Fußball, den wir spielen, perfekt zu mir: schnell, offensiv, dominant."

Hauge über Haaland, Ödegaard und Berge

"Viele junge Norweger", bilanziert er, "spielen gerade auf dem höchsten Niveau." Wie zum Beispiel Sander Berge bei Sheffield United, Martin Ödegaard beim FC Arsenal oder Erling Haaland in Dortmund. "Die Fans und die Medien sind sehr aufgeregt über diese neue Generation."

Erling Haaland und Jens Petter Hauge

Spielen seit Jahren Seite an Seite: Erling Haaland und Jens Petter Hauge. imago images

Auch Hauge hebt seinen neun Monate jüngeren Kumpel Haaland hervor. "Ich habe mit ihm in vielen U-Nationalmannschaften zusammengespielt und auch jetzt in der A-Mannschaft. Ich versuche, von ihm zu lernen, weil er so talentiert, aber trotzdem so bescheiden ist. Wie hart er jeden Tag arbeitet, ist vorbildlich. Ich versuche, wie er zu sein, er inspiriert mich. Und vor allem ist er ein Vorbild für so viele junge Spieler in Norwegen."

Hauge erinnert sich gerne daran, wie der "Hype" in Norwegen vor genau sechs Jahren angefangen hat, als der 16-jährige Ödegaard nach Madrid gewechselt war. "Es war verrückt, als er in Norwegen angefangen hat. Er hat mit 15 sein erstes Länderspiel gemacht und war schon der beste Spieler der Liga." Und für Hauge - oder auch Haaland - ein Türöffner ins Geschäft der Großen.

Vorerst geht es für Hauge nun um weitere Einsätze für Milan. Und den Scudetto? "Eine gute Frage", sagt er zum Abschluss. "Nach den nächsten zehn oder 15 Spielen sprechen wir nochmal. Es ist möglich."

Mario Krischel