Int. Fußball

Der kleine AFC Wrexham und seine Bosse aus Hollywood

Wie der AFC Wrexham Fans aus der ganzen Welt anzieht

Hollywood in Wales: Fast alles nach Drehbuch

Eingeflogen: Wrexhams Vereinsbosse Rob McElhenney und Ryan Reynolds.

Eingeflogen: Wrexhams Vereinsbosse Rob McElhenney und Ryan Reynolds. Getty Images

Der große Cheeseburger für fünf Pfund, ein Hotdog kostet drei. Die Preise am Spieltag sind durchaus moderat in der Wiege des drittältesten Profifußballvereins der Welt. The Turf heißt der Pub, in dem 1864 einige Herren den AFC Wrexham gründeten, dessen Stadion heute gleich nebenan liegt. Mehr als 150 Jahre nahm außerhalb von Wales kaum jemand Notiz von dem Klub. Dann kamen zwei Schauspieler aus Hollywood, und plötzlich trinken vor Heimspielen Touristen aus aller Welt im Turf. Die Einheimischen sind zum Glück noch immer in der Überzahl.

Schließlich ist ihr Verein das Herz der ehemaligen Bergarbeiterstadt, in der die Arbeitslosigkeit hoch und der Lebensstandard niedrig ist. Obdachlosigkeit erkennen Besucher ebenso klar als Problem wie Drogen- und Alkoholmissbrauch. Die Spiele ihrer Mannschaft aber bringen die Menschen zusammen, dann ist der Stolz auf ihre darbende Heimat fast mit Händen zu greifen. Nur dank des Engagements und der Hingabe vieler Locals hat der Klub so lange überlebt.

Rekordpokalsieger in Wales

Der AFC Wrexham ist ja auch nicht irgendein Verein. 23-mal hat er den walisischen Pokal gewonnen und ist damit Rekordsieger. 1972 schaffte man es erstmals in den Europacup der Pokalsieger, vier Jahre später scheiterte Wrexham dort im Viertelfinale am späteren Sieger RSC Anderlecht. Von 1978 bis 1982 spielten die Red Dragons in der englischen 2. Liga, das war bislang das Höchste der Gefühle.

Jedenfalls sportlich gesehen. Wrexham und Hollywood haben also wenig gemeinsam. Und doch gingen die beiden während der Corona-Pandemie eine unwahrscheinliche Romanze ein. Der amerikanische Schauspieler Rob McElhenney lernte den Fußball während des Drehstops kennen, als sein englischer Kollege Humphrey Ker ihm die Doku-Serie "Sunderland ’til I die" gegen die Langeweile empfahl.

Spiele des AFC Wrexham

Viel Skepsis bei der Übernahme

McElhenney war derart begeistert von der Story, dass er umgehend einen angeschlagenen Klub übernehmen wollte. Ker sollte die Optionen prüfen, und am Ende kamen sie auf Wrexham mit seiner zumindest reichen Geschichte. Irgendwie überredeten sie mit Ryan Reynolds einen echten Hollywoodstar zum Einsteigen. Und sogleich war ein kongeniales Kumpelpaar geboren, das sich zuvor nie getroffen hatte.

Die Begeisterung in Wrexham aber hielt sich anfangs in Grenzen. Der Supporters’ Trust, seit 2011 Eigentümer des AFC, reagierte skeptisch auf all die Pläne und Versprechen aus Amerika. Mehrmals hatten windige Besitzer den Verein fast in den Ruin getrieben. Reynolds und McElhenney wurden stundenlang akribisch befragt, und im Februar 2021 wurde die Übernahme schließlich vollzogen. Natürlich im Turf, wo die neuen Eigner mit den Fans bei zu viel Bier, Gin und Shots feierten. Alles vor laufenden Kameras.

AFC Wrexham, Wales

Partystimmung: Die Wrexham-Fans bei der Aufstiegsfeier vor dem legendären Pub The Turf Getty Images

Dann ging es aber an die Arbeit. Weil die Tiefen des Sports dem Duo völlig fremd waren, trat der ehemalige Liverpool-CEO Peter Moore dem Vorstand als Berater bei, sein großer Erfahrungsschatz hilft enorm im Tagesgeschäft. Ker wurde als Geschäftsführer installiert, Trainer Dean Keates durch den aktuellen Coach Phil Parkinson ersetzt. Zahlreiche neue Spieler kamen, die Erwartungen stiegen.

"Wir wollen einfach nur gewinnen", erklärte McElhenney nach der Übernahme. "Wir sind auf lange Sicht dabei. Ich möchte, dass jeder, vor allem die Menschen in Nordwales, verstehen, dass ich alles geben werde, was ich bin und was ich kann, um Wrexham zu einer globalen Kraft zu machen."

Seit 2008 hatte der Klub in der 5. englischen Liga gespielt, also außerhalb der Profiligen. Für den geplanten Aufstieg wurde Paul Mullin von Drittligist Cambridge United gekauft, und der Stürmer lieferte sofort. 79 Tore schoss er in zwei Jahren in allen Wettbewerben. Die erste Saison endete 2022 zwar noch mit Tränen in den Play-offs, doch in diesem Frühjahr gelang der Sprung als Meister in die League Two, die vierthöchste Spielklasse in England.

Und immer laufen die Kameras

Rohe Emotionen brachen sich bei der Party Bahn, und Reynolds sprach von einem "ganz besonderen Geschenk in meinem Leben". Hollywood wäre nicht die berühmte Traumfabrik, wenn all das sich irgendwo ganz verschwiegen im Norden von Wales abgespielt hätte. Von Anfang an begleiten Kameras den Werdegang für die Dokuserie "Welcome to Wrexham" beim Streamingdienst von Disney.

Die ersten 18 Folgen hatten den Klub urplötzlich zu einem globalen Phänomen gemacht, seit September wird die zweite Staffel gedreht. Wenn zuvor die Kreuzfahrtpassagiere in Liverpool ausstiegen und vor allem ins Beatles Museum und nach Anfield pilgerten, lassen sich nun immer mehr die gut 40 Kilometer hinunter nach Wrexham chauffieren, um ein Pint im legendären Turf zu trinken.

Während das Drehbuch der Serie nur zu gern eine romantische Underdog-Geschichte erzählen will, ist die Realität, dass Wrexham seine Rivalen finanziell einfach aus dem Wasser geblasen hat, um nach oben zu kommen. Die Investitionen der Eigentümer zusammen mit namhaften Sponsoren, die von ihrem neu gewonnenen internationalen Status angezogen wurden, haben die finanzielle Struktur des Vereins komplett verändert.

Nationalspieler in der 4. Liga

Und natürlich auch die Mannschaft. Steven Fletcher ist zwar schon 36 Jahre alt, stürmte aber lange in der Premier League und für die schottische Nationalmannschaft. Auch Mittelfeldmann James McClean (34) spielte früher im Oberhaus, und Arthur Okonkwo ist ein 22 Jahre altes Torwarttalent, das vom FC Arsenal ausgeliehen ist und vor einem halben Jahr mit Sturm Graz den Pokal in Österreich gewonnen hat. Der Aufstieg war noch mit Ben Foster im Tor gelungen, früher unter anderem bei Manchester United.

AFC Wrexham, Wales

Treffer, versenkt: Elliott Lee (vorne) und seine Kollegen vom AFC Wrexham beim Torjubel Getty Images

Mit diesem Team steht Wrexham nun auch in der 4. Liga gleich wieder auf einem direkten Aufstiegsplatz. "Ich werde nicht zu viel Schlaf verlieren, wenn die Leute sagen: Oh, das ist das Spielzeug eines Amerikaners", sagt Geschäftsführer Ker mit Blick auf die neidische Konkurrenz aus der Liga. Die "Financial Times" enthüllte, dass der AFC Wrexham im vergangenen Jahr ein Defizit von fast drei Millionen Pfund aufwies, doch bislang sind die Grenzen des Financial Fairplay nicht erreicht.

Innerorts wird die Kritik an dem Projekt ohnehin nur milde formuliert, etwa, dass die Dauerkarten teurer wurden, während es zugleich spezielle Kontingente für internationale Touristen gibt. Und nicht allen gefällt die Inszenierung ihrer teils prekären Lebensumstände für die Streamingkundschaft.

Ein Stadion mit über 200 Jahren Geschichte

Die plötzlich weltweite Bekanntheit durch die TV-Präsenz aber ist für alle auch ein völlig neues Gefühl. Reynolds und McElhenney schweben außerdem regelmäßig mit Promi-Freunden über den Atlantik zu den Spielen im Racecourse Ground, einem ikonischen Stadion mit gut 15.000 Plätzen, das bereits 1807 als Pferderennbahn eröffnet wurde und heute die wohl älteste Arena der Welt ist, in der noch immer Länderspiele stattfinden.

Wrexham, Wales, Racecourse Ground

Ehrwürdig: Das Stadion von Wrexham wurde bereits 1807 als Pferderennbahn eröffnet. Getty Images

Die neuen Bosse haben dem Stadion zwar aus Sponsorengründen den Namen SToK Cae Ras verpasst, aber sie haben nicht die Absicht, diese spirituelle Heimat zu verlassen. Stattdessen investieren sie in neue Tribünen, um die Kapazität zu erhöhen.

Tests in den USA gegen ManUnited und Chelsea

Schließlich sind die Spiele ständig ausverkauft. Um die nächste Stufe zu erreichen, ist Expansion entscheidend. Das Frauenteam spielt bereits in der ersten walisischen Liga und kämpft um einen Platz in der Champions League. Die Männermannschaft reiste im Sommer in die USA und trat dort gegen Manchester United (3:1!) und Chelsea (0:5) an.

Nicht nur in den Vereinigten Staaten ist das Interesse an dem kultigen Klub mit seinen Fans und ihrem rätselhaften Walisisch ungebrochen. Von den weit mehr als 10.000 verkauften Trikots werden die allermeisten ins Ausland geliefert. Bei Instagram folgen dem Verein über 1,1 Millionen Menschen, das sind mehr Follower als bei einem Drittel der Premier-League-Klubs. Dennoch ist der AFC Wrexham bemüht, seine Wurzeln nicht zu vergessen. Reynolds und McElhenney unterstützen allerlei Wohltätigkeitsorganisationen. Die Bindung zur Stadt und ihren Menschen ist für sie wichtig, wenn das schnell wachsende Projekt ein langfristiger Erfolg werden soll.

Die Kluft zwischen Wahrheit und Fiktion aber wird sie begleiten, zumindest laut Drehbuch.

Martin Gruener, Mark Pittman