Wintersport

Karl Geiger: "Können Skispringen auch ohne Schnee anbieten"

Drei Medaillen bei Olympia

Geiger: "Wir können Skispringen auch ohne Schnee anbieten"

Karl Geiger hofft auf einen deutschen Vierschanzentournee-Sieg.

Karl Geiger hofft auf einen deutschen Vierschanzentournee-Sieg. picture alliance/dpa

Die Skispringer landen bei ihrem ungewöhnlich frühen Weltcup-Saisonstart in dieser Saison im polnischen Wisla (4. bis 6. November) erstmals auf Matten. Vorflieger Karl Geiger erklärt, was das mit der Klimaerwärmung und dem Ukraine-Krieg zu tun hat. Und ob die Herren der Lüfte künftig ganz ohne Schnee fliegen könnten.

Die Saison beginnt in diesem Jahr so früh wie nie zuvor - auch wegen der Fußball-WM im Winter. Ihr Teamkollege Markus Eisenbichler hat das kritisiert. Wie ist Ihre Meinung, Herr Geiger?

Das ist zwar nicht ideal, aber die Fußballer würden ihre WM sicher auch lieber nicht im Winter durchziehen. Wir müssen uns wegen der Fernsehzeiten ein Stück nach dieser WM richten, aber das ist wegen der Bedeutung des Fußballs ja auch logisch. Natürlich würde ich lieber immer im tiefsten Winter springen, aber ich sehe den frühen Saisonstart auch als Chance. Schließlich landen wir das erste Mal bei einem Winter-Weltcup auf Matten. Das ist ein Feldversuch in Zeiten von Klimaerwärmung und Energiekrise. Schließlich können wir zeigen, dass wir es auch ohne Schnee können.

Sie haben die Energiekrise angesprochen. Ist es noch zeitgemäß, wenn ein Skispringen unter Flutlicht stattfindet und Kunstschnee dafür produziert werden muss, wenn die Menschen daheim gleichzeitig zum Energiesparen aufgefordert werden?

Natürlich ist jeder gefragt, Energie einzusparen. Und auch der Internationale Skiverband FIS ist gefordert, entsprechende Konzepte dafür auf den Weg zu bringen. Aber die Menschen sollten nicht sofort schimpfen und ein Springen unter Flutlicht verteufeln. Wenn andere Menschen auf Arbeit gehen, ist die Halle oder der Raum dort ja auch beleuchtet und beheizt. Optimal wäre es, wenn der Schnee und das Flutlicht für unsere Springen nur mit erneuerbaren Energien produziert würden.

Können Sie sich vorstellen, dass auch ein Springen bei der Vierschanzentournee ohne Schnee auf dem Aufsprunghang über die Bühne gehen könnte?

Ganz ehrlich: Das könnte ich mir schwer vorstellen. Da hätte ich mit Sicherheit melancholische Gefühle, weil zu diesem Traditionsevent zum Jahreswechsel ganz einfach Schnee gehört. Außerdem wäre es nicht so einfach, das Ganze auf Matten durchzuziehen. Wenn man die Schanze wintertauglich macht, werden Netze über die Matten gespannt und das Wasser wegen der Frostgefahr abgestellt. Wenn man das nicht tut und es schneit dann, sammelt sich der ganze Schnee im Auslauf und es wäre schwer, die Schanze dann sprungfertig zu bekommen.

Aber generell wären Skisprung-Weltcups im Winter ohne Schnee mit Blick auf Klimasituation und Energiekrise schon eine grundlegende Option …

Definitiv. Es kommt natürlich auch drauf an, wie es vom Publikum an den Schanzen und im Fernsehen angenommen wird. Skispringen hat einen riesigen Vorteil gegenüber anderen Wintersportarten: Wir können exakt das gleiche Produkt auch ohne Schnee anbieten. Nur der Aufsprunghang ist grün statt weiß. Das Material von Ski über Anzug bis zu Sprungschuhen ist absolut gleich.

Es gab vor der Saison wieder einmal Regeländerungen in Sachen Material. Wie wirkt sich das aus?

Ich sehe keinen gravierenden Unterschied beim Springen und komme gut damit zurecht. Durch Veränderungen in der Durchlässigkeit und der Passform des Anzugs hat man - vereinfacht gesagt - am Körper mehr Auftrieb in der Luft und am Schritt weniger Auftrieb.

Die Disqualifikation in Peking: "Das war eine unglaubliche Ohrfeige."

Karl Geiger

Diese Veränderungen waren auch ein Resultat des Skandals beim olympischen Mixed-Teamspringen in Peking. Haben Sie die bittere Disqualifikation Ihrer Teamkollegin Katharina Althaus und die damit verpasste Medaillenchance inzwischen verkraftet?

Zu dem Zeitpunkt war das eine unglaubliche Ohrfeige. Der schlimmste Moment für so etwas. Ich habe die bittere Pille aber inzwischen geschluckt. Und hoffe einfach, dass so etwas nie wieder vorkommt und dem Skispringen kein weiterer Image-Schaden zugefügt wird. Menschen machen zwar Fehler, aber so viele auf einmal sollte es eigentlich nicht geben. Ich blicke trotzdem positiv nach vorn und denke, dass es gut aufgearbeitet wurde. Wir haben einen neuen verantwortlichen Material-Kontrolleur. Eine angenehme Person mit gesundem Menschenverstand. Er verschont niemanden, aber versucht es wirklich fair für alle zu machen.

Im vorigen Winter waren Sie als doppelter Olympia-Bronzegewinner und Zweiter im Gesamtweltcup stark unterwegs, aber der große Titel hat gefehlt. Was sind die Ziele für diese Saison?

Vierschanzentournee, WM und Gesamtweltcup - es gibt wieder einige Highlights in diesem Winter. Da picke ich mir keins raus, weil man es ohnehin nicht planen kann. Ich muss immer auf höchstmöglichem Niveau springen. Denn wenn man sagt: "Am 12. Februar muss ich in Topform sein!", dann wird es definitiv nicht funktionieren.

Du musst das nötige Glück haben und es muss einfach mal flutschen.

Karl Geiger

Aber nach 21 Jahren als erster Deutscher wieder die Vierschanzentournee zu gewinnen, wäre ein spezieller Erfolg.

Das versuchen wir ja seit Jahren, und gefühlt waren wir mit verschiedenen Springern insgesamt schon zehnmal Zweiter. Es ist ja nicht so, dass wir schlecht vorbereitet sind oder versagt haben. Zumindest einer von uns war ja immer vorn dabei, es hat halt nicht zum Gesamtsieg gereicht. Aber so was muss passieren. Du musst das nötige Glück haben und es muss einfach mal flutschen. Aber ich bin mir sicher: Irgendwann schlägt die Statistik zu und einer holt das Ding.

Ist der Vierschanzentournee-Sieg eigentlich ein Lebenstraum für Sie als Oberstdorfer, der das Auftaktspringen ja schon als Kind live an der Schanze miterlebt hat?

Ja, das ist schon ein Lebenstraum. Aber inzwischen ist es noch viel mehr ein Teamziel als ein individuelles Ziel von einzelnen Springern geworden. Wir wollen einfach alle, dass es einer schafft. Ich zumindest werde den Traum nie aufgeben, solange ich diesen Sport mache.

Die russischen Springer sind wegen des Ukraine-Kriegs auch kommenden Winter gesperrt. Finden Sie das richtig?

Ein sehr schwieriges Thema, ich bin da zwiegespalten. Ich habe mich mit den Springern aus Russland immer gut verstanden. Das sind sehr nette Leute. Sehr freundlich und höflich. Sportlich waren sie extrem im Kommen, dort hat sich etwas entwickelt. Natürlich tut es mir für die Sportler unglaublich leid. Sie haben nur ein paar Jahre, in denen sie im Sport erfolgreich sein können, und können jetzt nicht starten. Das ist sehr bitter. Grundsätzlich kann ich aber sehr wohl die Entscheidung der Weltverbände verstehen, dass der russische Einfall in die Ukraine Konsequenzen nach sich ziehen muss. Was in diesem Fall richtig oder falsch ist, kann ich schwer beurteilen.

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