Handball

Gaugisch im Interview: "Mein Familienleben findet momentan nur online statt"

Bundestrainer über intensive Zeit kurz vor der EM

Gaugisch im Interview: "Mein Familienleben findet momentan nur online statt"

Bundesliga- und Bundestrainer: Markus Gaugisch.

Bundesliga- und Bundestrainer: Markus Gaugisch. IMAGO/wolf-sportfoto

Guten Tag, Herr Gaugisch. In diesen Tagen sind Sie vielleicht mehr denn je als Pädagoge gefragt - Stichwort "Psychoterror im deutschen Frauenhandball". Haben Sie als Lehrer das richtige Rüstzeug oder hilft Ihnen das ehrlicherweise in der aktuellen Lage wenig weiter?

In meinem Beruf als Lehrer habe ich natürlich schon häufiger mit Gruppen Dinge aufgearbeitet. Die Aufarbeitung in diesem Fall liegt in den richtigen Händen. Wir versuchen hier in der Nationalmannschaft, die richtige Atmosphäre zu schaffen, die den Spielerinnen die Möglichkeit gibt, darüber zu sprechen, aber gleichzeitig auch zielorientiertes Arbeiten gewährleistet. Und da bin ich wirklich sehr zufrieden, wie die Mannschaft das macht: Wir sind im Austausch, wir sind offen, und wir versuchen natürlich, das unterstützend abzuarbeiten, sodass wir nach vorne schauen.

Wie nehmen Sie Ihre Mannschaft auf dem aktuellen Lehrgang in Großwallstadt sowohl sportlich als auch mental wahr?

Sehr gut! Ich komme gerade von einem intensiven Training, das sowohl körperlich 100 Prozent abgearbeitet wurde, aber auch von der Konzentration, vom Mentalen, vom Inhalt her kognitiv alles abverlangt hat. Ich bin super happy mit der Mannschaft und stolz, dass ich sie trainieren darf.

Die Familie nickt auch mal wohlwollend ab, wenn ich irgendwas verpenne.

Markus Gaugisch

Mit Belastungen sportlicher und terminlicher Natur kennen Sie sich bestens aus, seit April dieses Jahres schultern Sie die Doppelbelastung als Bundestrainer und Coach des erfolgreichsten Frauen-Bundesligisten der Neuzeit. Was machen Sie, um das Stresslevel dennoch im Rahmen zu halten?

Das ist nicht so einfach (lacht). Aber das wusste ich auch vorher. Es sind zwei überragende Jobs die ich habe, aber daraus ziehe ich auch viel Energie. Handball ist das, was mir am Herzen liegt und Spaß und Freude bereitet. Auf der anderen Seite versuche ich schon, immer mal wieder am Tag ein paar Minuten Auszeit zu nehmen, mich ein bisschen sportlich zu betätigen - das, was der Körper zulässt. Und frische Luft wäre mal ganz gut. Ich glaube, ich muss mir solche Räume schon einmal irgendwie in den Terminkalender eintragen, damit ich sie auch einhalte.

Was bedeutet diese intensive Zeit auch für das Familienleben mit zwei Kindern?

Das findet momentan nur online statt (lacht). Aber ich habe tolle Rückendeckung von zuhause. Die Familie nickt auch mal wohlwollend ab, wenn ich irgendwas verpenne oder nicht erledigt habe. Das liegt dann meistens daran, dass ich andere Dinge im Kopf hatte. Aber klar, so wie mir meine Frau und Kinder fehlen, wird es wahrscheinlich - oder hoffentlich (lacht) - auch andersrum sein. Aber wer im Leistungssport unterwegs ist, weiß, dass es solche Phasen gibt. Wir kriegen das gebacken.

Sie waren ja auch selbst Profi. Wenn Sie zurückdenken und einen Trainer herauspicken müssten: Wer hat Sie am meisten geprägt und warum?

Beim HBW Balingen-Weilstetten: Trainer Markus Gaugisch und Co-Trainer Eckard Nothdurft.

Beim HBW Balingen-Weilstetten: Trainer Markus Gaugisch und Co-Trainer Eckard Nothdurft. imago/Pressefoto Baumann

Ich hatte nicht so viele Trainer, weil ich während meiner aktiven Karriere bodenständiger Schwabe und bei nicht allzu vielen Vereinen war. Ich war neun Jahre Spieler von Rolf Brack und auch an der Uni bei ihm, von ihm habe ich sehr viel mitgenommen, was das taktische Verständnis angeht. Dann gab es noch Kurt Reusch, von dem ich mir sicherlich so ein bisschen die Art abgeschaut habe, wie man mit einer Mannschaft umgeht und wie man Spieler und jetzt auch Spielerinnen mitnimmt. Und zu guter Letzt war es noch Ecki Nothdurft, der mir ein Riesenrepertoire an Übungen mitgegeben hat. Ich habe mir von jedem Trainer kleine Stücke abgeschaut und für mich umgemünzt. 

Das scheint bestens funktioniert zu haben, denn mit Bietigheim haben Sie im vergangenen Jahr das Quadruple geholt, stehen in dieser Saison bereits wieder bei 8:0 Punkten und haben in der Champions League mit dem Heimsieg gegen Titelverteidiger Kristiansand ein dickes Ausrufezeichen gesetzt. Was ist das Erfolgsgeheimnis in Bietigheim?

Es gibt nicht das eine Rezept. Wir haben einen sehr guten Kader aus eigentlich durchweg Nationalspielerinnen, das muss man schon sagen. Aber individuelle Qualität macht noch keine erfolgreiche Mannschaft aus. Wir haben ein richtiges Team geformt, das die individuellen Bedürfnisse zum Teil zurückgeschoben und den Mannschaftserfolg in den Mittelpunkt gestellt hat. Das war eine herausragende Eigenschaft der Mannschaft. Und gleichzeitig einen wahnsinnigen Hunger auf Erfolg: Wir haben letztes Jahr im Schnitt mit 13 Toren gewonnen, die Mannschaft hat also immer bis zum Ende voll durchgezogen.

Meine taktische Perspektive bringe ich natürlich mit in die Nationalmannschaft.

Markus Gaugisch

Welche Erfolgsstrukturen und -Abläufe aus Bietigheim lassen sich leicht auf die Nationalmannschaft übertragen?

Meine taktische Perspektive bringe ich natürlich mit in die Nationalmannschaft. Die Bedingungen sind aber ganz andere: Wir haben nicht so viel Zeit, es sind immer nur eine Handvoll Trainingseinheiten. Insgesamt bin ich als Bundestrainer noch keine zehn Mal mit der Mannschaft in der Trainingshalle gestanden. Entsprechend hilft es, wenn wir viele Spielerinnen mit Erfahrung auf hohem Niveau haben, die schon internationale Erfolge gefeiert oder bereits Spiele auf internationalem Top-Niveau gemacht haben. Davon haben wir in Deutschland langsam ein paar. Ich hoffe, dass die Bundesligaspielerinnen langsam reinwachsen in diese Anforderungen, um dann ein schlagkräftiges Team hinzukriegen.

DHB-Präsident Andreas Michelmann hatte im April gesagt, dass Sie "treibende Kraft in der Reform des Frauenhandballs" sein sollen. Konnten Sie sich dahingehend überhaupt schon einbringen?

Ich versuche mich natürlich einzubringen, aber so ein Produkt wie den deutschen Frauenhandball kann man nicht von heute auf morgen "verändern". Das muss man ja auch nicht, aber wir wollen gemeinsam Wege finden, um es Stück für Stück nach vorne zu bringen. Etwa, indem man die individuelle Ausbildung der Spielerinnen vom Jugendbereich nach oben hin verändert und unterstützt, dass es letztendlich einen noch größeren Pool an top ausgebildeten Spielerinnen gibt. Ich versuche, vor allem in die Kommunikation zu gehen und bin bisher überall auf offene Ohren gestoßen.

Wie sehen Ihre Ideen aus?

Aktuell liegt die Konzentration auf dem Nationalmannschaftskader und dem Austausch mit den Vereinstrainern, um zu schauen, was die Spielerinnen im individuellen Bereich für die Nationalmannschaft einbringen müssen und wie die Vereinstrainer mich unterstützen können. Da geht es um Fragen wie: Können sie bestimmte Dinge im Training vertiefen? Können sie Ideen weitergeben? In den nächsten Jahren soll der Austausch dann bis in den Jugendbereich gehen: Was muss eine Spielerin können, um potentiell einmal Nationalspielerin zu werden? Was sind diese individuellen Qualitäten? Es geht darum, die Plattform an qualitativ hochwertiger Arbeit zu vergrößern, und dass möglichst viele in die gleiche Richtung gehen.

Es geht darum, dass der Schritt vom Jugend- in den Seniorinnenbereich adäquat begleitet wird.

Markus Gaugisch

Sie haben auch Einblick in die Jugendförderung beim DHB. Wie ist es Ihrer Meinung nach perspektivisch um den deutschen Handball bestellt?

Wir haben Spielerinnen, die in jungem Alter jetzt schon in der Bundesliga auch zum Teil tragende Rollen in ihren Vereinen spielen. Deshalb finde ich, dass da genug Potential vorhanden ist. Jetzt geht es darum, dass der Schritt vom Jugend- in den Seniorinnenbereich adäquat begleitet wird, aber das ist nicht so einfach, da die Strukturen und die Professionalisierung in der 1. und 2. Bundesliga noch am Wachsen sind. Es ist wichtig, dass die Spielerinnen den Wechsel auf hohem Niveau vollziehen können. Und nicht, dass sie aus dem Jugendbereich mit guten Strukturen, Verbandsförderung, Bundesförderung, Schulförderung kommen, wo sie viele Trainingseinheiten hatten, und dann auf einmal ihre Trainingshäufigkeit reduzieren müssen, weil die Vereine das nicht so anbieten. Das ist natürlich nicht der richtige Weg.

Das klingt nach viel Arbeit ...

Ja, natürlich (lacht). Aber das ist ja auch das Tolle. Es macht Spaß, wenn man sieht, dass Potentiale da sind.

EM-Vorrunde

Ein Blick in die nahe Zukunft: Was ist eine realistische Zielsetzung für die EM-Endrunde?

Wir wollen Spiele erreichen, die uns weiterbringen. Wir wollen so in die Hauptrunde einziehen, dass wir dann wirklich Spiele haben, in denen es um was geht. Da geht es dann um das Thema Crunchtime: Wie schaffen wir es, uns in diesen Highlightspielen, wenn es knapp ist kurz vor Schluss, weiterzuentwickeln, cool zu bleiben, unsere Ideen zu verfolgen? Es sollte unser erstes Ziel sein, die Vorrunde so abzuschließen, dass wir eine Aussicht auf solche Spiele haben, in denen dann wirklich die Möglichkeit besteht, den nächsten Schritt Richtung Finalwochenende in Ljubljana zu gehen. 

Wenn Sie sich mit dem DHB-Team für die Olympischen Sommerspiele 2024 qualifizieren, verlängert sich Ihr Vertrag automatisch bis April 2026. Das würde auch die Heim-WM 2025 implizieren. Was stimmt Sie optimistisch, dass das klappen wird?

Eigentlich jede Trainingseinheit. Ich habe ein gutes Gefühl, weil ich merke, dass hier wirklich gearbeitet wird an Zielen, und dass es für die Spielerinnen eine Ehre ist, diese Wege zu gehen. Das sind super Voraussetzungen, aber natürlich brauchen wir auch das Quäntchen Glück, was zum Beispiel Verletzungen zum falschen Zeitpunkt angeht. Es gibt im Sport keine Lebensversicherung, aber ein Weg, den man mit vollster Überzeugung geht, hilft.

Interview: Christina Flohr