Champions League

Real Madrid gegen Frankfurt: "Für uns waren das Götter in Weiß"

Als Eintracht Frankfurt 1960 auf Real Madrid traf

"Für uns waren das Götter in Weiß"

Fünfter Anlauf, fünfter Titel: Real Madrids "weißes Ballett".

Fünfter Anlauf, fünfter Titel: Real Madrids "weißes Ballett". imago images/United Archives International

Die älteren Semester unter den Eintracht-Fans werden im vergangenen Mai vielleicht mit einer gewissen Zuversicht in das Europa-League-Endspiel gegangen sein. Erst die Rangers - und dann womöglich Real Madrid, das zu diesem Zeitpunkt im Champions-League-Finale stand und ein solches bisher noch nicht verloren hat. Also alles noch mal wie 1960?

Damals hatte sich die SGE durch den Gewinn der deutschen Meisterschaft sogar für den Europapokal der Landesmeister qualifiziert, der der Vorläufer der heutigen Champions League war und bis dato in vier von vier Fällen nur von einer einzigen Mannschaft gewonnen wurde: Real Madrid. Dem "weißen Ballett".

Als sich die Eintracht im Frühjahr 1960 schließlich bis ins Halbfinale vorgespielt und die Rangers aus Glasgow in zwei Spielen spektakulär mit 6:1 und 6:3 besiegt hatte, standen den Frankfurtern alle Türen offen. Zumindest die ins Finale - ausgerechnet in Glasgow. Dort allerdings wartete das unvermeidliche Real Madrid. Und ein noch größeres Spektakel.

Hätte einer von ihnen zu mir gesagt, ich solle ihm die Tasche aus dem Bus holen - ich hätte es ohne zu zögern gemacht.

Eintracht-Stürmer Erwin Stein

Alfredo di Stefano, Ferenc Puskas, Francisco "Paco" Gento oder der Verteidiger José Santamaria, Spitzname: "die Wand". Eintracht Frankfurt hatte es, vor inoffiziell bis zu 140.000 Zuschauern im Hampden Park, auf die größte aller Bühnen geschafft. "Für uns waren das Götter in Weiß", erinnert sich Frankfurts Mittelstürmer Erwin Stein ehrfürchtig. "Hätte einer von ihnen zu mir gesagt, ich solle ihm die Tasche aus dem Bus holen - ich hätte es ohne zu zögern gemacht."

Ein Zitat, das Stein schon lange gebetsmühlenartig wiederholt. Weil in vielen Jahren und Jahrzehnten seit 1960 nicht nur das große Real immer wieder gefragt war, sondern auch Eintracht Frankfurt, das zum vielleicht legendärsten europäischen Endspiel ebenfalls beitrug. Am 18. Mai 1960 geht die SGE in Glasgow verdient in Führung, Stein legt Rechtsaußen Richard Kreß das 1:0 auf.

Der Spielbericht

Die Eintracht verliert, weil sie in Führung geht

Ein Tor "wie der Stich einer riesigen Biene", blickte die Wand Santamaria zum 60. Jahrestag in einem Interview mit dem "Guardian" zurück, sich für den frühen Rückstand immer noch dankbar zeigend. Ihre Führung sollte der Eintracht das Genick brechen. Denn anschließend wachten die alten Herren noch mal auf, die von vier Titeln in Serie womöglich schon ein wenig erfolgssatt geworden waren. "Don Alfredo" krempelte die Ärmel hoch - und seine Kollegen folgten.

Alfredo di Stefano

Das erste seiner drei Tore: Alfredo di Stefano (re.). imago stock&people

Angeführt von di Stefano und Puskas, die bereits 33 Jahre alt waren, führte das große Real sein unwiderstehliches Kombinationsspiel auf - während Gento auf dem linken Flügel olympische 100-Meter-Zeiten in den Rasen von Hampden zu stampfen schien, der bekanntlich so uneben war, dass man darauf gar nicht vernünftig Fußball spielen konnte. "Wenn dem wirklich so ist, dann weiß ich nicht, was diese Männer da gerade tun", schwärmte BBC-Kommentator Kenneth Wolstenholme.

Vor den TV-Geräten glaubte derweil wohl nicht nur der junge Bobby Charlton an "einen Schwindel", weil "ihre Spieler Dinge taten, die eigentlich nicht möglich sind". Und auch bei den Abertausenden im Stadion sollte diese königliche Mannschaft einen bleibenden Eindruck hinterlassen, etwa beim 18-jährigen Alex Ferguson. Eine Sternstunde des Vereinsfußballs.

Daran hatte auch eine mutige Eintracht ihren Anteil und am Ende immerhin drei Tore geschossen. Wie di Stefano. Puskas schoss sogar vier. 7:3, in europäischen Endspielen ist das bis heute der Tor-Rekord. Lange noch sollte die BBC Jahr für Jahr die vollen 90 Minuten zeigen, als die "Götter in Weiß" ihren letzten von fünf aufeinanderfolgenden Titeln gewannen. Ihren Schlusspunkt hatten sie dabei auch zu ihrem Höhepunkt gemacht. Und Eintracht Frankfurt war mittendrin - statt nur dabei. Ein guter Ansatz für Mittwoch.

Niklas Baumgart