kicker

Florian Klein: "Das Belgien-Spiel aufgeben? Das ist ganz sicher nicht Rangnick"

Der Servus-TV-Experte über Österreichs Ausfälle

Florian Klein: "Das Belgien-Spiel aufgeben? Das ist ganz sicher nicht Rangnick"

Florian Klein bezeichnet die Kadersituation im Nationalteam vor dem Belgien-Spiel als "richtig hartes Brett".

Florian Klein bezeichnet die Kadersituation im Nationalteam vor dem Belgien-Spiel als "richtig hartes Brett". GEPA pictures

Herr Klein, Sie waren beim wilden 4:4 in Belgien vor 13 Jahren dabei, haben Sie noch spezielle Erinnerungen daran?

Es war eines meiner ersten Länderspiele und wirklich ein komplett verrücktes Spiel, ohne dass ich mich jetzt noch genau an den Spielverlauf erinnern könnte.

EM-QUALIFIKATION

Und an einen jungen Belgier, der kurz vor Schluss eingewechselt wurde?

War Kevin De Bruyne damals schon dabei?

Nein, aber der erst 17-jährige Romelu Lukaku.

Ah, das hätte ich jetzt nicht am Schirm gehabt, obwohl ich weiß, dass ich einmal gegen ihn gespielt habe.

Ich hätte gehofft, Sie können mir sagen, warum er so schwer zu verteidigen ist. Ist es seine Masse, seine Wucht?

Das sind schon zwei wichtige Eigenschaften von ihm. Vor allem aber weiß er, wie er seine Masse einsetzen muss. Ich erinnere mich, ein Youtube-Video von Jamie Carragher mit ihm gesehen zu haben, in dem er zeigt, wie er sich durchsetzt, wie er sich den Verteidiger vom Leib hält, wie er einem einfach keine Chance gibt, an den Ball zu kommen. Natürlich hat er auch noch einen Wahnsinns-Schuss und eine großartige Technik. Er ist auf jeden Fall ein Stürmer, den man sich nur wünschen kann.

Er hält wie Marko Arnautovic bei 110 Länderspielen, nur hat er noch einmal 41 Tore mehr geschossen. Seine 77 Tore werden aktuell nur von Ronaldo und Lewandowski übertroffen…

Marko ist natürlich nicht der gleiche Spielertyp, aber ja, die Zahl ist schon ein Wahnsinn. Dabei denkt man gar nicht gleich an ihn, wenn man an eine Nummer 9 denkt. Da fallen einem ein Kane, ein Ronaldo, ein Lewandowski eher ein.

Arnautovic fehlt diesmal ebenso wie Alaba. Was wären Ihre Gedanken als Spieler gewesen, wenn Sie wüssten, dass zwei so wichtige Spieler ausfallen?

Kommt darauf an. Als Spieler, der immer am Feld ist, denkst du dir, "Schmarr’n, da fehlen uns diesmal gute Spieler". Wenn du durch solche Ausfälle in die Mannschaft rutschst, bist du überzeugt, dass du das genauso gut machen wirst. Was schon stimmt, ist, dass es ohne die beiden gegen Moldawien gar nicht geklappt hat. Aber das war ja eine komplett umgekrempelte Mannschaft.

Man versucht das herunterzuspielen, um nicht vorher schon ein Alibi für eine Niederlage zu geben, aber das ist ein richtig hartes Brett.

Florian Klein über die vielen Ausfälle für das Belgien-Spiel

Gegen Andorra und Estland hat’s auch nicht viel besser ausgesehen. Andererseits haben die beiden in den letzten 38 Spielen dreimal gefehlt, alle drei Spiele wurden gewonnen. Allerdings hießen die Gegner Aserbaidschan, Luxemburg und Griechenland.

Es war ja auch bei uns in der Qualifikation für Frankreich 2016 so, dass David Alaba, der damals schon unser Starspieler war, drei Spiele, darunter die beiden Russland-Begegnungen, ausgefallen ist, die wir dann trotzdem alle 1:0 gewonnen haben. Aber wenn jetzt auch noch Sabitzer, der ganz klar unser dritter Führungsspieler ist, und vielleicht auch noch Gregoritsch ausfallen, der in letzter Zeit unser Torjäger war, dann ist das schon ganz hart. Und Mwene. Und Posch. Man versucht das herunterzuspielen, um nicht vorher schon ein Alibi für eine Niederlage zu geben, aber das ist ein richtig hartes Brett.

Es würde jetzt gar nicht zu Ralf Rangnick passen, aber können Sie sich vorstellen, dass er in unserer Situation das Belgien-Spiel abschreibt und Kräfte schont, um dann in Aserbaidschan die fehlenden Punkte für das EM-Ticket zu holen?

Da muss ich lachen, weil das ist ganz sicher nicht er. Im Gegenteil, er wird drauflos spielen lassen und eher sogar noch mehr zeigen wollen, dass er’s trotzdem kann. Ich bin mir sicher, er spielt auf Sieg. Und wir haben ja eine Riesen-Qualität. Wir haben ja trotzdem einen Danso, einen Lienhart. Und man darf nicht vergessen, dass auch bei den Belgiern mit Courtois und De Bruyne zwei der besten Spieler der Welt fehlen.

Die Torschussstatistik der österreichischen Bundesliga

Eng wird’s auf den Außenverteidiger-Positionen, hat der Teamchef, mit dem Sie in Salzburg gearbeitet haben, noch nicht bei Ihnen nachgefragt? Warum tun wir uns gerade da so schwer, ist das ein strukturelles Problem?

Gemeldet hat er sich noch nicht, obwohl wir zwischendurch immer wieder Kontakt haben. Ungefähr drei Minuten könnt’ ich schon helfen (lacht). Bei der Position des Außenverteidigers kommen viele Aspekte zusammen. Deutschland hat ja seit Jahren das gleiche Problem. In der Ausbildung wird sehr viel Wert auf Technik und Dribbling gelegt. Die begabten Spieler spielen dann im Mittelfeld oder im Sturm. Wenn einer rechts oder links hinten spielen muss, ist er nicht sehr erfreut. Im Laufe der Zeit werden solche Spieler umfunktioniert, sie sind aber nicht auf dieser Postion ausgebildet. Und man muss sich ja nur anschauen, mit welchen Gegenspielern man es dann zu tun bekommt. Auf den Flügeln sind die schnellsten, quirligsten, trickreichsten Spieler zu finden, trotzdem musst du offensiv auch etwas machen und bist auch noch limitiert durch die Outline. Das ist also wirklich eine anspruchsvolle Position geworden.

Wer ins Team will, wird sich im Ausland beweisen müssen.

Florian Klein über Spieler der österreichischen Bundesliga

Würde Ihnen noch ein Außenverteidiger einfallen? Kommen Trimmel und Auer zurecht nicht infrage?

Trimmel hat wie Ulmer jetzt auch schon ein gewisses Alter, spielt bei Union nicht mehr alles. Wöber kann für einen Innenverteidiger auch gut auf der Außenbahn spielen, weil er einen guten Linken hat, aber er ist trotzdem ein IV. Und für Spieler aus der österreichischen Liga ist es schon unglaublich schwer, da mitzuhalten. Das hat man zuletzt bei Schnegg gesehen, den ich aber deshalb nicht abschreiben würde, auch wenn es mit der Kritik nach dem Spiel ein bisschen unglücklich gelaufen ist. Aber wer ins Team will, wird sich im Ausland beweisen müssen.

ÖSTERREICH - BELGIEN

Ist das heutige Team noch weiter als die Koller-Truppe mit der Sie 2016 die EM-Qualifikation geschafft haben?

Ich glaube, es gibt viele Parallelen. Aber jetzt haben wir noch mehr Spieler im Ausland, die bei ihren Klubs ein noch höheres Standing haben. Bei uns waren schon alle elf Stammspieler in guten Ligen, aber heute sind’s wahrscheinlich 17.

Um euch gab es vor der EURO eine große Euphorie, man hat euch schon im Halbfinale gesehen, ehe das bittere Erwachen kam. Kann die aktuelle Generation nächstes Jahr in Deutschland für Furore sorgen, wie Ralf Rangnick das vorhat?

Mit der Euphorie wird es sicher wieder so sein, weil das bei uns in Österreich einfach so ist. Auch wenn’s im Nachhinein vielleicht zu viel war, wär’s uns wahrscheinlich auch nicht lieber gewesen, wenn es gar keine Euphorie gegeben hätte. Wir haben damals die beste Qualifikation aller Nationen gespielt, natürlich weckt das Hoffnungen. Aber entscheidend sind diese acht Tage bei der Endrunde, in denen du die ersten drei Spiele hast. Wenn du da gerade in einer Phase bist, in der’s nicht passt, bist zu weg. Andererseits, wenn du von Anfang an mit Vollgas da bist, kannst du weit kommen. Deshalb ist eine Prognose schwierig.

Sie sind am Freitag für Servus TV im Einsatz, machen Ihre eigene Podcastreihe. War das absehbar, dass es nach dem Karriereende in diese Richtung geht?

Eigentlich wollte ich gleich als Trainer weitermachen, habe die B-Lizenz und hätte geplant, die A-Lizenz zu machen. Dann hat sich das mit Servus TV ergeben und es ist immer mehr geworden. Ich habe gesehen, dass sich beides nicht vereinbaren lässt, weil ich nicht nur zum Spiel kommen und dort als Experte meine Analyse abgeben wollte. Ich sehe das schon als Vollzeit-Beruf. Ich habe mir vor dem Mikrofon nie schwer getan, aber du kannst halt als Spieler nicht alles so sagen, wie du es dir denkst. Das kann ich jetzt. Ich gehe mit einer Mischung aus Schmäh und Kompetenz an die Sache heran, das macht mir Spaß.

Ist das schwerste an Ihrem Job die Notenvergabe nach den Länderspielen?

Absolut. Aber es muss ja nicht immer alles easy sein. Ich habe lange genug selbst gespielt und mich oft genug geärgert. Es sagen zwar alle, sie lesen das nicht, am Ende kennen aber doch alle ihre Noten und finden sie immer ungerecht. Deshalb steht bei mir an oberster Stelle, überlegt und nicht leichtfertig zu urteilen. Ich versuche das Gesamtbild zu sehen und nicht wegen eines Fehlers automatisch eine schlechte Note zu geben. Bis jetzt bin ich damit ganz gut gefahren.

Interview: Horst Hötsch