Nationalelf

Erst getadelt, dann gelobt: Warum sich Oberdorf als Symbolfigur eignet

Nationalspielerin pendelt in Frankreich zwischen den Extremen

Erst getadelt, dann gelobt: Warum sich Oberdorf als Symbolfigur eignet

Lena Oberdorf ließ sich im Spiel in Frankreich auch nicht von einer schwachen ersten Halbzeit unterkriegen.

Lena Oberdorf ließ sich im Spiel in Frankreich auch nicht von einer schwachen ersten Halbzeit unterkriegen. picture alliance/dpa

Aus Lyon/Frankreich berichtet Leon Elspaß

Kurz, ganz kurz nur dachte Lena Oberdorf offenbar daran, Schiedsrichterin Esther Staubli von ihrer vermeintlichen Unschuld überzeugen zu wollen. Sie zeigte also auf den Ball, als sei der gerade von ihr gespielt und getroffen worden. Dass dem allerdings nicht so war, und dass es darum ein heilloses Unterfangen würde, diesen Elfmeterpfiff noch zu verhindern, wurde ihr dann ziemlich zügig klar. Sie verzog sich kleinlaut an den Rand des Strafraums und konnte nur noch dabei zusehen, wie sich die Französinnen wenige Sekunden später zum zweiten Mal an diesem Abend in den Armen lagen.

Dieses Elfmetertor in der Nachspielzeit der ersten Hälfte habe seinem Team "ein bisschen den Hals gebrochen", erklärte Interims-Bundestrainer Horst Hrubesch nach der 1:2-Niederlage seiner DFB-Auswahl. Nun gehört zur gesamten Wahrheit, dass Marina Hegering im Zweikampf mit der immer aktiven und gefährlichen Eugenie Le Sommer zu spät kam - dadurch ging die Kugel erst verloren. Oberdorf indes hätte durchaus eine andere Möglichkeit gehabt, als Grace Geyoro mit voller Wucht umzugrätschen - trotz der extremen Geschwindigkeit, mit der die Französin in diesem Moment auf dem Weg in die Tiefe war.

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Popp: "Dass so das zweite Tor fällt, ist ärgerlich"

"Da muss sie nicht mit der Grätsche kommen", haderte Kapitänin Alexandra Popp, die ihre grundsätzlich hoch geschätzte Kollegin bereits auf dem Feld getadelt hatte. "Lena geht mit sehr viel Tempo in den Zweikampf - da kann sie besser den Körper reinstellen und den Ball blocken. Davon hat sie am Ende mehr." Sie gehe stattdessen "ins Risiko, will alles reinhauen. Dass so das zweite Tor fällt, ist ärgerlich". Es sei nun mal kompliziert, einem 0:2-Rückstand gegen Frankreich hinterherzulaufen, so Popp, die von "doofen, individuellen Fehlern" sprach.

Es sind Fehler, die sich die sehr inkonstante DFB-Auswahl in den vergangenen Monaten viel zu oft erlaubt. Sie scheinen mehr oder minder reihum zu gehen, diesmal erwischte es Oberdorf, deren Wert für die Nationalelf normalerweise riesengroß ist. Sie gehört mit 22 Jahren zu den weltweit besten Spielerinnen auf ihrer Position - und wird auch in den Niederlanden am Mittwoch (20.45 Uhr, LIVE! bei kicker) auf dem Rasen stehen, wenn Hrubesch und Co. ihre zweite Chance auf das Olympia-Ticket nutzen wollen. Das ist ganz sicher, zumal sich Oberdorf nach ihrem groben Patzer immerhin erfolgreich aufrappeln konnte.

Oberdorf überzeugt nach der Pause auf einer anderen Position

Für Hegering, die nach einem Zusammenprall zur Pause draußen blieb (Hrubesch: "Sie hatte einen Cut im Mund, der genäht worden ist, dadurch war der Kreislauf ein bisschen daneben“), rückte die Sechserin neben Kathrin Hendrich in die Innenverteidigung. Ein Rollenwechsel, den Oberdorf bewältigte. „Sie hat es gut gemacht", lobte Bundestrainer Hrubesch, "sie konnte noch mal spielerische Akzente setzen, gerade im Aufbau."

Defensiv blieb der Sommer-Zugang vom FC Bayern zudem souverän und zeigte sich insgesamt gut erholt vom Missgeschick zuvor. In gewisser Weise taugte Nationalspielerin Oberdorf so als Symbolfigur der gesamten DFB-Auswahl. Während über die Leistung in der ersten Halbzeit nämlich aus guten Gründen reichlich Frust herrschte - Giulia Gwinn kritisierte den sogenannten "Angsthasenfußball", Hrubesch sah schlicht zu viele Fehler -, war das Team mit der Herangehensweise in der zweiten Hälfte grundsätzlich einverstanden. "Damit war ich sehr zufrieden", erläuterte der Coach, der genau beobachtete, wie seine verbesserte Elf zurückschlug, flexibler agierte, vehement aufs französische Tor drängte und durch Gwinns Elfmetertor verkürzen konnte.

In den Niederlanden, forderte Hrubesch, müsse es über die gesamte Spieldauer so aussehen. Wohl nur in diesem Fall könnte es für Oberdorf und Co. tatsächlich für Olympia reichen. "Einerseits glaube ich an meine Mannschaft, sie hat die Qualität", bekräftigte ihr Trainer zum wiederholten Mal. "Aber sie muss dafür alles tun, 100 Prozent zeigen. Bei uns reichen aktuell keine 90 Prozent." Die eigenen Fehler und Versäumnisse werden von den Top-Gegnerinnen gnadenlos ausgenutzt. Und dann steht man so da, wie Oberdorf am Ende der ersten Hälfte, kann nur noch dabei zusehen, wie auf der anderen Seite gefeiert wird.

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