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Erlebnisbericht: Mein Abend im Hexenkessel von Athen

"Eine richtig erdrückende Kulisse"

Erlebnisbericht: Mein Abend im Hexenkessel von Athen

32.500 Zuschauer sorgten in der Arena von AEK Athen für eine erdrückende Kulisse.

32.500 Zuschauer sorgten in der Arena von AEK Athen für eine erdrückende Kulisse. Michael Chudik

Aus Athen berichtet Michael Chudik

Sonntagabend, U-Bahn-Station Perissos in Athen. Die Massen strömen Richtung Ausgang. Schon beim Ausstieg aus dem Waggon höre ich Fangesänge, die Menschen tragen heute wieder Gelb und Schwarz. Denn ihr AEK Athen trifft auf PAOK Saloniki. Es ist der Liga-Kracher schlechthin, nur ein Punkt liegt AEK in der Tabelle hinter PAOK. Doch das soll sich ändern, wenn es nach dieser gelb-schwarzen Armee geht.

GIPFELTREFFEN IN ATHEN

"Wir werden es schreien, wir werden es sagen, AEK oleo, AEK oleo, AEK ole ole ole oleo", posaunen die Fans hinaus. Am Weg ins Stadion komme ich an unzähligen Verkaufsständen vorbei. Fan-Schals, T-Shirts, Kappen, alles was das Fußball-Herz begehrt - und: alles in Gelb und Schwarz. Ich nähere mich dem Stadion. Schon von weitem entdecke ich eine funkelnde Skulptur. Sie befindet sich direkt vor dem Haupteingang der Arena und wirkt furchteinflößend. Es ist ein Doppelkopf-Adler, das Symbol des Klubs.

So beeindruckend die Kulisse hier vor dem Stadion auch ist, ich habe es eilig. Deshalb begebe ich mich Richtung Gate 32. Dort ist der Eingang zur Medien-Tribüne. Ich werde heute vom griechischen Gipfeltreffen berichten. Warum? Weil sich gleich vier Spieler mit Österreich-Background im Titelkampf befinden. Auf Seiten von AEK sind dies Ex-Rapidler Robert Ljubicic und Ex-Salzburg-Tormann Cican Stankovic, auf Seiten von PAOK die früheren Rapid-Spieler Stefan Schwab und Thomas Murg.

Eintritt in ein wahres Schuckkästchen

Was beim Betreten der Arena auffällt: Der Athener Stadtklub hat hier ein wahres Schmuckkästchen. Kein Wunder, wurde das Stadion erst im September 2022 fertiggestellt. Heute soll es bis auf den letzten Platz gefüllt sein. 32.500 Fans wollen AEK zum Sieg peitschen. Doch bis zum Anpfiff dauert es noch. Zeit also, um letzte Infos zu den Teams zu recherchieren. Wer spielt von Beginn an? Gibt es überraschende Ausfälle?

Griechisches Schmuckkästchen: Das Heim-Stadion von AEK Athen

Auf der Medientribüne treffe ich griechische Kollegen und frage sie umgehend nach den vier ehemaligen Austro-Kickern. "Ljubicic war hier, ist aber wieder nach Hause gefahren. Er hat sich nicht gut gefühlt", lässt mich der Journalist wissen. "Und Stankovic?", frage ich. "Der ist nach wie vor verletzt." Es hat mich schon ein wenig enttäuscht, um ehrlich zu sein. Habe ich doch gehofft, alle vier Akteure spielen zu sehen. "Schwab und Murg stehen in der Startelf", hat der Journalist zumindest eine erfreuliche Nachricht für mich parat.

Der Countdown läuft, in wenigen Minuten ist Ankick und die Arena wird von Sekunde zu Sekunde lauter. Wie viel Dezibel das wohl sein müssen, frage ich mich. Klar gibt es größere Stadien, doch die Stimmung hier ist unbeschreiblich. Pünktlich um 20.30 Uhr ertönt der Anpfiff. Geleitet wird die Begegnung vom deutschen Schiedsrichter Tobias Stieler. Denn in der griechischen Super League werden bei wichtigen Spielen renommierte europäische Referees angesetzt.

Jubelnde griechische Journalisten

Das Spiel hat von Beginn an Feuer, die Teams auf dem Platz schenken sich nichts, praktisch keinen einzigen Grashalm. Zweikämpfe im Sekundentakt, Stieler hat also alle Hände voll zu tun. Für die Athener könnte das Spiel nicht besser laufen. Nach einer halben Stunde bringt Ex-Frankfurter Mijat Gacinovic die Gelb-Schwarzen in Führung, Nordin Amrabat erhöht nach der Pause per Freistoß auf 2:0.

Was mich mit einem Stirnrunzeln zurücklässt: Die griechischen Journalisten springen bei jedem Treffer von ihren Stühlen und jubeln der Mannschaft zu. Das ist etwas, das es in dieser Form in Österreich nicht gibt. Auch wenn jeder Sportjournalist möglicherweise dem einen oder anderen Klub privat die Daumen drückt, im Stadion verhalten sich die Medienvertreter professionell. "Das war schon immer so. Die Eigentümer der Klubs haben die Medien fest in ihren Händen", erzählen mir die griechischen Kollegen. Das lässt sich rasch verifizieren. So gehören dem Reeder Evangelos Marinakis der Fußballverein Olympiakos Piräus sowie mehrere Zeitungen und Fernsehsender.

kicker-Besuch in Athen

Zeit, über diese Problematik nachzudenken, habe ich jedoch nicht. Auf dem Feld geht es Schlag auf Schlag. Denn PAOK gibt sich nicht auf. Magomed Ozdoev und Abdul Baba sorgen mit ihren Treffen dafür, dass die laute Arena verstummt. Damit hat wohl keiner der 32.500 (Auswärtsfans sind aufgrund der Probleme mit Fan-Gewalt im Land nicht erlaubt) gerechnet.

Nur noch wenige Augenblicke zu spielen. Alles sieht nun danach aus, dass es hier in Athen keinen Sieger geben wird. Durch das 2:2 im Spitzenspiel bleibt der griechische Titelkampf weiter hochspannend. Ich schreibe die letzten Zeilen des Spielberichts und mache mich unmittelbar nach dem Schlusspfiff auf den Weg in die Mixed Zone. Die Treppen führen mich weit hinab. Ich öffne die Tür und sehe bereits die ersten TV-Journalisten, die sich auf die Gespräche mit den Spielern vorbereiten.

"Cool, dass du uns extra in Griechenland besuchst"

Es dauert eine Weile, bis jene Akteure erscheinen, mit denen ich sprechen möchte. Immerhin bleibt noch etwas Zeit, damit ich mir die letzten Fragen überlegen kann. Doch dann erscheint auch schon mein erster Gesprächspartner. Stefan Schwab, der PAOK heute als Kapitän aufs Feld geführt hat, nimmt sich Zeit für meine Fragen. "Cool, dass du uns extra in Griechenland besuchst", verwandelt er mein ernstes, weil konzentriertes Gesicht sofort in ein fröhliches. Ich spreche mit Stefan über das Spiel, das enge Titelrennen in Griechenland und natürlich auch über die Kulisse im Stadion. "Die Stimmung ist bei jedem Spiel einfach unglaublich, es ist teils richtig erdrückend. Der Fußball hat einen hohen Stellenwert, das merken wir Spieler auch in der Stadt."

Die PAOK-Akteure Stefan Schwab (l.) und Thomas Murg (r.) mit kicker-Österreich-Redakteur Michael Chudik in der Mixed Zone nach dem Spiel. kicker.at

Doch das Gespräch ist tiefgründiger, wir sprechen über den griechischen Fußball und auch die Problematik mit den Fans. Erst letztes Jahr kam ein AEK-Anhänger nach einer Auseinandersetzung mit gegnerischen Fans ums Leben. "Wenn Menschen ums Leben kommen, braucht man nicht diskutieren. Ich denke die Liga bzw. das ganze Land versucht, dieses Problem in den Griff zu bekommen", erzählt Schwab.

Ich glaube, ich kann ohne Stefan (Schwab, Anm.) gar nicht mehr spielen.

PAOK-Legionär Thomas Murg über die langjährige Verbindung zu seinem "Spezie" Stefan Schwab

Gegen Ende des Gesprächs mit Stefan erscheint auch Thomas Murg in der Mixed Zone. Auch er nimmt sich viel Zeit für meine Fragen. Seit bald vier Jahren spielen die beiden zusammen in Saloniki. Während Murg seinen Vertrag um zwei weitere Jahre verlängert hat, läuft Schwabs Arbeitspapier mit Saisonende aus. Murg hofft, dass sein "Spezi" noch länger beim Klub bleibt: "Ich glaube, ich kann ohne Stefan gar nicht mehr spielen. Mit Rapid und PAOK sind es sieben Jahre, die wir zusammen spielen. Das ist unglaublich. Er ist ein sehr positiver Typ in der Kabine, ein super Fußballer auf dem Platz und ein Leader. Solche Typen hat man einfach gerne in der Mannschaft. Daher hoffe ich, dass wir noch länger zusammenspielen können und er seinen Vertrag verlängert."

Nach meinen Interviews ist der Arbeitstag vorerst beendet. Zusammen mit einigen griechischen Kollegen verlasse ich das Stadion und begebe mich wieder zur U-Bahn-Station. Wie schon vor dem Spiel treffe ich dort einige AEK-Fans an. Diesmal aber weniger stimmungsvoll und etwas niedergeschlagen. Einerseits vom späten Ausgleich der Gäste, andererseits wohl aufgrund des einen oder anderen Malz-Getränks. Doch die AEK-Schals hängen noch prominent über die Schultern und das wird sich so schnell nicht ändern.