Rad

"Einer der schlimmsten Tage": Pogacars Einbruch am Col de la Loze

Slowene liegt nun über sieben Minuten hinter Vingegaard

"Einer der schlimmsten Tage auf dem Rad": Pogacars Einbruch am Col de la Loze

Verlor am Mittwoch über fünf Minuten auf seinen Konkurrenten Jonas Vingegaard: Tadej Pogacar (re.).

Verlor am Mittwoch über fünf Minuten auf seinen Konkurrenten Jonas Vingegaard: Tadej Pogacar (re.). IMAGO/Panoramic International

Mit schmerzverzerrten Gesicht und in Schlangenlinien quälte sich Tadej Pogacar den letzten, steilen Anstieg auf dem Flugfeld von Courchevel hinauf. Im Ziel hatte der Slowene Mühe nicht vom Rad zu fallen. Auf der 17. Etappe zwischen Saint-Gervais Mont-Blanc und Courchevel - aufgrund ihrer vier schweren Anstiege über mehr als 5.000 Höhenmeter schon vor dem Grand Depart zur Königsetappe der diesjährigen Tour de France erklärt - erlebte der Tour-Sieger von 2020 und 2021 den größten Einbruch seiner Karriere. Mehr als fünf Minuten verlor Pogacar am Ende auf seinen Rivalen Jonas Vingegaard. Und damit wohl auch endgültig den Kampf um das Gelbe Trikot.

110. TOUR DE FRANCE

"Ich bin tot. Ich bin völlig am Ende", funkte Pogacar vom Schlussanstieg auf den Col de la Loze an seinen Teamchef. Der Kapitän des Team UAE konnte drei Kilometer vor dem Gipfel des 2304-Metern-Berges der Favoritengruppe um Vingegaard nicht mehr folgen und musste abreißen lassen. Trotz der Unterstützung seines Teamkollegen Marc Soler konnte sich der 24-Jährige nicht mehr erholen und musste zusehen, wie der Däne und seine Helfer die Gunst der Stunde nutzten und regelrecht davonflogen.

"Ich habe versucht, so viel wie möglich zu essen, aber es ist nichts in meinen Beinen abgekommen, stattdessen blieb alles in meinem Magen. Ich war nach dreieinhalb Stunden völlig leer am Anfang des Loze", suchte der niedergeschlagene Pogacar im Ziel nach einer Erklärung. "Ich weiß nicht, was passiert ist. Es ist extrem enttäuschend."

Sturz zu Beginn - und gesundheitlich angeschlagen?

Schon der Beginn der 166 Kilometer langen Etappe durch die Region Savoyen verlief für den Slowenen alles andere als nach Plan: Nach wenigen Kilometern stürzte der 24-Jährige nach einem Kontakt mit dem Hinterrad eines anderen Fahrers. Zwar saß er schnell wieder auf seinem Rad, doch waren an Ellbogen und Knie deutliche Blessuren zu erkennen. Im Ziel gab Pogacar darauf angesprochen zwar an, keine großen Schmerzen zu haben, war sich aber nicht sicher, welche Auswirkungen der Sturz auf seinen Körper gehabt habe.

Tadej Pogacar

Team-Radio-Highlights: "I'm gone. I'm dead."

alle Videos in der Übersicht

Auch im weiteren Rennverlauf wurde über den Gesundheits- und Fitnesszustand des Ausnahmefahrers spekuliert: Pogacar, der sich im Frühjahr das Kahnbein gebrochen hatte und seitdem kaum Rennen bestreiten konnte, war ungewöhnlich blass, zudem waren Augenringe sowie Fieberbläschen an seiner Unterlippe deutlich zu erkennen. Gerüchte über einen Infekt machten die Runde.

Erinnerungen an den Col de Granon 2022

Pogacar wollte nichts dergleichen für seinen Einbruch geltend machen, es sei schlicht und einfach "kein guter Tag" gewesen. Erinnerungen wurden wach an die elfte Etappe der Frankreich-Rundfahrt im Vorjahr, als Pogacar als Titelverteidiger am Col de Granon ähnlich schwächelte und knappe drei Minuten auf Vingegaard verlor.

Damals war es jedoch die überlegene Taktik des Teams Jumbo-Visma, das den Slowenen mit Primoz Roglic und dem späteren Tour-Sieger Vingegaard so lange abwechselnd attackierte, bis dieser völlig entkräftet war. Auch bei der Bergankunft nach Hautacam im Jahr 2022 war es das Zusammenspiel zwischen dem Dänen und seinem Teamkollegen Wout van Aert, das Pogacar in die Knie zwang und zum Verlust von einer weiteren Minute führte. "Damals ging es mir wesentlich besser als das heute der Fall war", gab auch Pogacar zu.

Die fünf Minuten Vorsprung kommen nicht daher, dass Vingegaard so gut war, sondern dass Pogacar einen absoluten Ausreißer nach unten hatte.

Grischa Niermann

In diesem Jahr war es anders: Zwar legte die Equipe von Vingegaard von Beginn an ein hohes Tempo vor, um das Gelbe Trikot für ihren Kapitän zu verteidigen, Pogacar und seine Helfer konnten dem aber lange Zeit problemlos folgen. Der 24-Jährige explodierte am Berg, noch bevor Vingegaard zu einer echten Attacke angesetzt hatte. "Heute war einer der schlimmsten Tage auf dem Rad. Ich musste wirklich kämpfen", resümierte der ernüchterte Pogacar.

Der Sportliche Leiter von Jumbo-Visma, Grischa Niermann, sah dies ähnlich: Zwar hätte das Team schon vorab die 17. Etappe als beste Chance für Vingegaard gesehen, seinen slowenischen Kontrahenten abzuhängen. "Die fünf Minuten Vorsprung kommen aber nicht daher, dass Jonas so gut war, sondern dass Pogacar einen absoluten Ausreißer nach unten hatte", so Niermann gegenüber der ARD.

Duell um das Gelbe Trikot wohl beendet

Damit endet wohl das spektakuläre Duell um das Gelbe Trikot zwischen Vingegaard und Pogacar, das in den letzten zweieinhalb Wochen die Radsportfans in seinen Bann gezogen hatte. Nach packenden Duellen am Col de Marie Blanque, dem Puy de Dome oder am Grand Colombier trennten die beiden Favoriten zum Ende der zweiten Tour-Woche lediglich zehn Sekunden, ehe Vingegaard beim Zeitfahren am Dienstag einen Traumtag erwischte und seinen Vorsprung im Gesamtklassement auf 1:48 Minuten ausbauen konnte.

Tadej Pogacar

Völlig entkräftet im Ziel: Tadej Pogacar. IMAGO/Sirotti

Statt zu kontern, verlor Pogacar in Courchevel nun weiter an Boden auf seinen Rivalen. Mit 7:35 Minuten Vorsprung muss Vingegaard wohl nur noch gesund nach Paris radeln, um sich den zweiten Triumph bei der Tour de France zu sichern.

Ziel ist nun die Verteidigung der Podestplätze

Trotz der schweren Niederlage will der Slowene aber noch nicht aufgeben, im Blick hat er am Samstag die letzte Bergetappe in den Vogesen mit ihren eher kurzen Anstiegen, die dem schnellkräftigen Pogacar besonders liegen: "Ich hoffe, dass ich mich an den nächsten beiden Tagen erholen kann. Auf der 20. Etappe können wir noch einmal auf Sieg fahren. Die Etappe ist dem Team auf den Leib geschneidert, wenn wir gute Beine haben."

Ziel sei es nun, seinen zweiten Platz im Gesamtklassement zu verteidigen, genauso wie Platz drei seines Teamkollegen Adam Yates. Wenn dies gelinge, "dann wäre das ein guter Abschluss", so der Slowene, der ohne die Unterstützung seiner Teamkollegen schon am Mittwoch seinen Podiumsplatz in Gefahr gesehen hatte.

Auch sein Rivale Vingegaard traut seiner Führung noch nicht ganz. Der Vorsprung im Gesamtklassement von über sieben Minuten sei natürlich großartig, so der Däne im Ziel, doch: "Pogacar gibt niemals auf. Ich bin sicher, er wird etwas versuchen."

Valentin Fackler

Merckx, Pogacar & Sagan: Tour-Bestmarken