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Soufiane Mokhtari und sein Weg zurück: Ein Abend im NLZ Wiesbaden

Ex-Profi Soufiane Mokhtari und sein Weg zurück: Ein Abend im NLZ in Wiesbaden

"Drei Schritte zurück können auch ein Anlauf sein"

Soufiane Mokhtaris Weg in den Profifußball war ein steiniger.

Soufiane Mokhtaris Weg in den Profifußball war ein steiniger. kicker

Flanke, Flugkopfball, Tor. Aufsetzer, Tor. Freistoß, Tor. Eines nach dem anderen, eines schöner als das andere, wird im frisch renovierten Besprechungs- und Aufenthaltsraum im Nachwuchsleistungszentrum des SV Wehen Wiesbaden von einem Beamer an die Wand geworfen. Mokhtari trifft und trifft. Das Video stoppt. Mokhtari steht auf, begrüßt die Jungs mit Sonnenbrille und Mütze. Irgendwie da, und doch inkognito.

Aus gutem Grund. Denn auf dem Video, das ist Youssef Mokhtari, der frühere marokkanische National- und Bundesligaspieler. Doch an diesem Montag, während es draußen auf dem Harlberg in Taunusstein stürmt und regnet, spricht Soufiane Mokhtari zu den Talenten des SVWW. Der Verweis auf seinen Namensvetter, mit dem er nicht verwandt ist, bildet einen originellen Einstieg zum rund einstündigen Vortrag des Deutsch-Tunesiers, der nicht nur aus seinem Buch "Ganz unten und ganz oben" vorliest, sondern - dann ohne "Verkleidung" - auch mit den Spielern in den Dialog tritt, und ihnen eine Strategie mit an die Hand gibt, wie sie ihren Weg beschreiten, wie sie ihren Traum vom Profifußball vielleicht wahrmachen können.

"Ganz unten" ist bei Mokhtari kein billiges Klischee

Der erste Teil des Buchtitels verrät es. "Ganz unten", das gehört zum Leben Soufiane Mokhtaris. Und das ist durchaus nicht reißerisch oder ein billiges Klischee. Wenn man als Kleinkind von den Eltern nach Tunesien abgeschoben wird, wenn man nach der Rückkehr nach Deutschland in einem total zerrütteten Elternhaus aufwächst, dort mit 18 rausfliegt und als Drogendealer kurzzeitig auf die ganz schiefe Bahn gerät - dann ist man tatsächlich so weit unten, dass man, wie der Autor Mokhtari in seinem Buch, zur Schlussfolgerung kommen kann: "Ich wollte und konnte auf diese Art nicht weiter durchs Leben taumeln."

So konkret kommt das am Montag nicht zur Sprache, doch es gehört zur Story des Protagonisten, der seinen Zuhörern so glaubhaft versichern kann: "Ich wollte kein Krimineller unter Kriminellen sein. Ich hätte alles für ein normales Leben gegeben." Also hielt er sich an der einzigen Konstante in seinem Leben fest: dem Fußball.

Mokhtari und die "Wehr"-Strategie

Und rennt damit natürlich bei seinem Publikum offene Türen ein, denn auch dort sitzen viele, die Profi werden wollen und für jeden Tipp dankbar sind. Mokhtari hat mehr als einen davon, er, der nach vielen Absagen und keiner NLZ-Vergangenheit am Ball blieb und schließlich in Paraguay Profi wurde, gibt ihnen einen Plan mit an die Hand. Die, wie er sie nennt "Wehr"-Strategie. Kein Zufall, denn natürlich geht es darum, sich gegen Widerstände zu behaupten, zur Wehr zu setzen. Doch im Vordergrund stehen die Anfangsbuchstaben: W, E, H und R. Wille, Ehrgeiz, Hartnäckigkeit. Zum R kommen wir noch.

Auf dem Weg zum Profi empfiehlt er zunächst den "Willen", die "bewusste Entscheidung" zu treffen, "etwas zu erreichen". Und weil er aber eben nur Mokhtari und kein Super-Promi ist, zitiert er auch Mahatma Gandhi: "Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft - vielmehr aus einem unbeugsamen Willen".

Auf die Zielsetzung folgt der Ehrgeiz: "Wer aufhört, sein Ziel zu verfolgen, hat seinen Ehrgeiz aus den Augen zu verloren." Und auch die Wiesbadener Jungs beteuern, dass sie "gierig" seien, "sich verbessern" wollen.

Auch Mokhtaris Zuhörer erleben Rückschläge

Doch wer sich diesem Leistungsgedanken verschreibt, und das ist in einem NLZ so, für den scheint nicht immer die Sonne. Nicht jeder ist ein Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo, der übrigens bei der obligatorischen Glaubensfrage, wer denn der Bessere sei, erstaunlicherweise mehr Hände nach oben gehen lässt. Doch hier sitzt kein Messi, kein Ronaldo. Sondern Jungs, die, wie in allen NLZ, ihre Freizeit, ihr Leben dem großen Traum unterordnen. Und dabei Rückschläge erleben. Im Training, im Spiel, in der Schule, daheim. Doch Mokhtaris zentrale Botschaft an diesem Abend lässt sie zustimmend nicken: "Wenn man drei Schritte zurückgehen muss, kann das auch ein Anlauf sein, um beim nächsten Mal weiter springen zu können."

Womit wir beim Punkt "Hartnäckigkeit" wären. "Weil Sie nicht aufgegeben haben", bekommt der Redner als Antwort auf seine Frage, warum er letztlich im Profibereich gelandet sei. Das trifft es ebenso gut wie Nelson Mandelas Ansicht: "Unser größter Ruhm liegt nicht darin, niemals zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen." Was die Jungs, die ihm zuhören, gut verstehen, denn sie wurden teilweise auch schon abgelehnt oder gar aus einem anderen NLZ rausgeworfen.

R wie Realität

Und doch ist aus Mokhtari kein Weltstar geworden, nicht mal ein sonderlich bekannter Profi. "Ich war immer das große Talent, das nie den nächsten Schritt gemacht hat", sagt er kritisch über sich selbst. Und deswegen hängen ihm die Jungs an den Lippen, weil sie es mal besser machen wollen. Doch auch sie wissen nicht, ob sie mal den großen Durchbruch schaffen, aber sie finden in einem NLZ wie in Wiesbaden zumindest sehr gute Voraussetzungen. Doch da wäre ja noch der Buchstabe "R". R wie Realität, oder um mit den Jugendlichen zu sprechen: Zeit, seine Base zu checken. Mokhtari: "Ich kann als Kreisligaspieler nicht direkt in die Bundesliga wollen. Dazwischen sind sehr viele Schritte."

Soufiane Mokhtari und die Spieler des NLZ des SV Wehen Wiesbaden.

Die Nachwuchsspieler des SV Wehen Wiesbaden hörten Soufiane Mokhtari (Mitte, weißes Trikot) gespannt zu. kicker

Der Beifall, den Mokhtari erhält, der neben seinem normalen Beruf im Vertrieb eines Unternehmens auch als Spielerberater tätig ist und sich dort besonders Jungs annimmt, die wie er viele Hürden nehmen müssen, zeigt, dass die Jungs die Botschaft verstanden haben.

Doch warum ist dieser Ex-Profi, der neben Paraguay auch in Malaysia, Griechenland und Tunesien in kurzen Episoden seinen Lebensunterhalt mit Fußball verdienen konnte, nun auch "ganz oben", wie sein Buchtitel aussagt? Bei dieser, seiner persönlichen Einschätzung, geht es nicht um das Gefühl, der Größte geworden zu sein und von "ganz oben" auf alle herabzublicken. Sondern für einen, der eben tatsächlich "ganz unten" war, definiert sich dieser Perspektivwechsel schon dadurch, auf einen guten Pfad zurückgefunden zu haben und glücklich mit "meiner zauberhaften Tochter Amalia" zu leben.

Sein Traum von der ganz großen Karriere hat sich Soufiane Mokhtari nicht erfüllt. Doch den Traum, den er jetzt lebt, ist deswegen nicht weniger wert. Nicht jeder landet im Glitzer-Glamour-Business Fußball, das oft mehr Schein als Sein bietet, "ganz oben". Doch das heißt nicht, dass man "ganz unten" bleiben muss.

Thomas Böker

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