Champions League

HSV 1983 | "Wir waren die Könige von Europa"

Als Hamburg den Henkelpott gewann

Die größte Stunde des HSV: "Wir waren die Könige von Europa"

Der Siegtorschütze mit Pokal: Felix Magath und Europapokalsieger Hamburger SV.

Der Siegtorschütze mit Pokal: Felix Magath und Europapokalsieger Hamburger SV. imago images/WEREK

Thomas von Heesen benötigt auch 40 Jahre danach keinen langen Anlauf für die Zeitreise. "Wie das halt so ist mit Tagen, an denen Großes passiert ist", sagt er, "ich weiß noch ganz viele Details." Am stärksten eingeprägt hat sich beim heute 61-Jährigen der Besuch auf dem Athener Golfplatz am Vormittag des 25. Mai 1983. Dort, ist der frühere Mittelfeldstar des HSV wie auch andere Teamkollegen sicher, hat Ernst Happel den Grundstein für den Triumph gegen Juventus Turin am Abend gelegt.

Die Ausgangslage war allen bewusst. "Juve", erinnert sich Holger Hieronymus, "war der große Favorit, das Nonplusultra im europäischen Fußball. Das war im Prinzip die italienische Weltmeistermannschaft von 1982 plus Zbigniew Boniek und Michel Platini." Zur sportlichen Übergröße des Finalgegners kam die Übermacht der Anhänger aus Italien. Ausgerechnet auf dem Golfplatz wurde das den Hamburger Protagonisten so richtig bewusst. "Der Golfplatz war in unmittelbarer Nähe des Athener Flughafens", erzählt von Heesen, "beinahe minütlich flogen über uns die Maschinen von Alitalia Airlines ein." Am Ende waren 50.000 Turiner im mit 73.500 Zuschauern gefüllten Stadion, "und als wir zur Platzbegehung rausgingen", sagt der gebürtige Westfale, "pfiffen sie uns so laut aus, dass ich mein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte".

Seht's, die feiern schon - aber nachher feiern wir.

HSV-Trainer Ernst Happel vor dem Finale

Nachhaltig beeindruckt hat die Hamburger die Szenerie nicht. Weil der Golfplatz nachgewirkt hat. "Happel hat uns jüngere Spieler dort ein bisschen einlochen lassen und hat sich die Älteren wie Felix Magath, Manni Kaltz, Horst Hrubesch und Ditmar Jakobs zur Seite genommen, um mit ihnen über die Taktik zu reden." Von Heesen hat den Wiener Grantler in diesem Moment in einer Gelassenheit erlebt, die ausgestrahlt hat. Vom Golfplatz bis auf das Rasenrechteck des Olympiastadions. "Als wir in unseren Trainingsanzügen von der Platzbegehung Richtung Kabine gingen, kamen die Juve-Stars, nicht wie wir in Trainingsklamotten, sondern in ihren schicken Ausgehanzügen." Von Heesen erinnert sich noch gut an einen der wenigen Sätze, die Happel sagte: "Seht's, die feiern schon - aber nachher feiern wir."

Der damalige Youngster erklärt: "Das alles hat total gewirkt: die Gelassenheit auf dem Golfplatz, im Stadion. Ich hatte als Spieler das Gefühl, dass mir nichts passieren kann. So war es auch bei meiner Einwechslung in der zweiten Hälfte. Happel hat nichts weiter zu mir gesagt, außer: Genieß es!"

Bernd Wehmeyer hat ähnliche Erinnerungen an diese magische Nacht und Happels Mitwirken daran. Wenngleich der heute noch amtierende HSV-Klubmanager auch sagt: "Dass er sich einzelne Spieler rausgegriffen hat wie auf dem Golfplatz war eher die Ausnahme, so was hat er in der Regel nicht gemacht. Es war schon zu spüren, dass selbst er zumindest etwas angespannter war als sonst, dass es auch für ihn etwas Besonderes war."

Das Finale von Athen

Dass es am Ende sogar außergewöhnlich wurde, schreibt Wehmeyer wie von Heesen dem Österreicher zu. "Er hat Juve ausgecoacht." Und damit das berühmte Gegenüber Giovanni Trapattoni. "Lars Bastrup sollte Claudio Gentile immer wieder rauslocken, wir sollten dann in die Lücken reinstoßen. Das hat beim frühen Tor durch Felix gleich sensationell geklappt." Schon nach neun Minuten hatte Magath das Tor für die Ewigkeit erzielt. Es war nicht nur ein Wirkungstreffer für den großen Favoriten, sondern eben auch der letzte, entscheidende Schuss Überzeugung für den Außenseiter.

Wehmeyer erklärt: "Dass Happels Plan so früh aufgegangen war, gab uns Spielern auf dem Platz das Gefühl und die Sicherheit, dass unser Trainer einfach genau wusste, was er tat." Hinzu kommt: "Auch sein zweiter Schachzug ging perfekt auf: Er hatte Wolfgang Rolff als Wachhund für Michel Platini abgestellt." Auch der erinnert sich an die immense Sicherheit, die ihm Happel vor der Aufgabe gegen den französischen Weltstar vermittelte: "Er hat es mir vorzeitig gesagt, dass ich gegen Platini spielen würde. Dann haben wir zusammen zwei, drei Videos von Juve-Spielen geschaut, und das war's. Er wusste, dass ich das konnte, und das hat er mir auch vermittelt." In der Rolle des Platini-Wachhundes hatten die meisten Experten im Vorfeld Jürgen Groh erwartet - der hatte stattdessen dann die Freiheit für den letzten Pass vor Magaths Siegtor. "Und spätestens ab diesem Moment", sagt Wehmeyer, "waren wir voller Überzeugung."

Michel Platini, Wolfgang Rolff

Streng bewacht: Juve-Spielmacher Michel Platini konnte dem Finale seinen Stempel nicht aufdrücken. imago images

Den Glauben, nicht aussichtslos in das ungleiche Duell zu gehen, versichert der linke Verteidiger, hätten er und seine Kollegen schon vorher gehabt. "Wir hatten zwei super Jahre hinter uns, waren eine gewachsene Mannschaft und voller Selbstbewusstsein." Und sie waren gestählt durch eine vorangegangene Endspiel-Niederlage. Im Jahr zuvor hatte der HSV im UEFA-Cup-Finale gestanden, in Hin- und Rückspiel gegen IFK Göteborg jedoch 0:1 und 0:3 verloren. "Die Erfahrungen und Lehren daraus", sagt Wehmeyer, "haben wir auch mitgenommen nach Athen. Es war eine andere Geschichte, weil es kein Hin- und Rückspiel gab, aber wir kannten die Final-Situation. Wir waren einfach an der Reihe." Die Erinnerungen an alles, was nach den 90 Minuten im Olympiastadion geschah, gehen auseinander. Der damalige Youngster von Heesen sagt, es habe keine wirkliche Party gegeben, "wir wollten schließlich auch noch Meister werden". Wehmeyer hingegen erzählt von einer Europacup-Sause in der Light-Version, verweist aber auch auf den zum damaligen Zeitpunkt noch nicht entschiedenen nationalen Titelkampf.

Für eine große Feier war keine Zeit

Die Besonderheit vor 40 Jahren war: Die Partie fand, anders als heutzutage das Champions-League-Finale als krönender Abschluss einer Spielzeit, nicht am Ende statt, sondern unter der Woche. Zwei Spieltage vor dem Abschluss. Der 25. Mai 1983 war ein Mittwoch, schon am Samstag stand in der Bundesliga gegen Borussia Dortmund die nächste Etappe im Titelrennen mit Werder Bremen an. "Wir haben an der Hotelbar schon zusammengesessen und ein paar Bierchen getrunken", sagt Wehmeyer. "Es waren auch Fans von uns im Mannschaftshotel, mit denen wir ein wenig gefeiert haben. Aber die ganz große Party gab es in Athen nicht." Und Wehmeyer betont, dass es keineswegs die Angst vorm strengen Happel'schen Regime war, weshalb Zurückhaltung regiert hat. "Der Trainer musste uns nicht bremsen. Der Impuls kam von innen: Uli Stein, Manni Kaltz, Ditmar Jakobs, Horst Hrubesch waren Typen in der Truppe, die das geregelt haben. Wir hatten diese Gier und diese Mentalität, dass wir unbedingt noch die Schale holen wollten."

Die Spielerfrauen waren darauf eingestellt, dass sie nach einem Bundesligaspieltag mit der Siegprämie shoppen gehen konnten.

Jimmy Hartwig über die großen Jahre des HSV

Der HSV war punktgleich mit dem Nord-Rivalen und um vier Tore besser. Also ging es nach der Landung aus Athen am Flughafen Fuhlsbüttel nicht zu den rund 10.000 wartenden Fans, sondern direkt vom Rollfeld aus durch den Hinterausgang in den Bus - der Weg zum damaligen Trainingszentrum in Norderstedt dauerte nur rund zehn Minuten und der Kurs dorthin war unverrückbar. "Wir sind wirklich direkt nach Ochsenzoll gefahren", sagt Wehmeyer, "haben am Tag nach unserem größten Triumph ganz normal trainiert und sind danach nach Hause." Athen war ein Höhepunkt. Aber nicht der Schlussakt für eine Hamburger Mannschaft, die im Zenit stand, die nach der ersten Bundesliga-Meisterschaft 1979 unter Branko Zebec noch zweimal nacheinander Vize-Meister wurde, im Jahr vor dem Europapokal-Triumph in Happels Premieren-Jahr schon den nationalen Titel geholt hatte. Ab dem Januar 1982 blieb sie bis zum Januar 1983, einem 2:3 in Bremen, saisonübergreifend 36 Bundesligaspiele ungeschlagen und stellte einen Rekord auf, der erst zwischen 2012 und 2014 vom FC Bayern gebrochen wurde.

Jimmy Hartwig, im Finale gegen Juventus gesperrt, hat diese Epoche auf seine unverwechselbare Art einmal so beschrieben: "Über eine mögliche Niederlage wurde damals irgendwann gar nicht mehr nachgedacht. Die Spielerfrauen waren stets darauf eingestellt, dass sie am Montagmorgen nach einem Bundesligaspieltag mit der Siegprämie shoppen gehen konnten." Als der Rekordhalter fast 30 Jahre später abgelöst wurde, blieben die Münchner gar 53 Partien unbesiegt in einer Zeit, in der sie dem Hamburger SV längst enteilt waren. "Ich habe mich oft gefragt, wie das passieren konnte", rätselt von Heesen, "aber bevor die Schere immer weiter auseinanderging, waren wir auf Augenhöhe."

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Von Heesen blieb noch bis 1994 und erlebte den Verfall vom Ligaprimus und Flaggschiff des deutschen Fußballs zur grauen Maus mit. Er sagt: "Es hat mich angekotzt, mit dem HSV um Platz 12 zu spielen." Im Sommer 1983 aber ging es noch hoch hinaus. Zum letzten Mal. Dortmund wurde drei Tage nach der Rückkehr aus Athen zu Hause mit 5:0 geschlagen, in der Woche darauf durch ein 2:1 im Fernduell auf Schalke der Titel eingefahren, und von Heesen verrät, dass sich das alles wie selbstverständlich anfühlte.

Personalwechsel als Anfang vom Ende

"Wir waren die Könige von Europa. Es ging immer nur um den nächsten Sieg, um den nächsten Titel." Einen nahm er noch als Mannschaftskapitän in Empfang, den DFB-Pokal 1987. Es ist der letzte Eintrag im Briefkopf des Hamburger SV, der diesen während der goldenen Ära so regelmäßig erweitern musste. Ein Grund für von Heesen ist, dass nach dem Pokalsieg Happel den HSV verließ, nachdem 1986 schon Manager Günter Netzer ausgeschieden war. "Ihre Abschiede waren entscheidend, außerdem fehlten uns im Vergleich zu den Bayern auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten."

Den ersten Bruch aber gab es bereits am Höhepunkt. Schon vor dem Triumph von Athen und im Titelrennen stand fest, dass Bastrup und Hrubesch gehen. Beide Anführer wurden durch Wolfram Wuttke und Dieter Schatzschneider positionsgetreu ersetzt, und Happel konstatierte: "Man konnte es sich nicht erlauben, den Zweitliga-Torjäger Schatzschneider zu übersehen und das große Talent Wuttke zu ignorieren." In der Retrospektive sagt von Heesen: "Wuttke und Schatzschneider für Bastrup und Hrubesch - das passte von der Chemie her nicht." Das Gefüge war durcheinandergeraten. Schatzschneider erzielte zwar 15 Treffer, aber vom ersten Tag an auch viele Eigentore. Das hat er mit zeitlichem Abstand selbst eingeräumt: "Ich hatte den dicksten Wagen und habe ihn direkt neben dem Trainer geparkt, hab mich in der Kabine auf den Platz von Manni Kaltz gelümmelt. Irgendwann hatte ich mich mit jedem angelegt."

Und der große HSV begann, kleiner zu werden. Eine Entwicklung, die nach Athen noch undenkbar erschien. Weil die Hamburger nicht nur ihre Hansestadt und Fußball-Deutschland, sondern ganz Europa verzaubert hatten mit ihrem Erfolg gegen die Übermacht Juventus. Der englische Daily Express titelte: "Die Hamburger sind die Könige Europas. Sie spielten Fußball im Liverpool-Stil. Die Elf, die in England durch Kevin Keegan berühmt wurde, sah in den rotgestreiften Trikots richtig englisch aus." Und von Heesen erinnert sich während seiner Zeitreise auch noch, dass er ein Ende des Titelsammelns für nicht absehbar hielt. "Wir haben den Erfolg zwar genossen, aber wir dachten auch, das geht immer so weiter."

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Sebastian Wolff

25. Mai 1983: Die Geburtsstunde von "Magath eroe"