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Der Streit um die Mittagszeit: Darum geht es - nicht nur - Klopp

Hintergrund

Der Streit um die Mittagszeit: Darum geht es - nicht nur - Klopp

"Hamstring" - natürlich: James Milner wurde am Samstag Jürgen Klopps neuestes Sorgenkind.

"Hamstring" - natürlich: James Milner wurde am Samstag Jürgen Klopps neuestes Sorgenkind. imago images

Am 12.30-Uhr-Anstoß englischer Zeit samstags in der Premier League entzündet sich der Streit, den in erster Linie Jürgen Klopp, der Manager des Meisters FC Liverpool, entfacht hat. Es geht um die Gesundheit der Spieler. Vor allem um die Regenerationszeit zwischen zwei Spielen. Und dabei buchstäblich um Stunden.

Der FC Liverpool, und nicht nur der, arbeitet auf der Grundlage wissenschaftlicher Studien, die nachweisen, dass, vereinfacht ausgedrückt, ein Profi nach einem 90-minütigen Wettkampf auf Top-Niveau zirka 80 Stunden zur kompletten Regeneration benötigt. Ein Orientierungspunkt dabei ist, dass nach 72 Stunden die volle Wettbewerbsbelastung zu 80 Prozent wieder möglich ist, weil der Energiespeicher entsprechend wieder aufgeladen und die Muskelregeneration soweit fortgeschritten ist.

Bei weniger als 72 Stunden Regeneration wird es heikel - Stichwort "hamstring"

Daher ist der Mittwochabend-Samstagmittag-Rhythmus ein neuralgischer Punkt. Die restliche Regeneration nach den genannten 72 Stunden und den erreichten 80 Prozent geschieht relativ schnell. Was sich jedoch darunter abspielt, zeitigt neben anderen Effekten insbesondere eine erhöhte Verletzungsgefahr.

Diese ist am auffälligsten an Muskelermüdungen und Muskelrissen erkennbar, besonders betroffen ist der hintere Bereich der Oberschenkel. Der "hamstring" ist daher im englischen Fußball ein so geflügeltes wie gefürchtetes Wort. Insbesondere hier spielen und bilden sich die schnellen Bewegungen beim Antritt, Abbremsen, Schießen und Passen ab.

Ein sensibler Aspekt, deswegen schauen die Trainer und medizinischen Abteilungen bei der Leistungsbewertung und Belastungssteuerung weniger nach Daten wie "119 Kilometer Gesamtlaufleistung" einer Mannschaft, sondern sie betrachten vielmehr Parameter wie diese: Wie hoch war insgesamt die Sprint-Distanz, die ein Spieler zurückgelegt hat? Wie häufig und mit welcher Geschwindigkeit musste er einen Sprint anziehen? Und wieder stoppen? Denn das sei das wirklich Belastende.

"Man steigert die Wahrscheinlichkeit von Muskelverletzungen erheblich"

Und nach zum Beispiel nur 62 Stunden zwischen zwei Spielen fehle eben die erforderliche Zeit, die es als Regeneration zur Vorbeugung von Verletzungen brauche.

Alles Weitere, wie die Reisetätigkeiten und die fehlende Spielvorbereitung oder dass bei einem 12.30-Uhr-Anstoß "die Spaghetti bereits um 9 Uhr auf den Tisch" kämen, sei noch steuerbar. Und es sei fraglos die Aufgabe der Trainer und Betreuer, all dies in die richtigen Bahnen zu lenken, heißt es in Klopps Stab. Der Anlass ihres Aufbegehrens sei schlicht und ergreifend die Gesundheitsgefährdung. "Man steigert die Wahrscheinlichkeit von Muskelverletzungen erheblich, wenn eine Mannschaft am Mittwochabend ab 20 Uhr in der Champions League spielt und am Samstag bereits wieder um 12.30 Uhr loslegt."

Dabei gehe es "nicht nur um unsere Spieler", sondern durchaus genauso um die anderen Mannschaften. Denn, das zeigen die alarmierenden Zahlen: Die Verletzungen nehmen in der Premier League systematisch zu.

In Liverpool hofft man auf Kompromisse - auch bei der Wechselregel

Es müsste daher mehr Rücksicht genommen werden, speziell in diesen Zeiten, meint nicht nur Klopp, so äußerten sich auch Kollegen weiterer Topteams wie Pep Guardiola (Manchester City) oder Ole Gunnar Solskjaer (Manchester United). Mit "diesen Zeiten" meinen sie die kurze Sommerpause, den permanenten Drei-Tage-Rhythmus der in erster Linie Champions- und Europa-League-Teilnehmer und - natürlich - die COVID-19-Pandemie. So gibt es noch keine gesicherten, abschließenden Erkenntnisse darüber, wie sich der Körper eines Spitzensportlers nach einer Trainingspause verhält, wenn er nach einem positiven Test ohne Symptome in Quarantäne war.

Um Spieler, die in dieser extrem eng getakteten Saison ohnehin besonders belastet seien, nicht noch in Situationen zu schicken, in denen sie zusätzlich belastet werden, müssten Kompromisse gefunden werden. Dazu zählt in den Augen der Toptrainer auch die Möglichkeit, in der Premier League wieder fünf Wechsel pro Spiel zuzulassen. Ein Argument: Nur drei Auswechslungen verleiten dazu, zu spät zu wechseln, aus Furcht vor dem zusätzlichen, verletzungsbedingten Ausscheiden einzelner Spieler und damit der Dezimierung der jeweiligen Mannschaft.

"Sky" hat das Erstwahlrecht, dann wählt "BT Sport" das 12.30-Uhr-Match

So also dreht sich die Spirale der Verletzungsgefahr immer weiter. Dass ein Teil der Manager in Englands erster Liga "diese Realität" nicht anerkennt, stößt nicht nur in Liverpool auf Unverständnis, verärgert Klopp jedoch in erkennbar besonderem Maße.

Wie eben auch die umstrittene Anstoßzeit zur "Lunchtime". Der TV-Vertrag sichert "Sky" das Erstwahlrecht, dann darf sich "BT Sport" das 12.30-Uhr-Match herauspicken. Wenig überraschend soll dabei ein Topklub mit von der Partie sein. Geht es nach Klopp, muss dabei jetzt eine Regelung mit Rücksichtnahme gefunden werden, eine partnerschaftliche Lösung zwischen TV-Sendern und Klubs. Die Lösung dürfe sich nicht nur danach richten, was im Vertrag steht, sondern danach, was das Beste für die Spieler ist.

Beobachter warfen bereits ein, dass es in der Konsequenz dem "gesamten Produkt" schadet, wenn in der global verfolgten Liga die besten und prominentesten Akteure reihenweise verletzt ausfallen. Das könne am Ende nicht im Sinne der exklusiv übertragenden Bezahlsender sein.

Könnte "BT Sport" sein Mittagsspiel nicht später senden?

Vorschläge, den Zwölfdreißig-Knoten zu lösen, gibt es in Liverpool: Nämlich den Vertrag insofern abzuändern, dass "BT Sport" sein Wahlrecht behält, sein vermeintliches 12.30-Uhr-Spiel jedoch zu einem späteren Zeitpunkt ausgetragen und live gesendet wird: einige Stunden später am Samstagabend oder am Sonntag, immer dann, wenn es ein Team betrifft, das am Mittwochabend im Einsatz war (entsprechend von Donnerstag zu Sonntag bzw. Montag).

Oder aber bei den Ansetzungen werde in der derzeitigen, extrem angespannten Lage mit Blick auf die Belastungen noch flexibler agiert. So traten am Samstag mit Everton und Leeds zwei durchaus populäre Klubs in einer attraktiven Begegnung erst zur späten Samstagabend-Zeit an - zwei Mannschaften ohne Anforderungen am Mittwoch.

Die Crux: Ein Akt der Vernunft erscheint dringend erforderlich. Es dabei jedem Recht zu machen, jedoch unmöglich. Jeder Kompromiss freilich, der die Gefahr von Verletzungen eindämmt, wäre besser als stures Festhalten an Verträgen.

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Jörg Jakob

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